Frauen und Kinder zuerst

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Als der buddhisische Abt Thích Quang Đuc sich am 11. Juni 1963 in Saigon mit Benzin übergießen ließ und anzündete, war das keine spontane Tat, sondern eine geplante Inszenierung. Mehrere hundert Mönche begleiteten ihn in einem zeremoniellen Marsch und die US-Korrespondenten waren informiert worden, dass etwas geschehen werde. So konnte Malcolm Browne das Pressefoto des Jahres schießen, von dem US-Präsident John F. Kennedy sagte, dass »kein Bild in der Geschichte so viele Emotionen in der Welt erregt hat wie dieses«. Umgehend sah er sich gewungen, Druck auf die südvietnamesische Regierung auszuüben, die Unterdrückung der Buddhisten zu mildern.
Ein halbes Jahrhundert später würde ein brennender Abt nicht mehr genügen, um eine Regierung zum Handeln zu zwingen. Disturbing images sind zur Massenware geworden, deren Verbreitung zur Abstumpfung geführt hat, so dass die Medien ihrer Kundschaft immer härteren Stoff servieren müssen, damit diese überhaupt noch ­etwas empfindet. Es gilt die Regel: Frauen und Kinder zuerst. Greise und Behinderte verkaufen sich nämlich nicht so gut. Aber auch für Kinder ist die Spanne der Aufmerksamkeit kurz. Erinnern Sie sich noch an das nach ­einem Giftgasangriff um Luft ringende Kleinkind in Saraqeb? Sieht man davon ab, dass das patriarchale Klischee des Mannes als Beschützer der die Zukunft des Volkes verkörpernden Mütter und Kinder reproduziert wird und heutzutage auch ohne disturbing images jeder wissen sollte, dass Krieg keine klinisch saubere Angelegenheit ist, bleibt die Frage der Auswahl durch die Medien und ihre Nutzer. Kongolesische und somalische Kinder sind derzeit nicht im Angebot, aber wenn Gaza Sie zu langweilen beginnt – in der Zentralafrikanischen Republik sind wieder Journalisten unterwegs.
In Einzelfällen können disturbing images noch immer aufklärende Wirkung haben. Perfide wird das Geschäft aber, wenn Medien oder politische Gruppen einen Leichenberg als moral high ground für sich reklamieren. Dass der Spiegel auf dem Titelbild „Stoppt Putin jetzt!“ mit den ohne Rücksprache mit den Angehörigen verwendeten Fotos von toten Passagieren – man hätte vielleicht auch gerne verkohlte Köpfe gezeigt, aber die waren nicht verfügbar – des Fluges MH17 illustriert, ist mediale Leichenfledderei. Vom Propagandaapparat der Hamas unterscheidet sich der Spiegel immerhin noch dadurch, dass er die Todesopfer nicht selbst zu verantworten hat. Auch an der Art, wie disturbing images produziert werden, kann man erkennen, wer ein legitimes Anliegen hat und wer nicht. Was immer man über den politisch motivierten Suizid denken mag – Thích Quang Đuc opferte nur sein eigenes Leben und lehnte die Angebote jüngerer Mönche ab, sich an seiner Stelle zu verbrennen.