25 Jahre »Seinfeld«

Ein Lob der Geschwätzigkeit

»Seinfeld« hat aus belanglosem Gerede eine Kunstform gemacht. Vor 25 Jahren lief die Sitcom im US-amerikanischen Fernsehen an.

Was ist das nur für ein Typ? Er bewohnt einen netten, perfekt heruntergekommenen Altbau im Zentrum einer Großstadt. Im Flur hängt ein High-End-Fahrrad einer angesagten Marke, eine Platten- und Filmsammlung säumt die Wand. Er trägt die neuesten Sneakers unter der Karottenhose, die er mit meist zu großen Oberteilen kombiniert. Und die Küche ist ihrer Funktion beraubt, denn er geht stets aus, um zu essen, Kaffee zu trinken und sich mit seinen prekär angestellten Freunden über Nichtigkeiten auszutauschen. Bei diesen Treffen geht es um nichts als Geschwätz: Wer mit wem, wo, wann, wieso irgend etwas gemacht hat, oder wieso diese und jene Art von Mensch nicht zu ertragen ist. Wäre das hier eine Kolumne in der Welt, FAZ oder Zeit, dann würden diese Zeilen einen Text einleiten, der sich mit dem bereits seit mindestens drei Jahren verschimmelten Phänomen des Hipsters auseinandersetzt.
Doch wir sind hier ja nicht bei einem der Dickschiffe der Zeitungszunft, auf denen derzeit gefeiert wird, dass ihre Praktikanten und Zeitungsausträger vom Mindestlohn verschont bleiben. Die Rede ist von »Seinfeld«, einer Fernsehserie, die im Sommer vor 25 Jahren erstmals gesendet wurde und ihre Erfinder Jerry Seinfeld, einen damals schon sehr erfolgreichen Comedian, und Larry David, einen damals wenig erfolgreichen glatzköpfigen Autor und Stand-up-Comedian, zu Multimillionären machte. »Seinfeld« ging als »Show about nothing« in den Kanon der Popkultur ein, machte aus Geschwätz eine Kunstform, und brachte das Niveau für belanglose Gespräche auf Zentralmassivhöhe.
»Seinfeld« lief von 1989 bis 1998 und entwickelte sich in diesen neun Jahren mit überspitzter Darstellung zum perfekten Ausdruck des großstädtischen Lebens. Wenn man sich die Sendung im Jahr 2014 wieder anschaut, fühlt man sich sofort wohl, da die Themen, und die Art, wie sie aufgegriffen werden, jedem Großstädter die Augen öffnen: Im Leben geht es nun mal um nichts. Wie George Costanza, der wehleidigen, am schlimmsten unter ihren Neurosen leidende Figur in »Seinfeld«, verändert man sich von einem gewissen Alter an nicht mehr. Man wird nicht zu einem besseren Menschen, nur weil es einem die Werbung des Fitnessstudios, in dem man eben ein Abo abgeschlossen hat, weismachen will. Und man wird auch nicht weniger depressiv, indem man auf Fleisch oder Alkohol verzichtet – der Fatalität der eigenen Existenz wird lediglich anders begegnet, die eigenen Unzulänglichkeiten werden auf anderem Wege verdrängt: »Als ich heute so dasaß, wurde mir klar, dass jede Entscheidung, die ich in meinem ganzen Leben getroffen habe, falsch war. Mein Leben ist das komplette Gegenteil dessen, was ich haben wollte. Jedes Bauchgefühl, das ich habe, in allen Lebensbereichen, sei es hinsichtlich Kleidung, sei es hinsichtlich Essen – es war alles falsch.« Wer wie George an diesem Punkt angelangt ist, dem helfen auch Leinsamen statt Speck zum Frühstück nicht.
Der einzige Ausweg ist wohl, eine Familie zu gründen. Und dass auch nur, weil dank des Schlafmangels, der sich nach ein paar nachts geleerten Windeln und gefüllten Fläschchen einstellt, das Ego immer mehr abbaut und diese Nerven zermarternden Was-wäre-wenn-Gedanken endlich ein Ende finden. Doch Beobachtungen zeigen, dass eine Familiengründung niemals als Fluchtversuch betrieben werden sollte, denn dann kann es nach der Scheidung gruseliger werden, als es vor dem Wickeln und Fläschchengeben war. George hat es übrigens schon gereicht, sich zu verloben, um aus dem Schlamassel zu fliehen: Am Ende der siebten Staffel ist er von seiner Zukünftigen dermaßen zermürbt, dass er auf die Nachricht ihres Todes nur mit »Uhhm« antwortet. Sie starb durch das Anlecken von mit giftigem Billigkleber behandelten Briefumschlägen, in denen die Hochzeitseinladungen hätten verschickt werden sollen. Solch großartige Absurditäten bleiben leider den Figuren der Serie vorbehalten. Das Leben schlägt selten derart schöne Volten.
Was bleibt, ist das alltägliche Dahinplätschern des Daseins, sind die Beziehungen, Jobs, Wohnungen und das damit verbundene Gerede, das sich heute auf Facebook verfolgen lässt. Aus einem Posting über eine Wohnungsannonce entwickelt sich schneller eine Diskussion über die Viertel einer Stadt, als man die F5-Taste drücken kann: »In dem Viertel hat doch mal der Blabla gewohnt, und da wohnte in der gleichen Straßen ein Typ, der immer laut wiehernd und mit roten, hochhackigen Cowboystiefeln durch den Block zog.« »Oh Boy, Rote Cowboystiefel? Hammer!« – man könnte sagen, es sind Kramer-Momente im Virtuellen. Denn in jeder dieser Konversationen kommt einer plötzlich durch die Tür gestürmt und pflückt die Unterhaltung auseinander, so wie Seinfelds Nachbar Kramer es in der Show immer tut. Die Diskussion driftet schließlich ab und kommt nie wieder zurück auf die Strecke. Was folgt, ist eine Debatte darüber, ob Witze über geistig behinderte Menschen in Ordnung seien oder nicht. Auf diese Weise lässt sich die Zeit totschlagen. Im Kreise einiger Facebook-Bekannter ist das erträglich und hilft dabei, nicht wieder auf das Selbst zurückgeworfen zu werden. Womit man ja fast bei Heidegger wäre – und das ist eine schreckliche Vorstellung.
Doch wer sich durch die Kommentare auf den Websites der Medien liest, dem ist doch schnell zum Verzweifeln zumute: Jeder denkt, sein Beitrag zum Geschwätz sei so einzigartig, dass er die Rezeption seines Postings gleich mitliefert: »Haha, LOL«. Denn im Großen und Ganzen zerstören soziale Medien den Reiz der Geschwätzigkeit. Das intellektuell anspruchsvolle Wechselspiel, in dem man sich Worte wie Tischtennisbälle um die Ohren haut, funktioniert nur mit einer begrenzten Auswahl an Teilnehmern: Mit Tausenden von Leuten ergibt das Rundlaufen an der Tischtennisplatte ja auch keinen Sinn, weil kein ausgeglichener Ballwechsel zustande kommt. Die Fähigkeit, eine inhaltslose, aber dennoch ansprechende Konversation zu führen, verödet. Das Gefühl für Timing und Schlagkraft erlischt. Und was bleibt? Zeilen in Julia Engelmanns millionenfach angeklickter Lesung des Gedichts "Eines Tages, Baby", das sie für einen Poetry Slam verfasst hatte, beantworten die Frage: »Ihr fragt mich, was ich werden will. Ihr sagt mir, es wird langsam Zeit – aber ich weiß noch nicht mal, wer ich bin.«
Es sind die gleichen Ängste und Gefühle, die eingangs erwähnt wurden. Sie werden von der gefeierten Social-Media-Ikone Engelmann nur so langweilig und banal in Worte gegossen, dass man sich nicht mehr traut, sich mit irgendjemandem über seine Neurosen zu unterhalten. Man will ja nicht in diese Gefühlsduseligkeitsecke gedrängt werden. Bei ihr und ihren Fans wird aus dem Nichts des Seins ein pinkes, unbeschriebenes Poesiealbum. Und daher sollte man sich immer mal wieder eine Folge »Seinfeld« anschauen, um sich daran zu erinnern, wie sich die Zeit gekonnt totschlagen lässt.