Die Clubszene in Wien

Von Verschlafenheit kann keine Rede sein

Dem Nachtleben ist der Antifaschismus abhanden gekommen.

Die Bar verraucht, der Konzertbereich mäßig gefüllt. Ana Threat nimmt das Auftreten wörtlich und tritt mehrmals dermaßen fest mit dem Fuß auf, dass so mancher Gast zusammenzuckt. Eine souveräne Bühnenpräsenz mit Gitarre, Theremin und Drumcomputer. Würde die Künstlerin sich nicht hinter einer Halbmaske verbergen, man könnte Trotz in ihrem Gesicht erkennen. In einer Ecke heißt es, sie arbeite derzeit an ihrer Dissertation – für Österreicher vielleicht eine essentielle Information, dem Zauber der Inszenierung ist sie nicht zuträglich. Wieder tritt sie auf, rückt das Bild zurecht. Das Rhiz – es geht noch was am Wiener Gürtel. Neben wenigen anderen unscheinbaren Orten werden die ausgebauten Kasematten dieses Clubs gerade von Künstlern geschätzt, die sich jenseits des Mainstream aufhalten.
Zu ihnen zählt auch Dieter Kovacic alias Dieb13. Seit Anfang 2000 betreibt er Klingt.org, eine Plattform für experimentelle Musik. Kovacic ist Turntablist, besitzt eine Vinylschneidemaschine und spielt, wenn er nicht gerade frei improvisiert, auch mal mit einem Orchester zusammen. Er gehört zu den wenigen, die im Bereich der Experimentalmusik von ihrer Kunst leben können. Seit den neunziger Jahren habe sich die Szene verändert, sagt er. Heute sei jeder mehr mit sich selbst beschäftigt. Was er von der Grellen Forelle halte, dem wohl hipsten Wiener Club? Mit der Dance-Szene habe er zwar nie viel anfangen können, aber natürlich habe er davon gehört. Es wird ja auch viel darüber geredet.
»Grelle Forelle« ist die erste Wortkombination, die junge Touristen lernen, wenn sie nach Wien kommen. Die zweite ist »echt leiwand« (super), beide werden häufig in einem Satz genannt. »Wir wollten einen Club mit internationalem Format schaffen«, sagt Matthias Balgavy, Geschäftsführer der Grellen Forelle, die im Dezember 2011 eröffnet wurde. Dass bei der Einrichtung des Clubs der Zufall keine Rolle gespielt hat, ist offensichtlich. Dass Clubs wie das Berghain als Orientierung dienen, ebenso. 2013 sorgte ein Facebook-Posting der Grellen Forelle für Furore: »Hat keinen Platz für FPÖ-Wähler« stand da im Anschluss an die Nationalratswahlen geschrieben. Die folgende Diskussion legte offen, was wohl schon lange verloren gegangen war. »In den neunziger Jahren hat es einen antifaschistischen Konsens im Nachtleben gegeben, auch wenn er nicht ausgesprochen wurde«, sagt DJ ReSista, die seit Ende der Neunziger in der Wiener Clubszene aktiv ist. Die Stellungnahme der Grellen Forelle sei wichtig gewesen, meint sie, die ablehnenden Reaktionen hätten bewiesen, dass linke Positionen keine Selbstverständlichkeit mehr im Nachtleben sind. Dass eine Positionierung gegen die FPÖ zu solchem Protest führen würde, damit hatten die Betreiber der Grellen Forelle nicht gerechnet. Wenn ihnen nicht gerade unterstellt wurde, mit ihrer Äußerung Marketing betrieben zu haben, wollte man sie als die Engstirnigen der Debatte verurteilen. »Im Namen der Toleranz sollten wir uns das Recht vorbehalten, die Intoleranz nicht zu tolerieren«, zitiert Dierk Rossiwall von der Grellen Forelle Karl Popper. »Ein Gedanke, der im Verlauf der Diskussion zu häufig auf den Kopf gestellt wurde.«
Andere setzen nicht punktuell Zeichen, sondern integrieren politische Inhalte in ihr Programm. Das Fluc, gelegen im Schatten des Atzenmagneten Praterdome, ist einer der Orte, die über jeden Zweifel erhaben zu sein scheinen. Ein Club? Nein, nein. Viel mehr als das. Kunst! Abgefahrene Raumkonzepte! Gegenkultur! Unter großem Aufwand setzt sich ein jüngst erschienenes Buch mit dem Phänomen des Fluc auseinander. Hier wird Geschichte geschrieben. Unterhalb des Fluc befindet sich die Fluc Wanne, ein finsterer Schlauch, der in einen Floor mündet. »Fußgängerunterführung« rät man sofort richtig, nicht zuletzt das originalgetreue Treppengeländer wird dafür sorgen, dass dieser Ort seinen diskreten Charme wohl niemals einbüßen wird. So geht Großstadt.
Einen Gegenentwurf liefert die Arena, ein riesiges Gebäudeensemble, sie ist ein Dorf in der Stadt. Nur dass der Krämer nicht Senf und Mischbrot verkauft, sondern allerlei rave- taugliches Neongedöns. Wo einst Schweine geschlachtet wurden, wird heute zu 170 Bpm getanzt und jongliert. Wieso starren die Leute eigentlich alle so, fragt man sich. Und: Werden sie ihre Augen wohl je wieder schließen können? Als Ilse Gold um 3 Uhr morgens mit Vehemenz die Party für unendliche 15 Minuten ausbremsen, vergeht so manchem die Tanzlaune. Es gibt Hoffnung. »Das Wiener Nachtleben ist immer noch vielfältig«, sagt DJ ReSista. Wer zufällig aus Deutschlands Hauptstadt angereist sein sollte und Heimweh bekommen sollte: einfach ins Werk gehen. Viel kaputtmachen kann man hier nicht mehr. Und der Club ist mehr Berlin, als Berlin jemals war.