Der Start des Online-Magazins »Krautreporter«

Den Esel peitschen

Mit vielen länglichen Reportagen startet das Online-Magazin »Krautreporter«. Das journalistische Profil bleibt unscharf.

Mosambik, die Nato, Israel, Edeka, Israel, der Journalismus, Gaza, Shopping-Malls, Ebola, die Stasi, der Journalismus, Park Avenue, Israel und Gaza – das sind sie, die ersten Reportagethemen des vergangenen Freitag gestarteten Netzmagazins Krautreporter. Halt, noch nicht ganz, kurz vor Artikeldeadline kam noch eine Veröffentlichung dazu, nämlich ein Video aus der Reihe »jung & naiv«, in dem PLO- und Fatah-Sprecher Husam Zomlot interviewt wird und das die Überschrift hat: »Fatah ähnelt der SPD, Hamas wären die Christdemokraten«. Warum für diesen wenig aktuellen Themenmix 900 000 Euro eingesammelt werden mussten, statt die Reportagen dort zu veröffentlichen, wo die meisten Krautreporter ohnehin schreiben, nämlich bei den großen deutschsprachigen Printmedien, ist nicht so ohne Weiteres nachzuvollziehen, zumal die Texte beispielsweise ganz gut bei Spiegel Online hätten erscheinen können.
Neu ist die Erfindung des Mitmachlesers, der nicht nur bezahlen soll, sondern eigens in Workshops geschult werden wird, um dann was auch immer zu machen. »Am Ende«, so meint der Crowdfunding-Experte Karsten Wenzlaff in einem Interview mit Carta, werde »es so sein wie bei jedem Club: Wenn sich die Leute im Netz und offline stolz als Mitglieder präsentieren, dann wird es in der nächsten Runde attraktiv sein, die Mitgliedschaft zu verlängern oder Neumitglied zu werden.« Das von zukünftigen Lesern und zu einem größeren Teil von Jakob Augsteins Stiftung vorfinanzierte Projekt sollte zunächst aber ungefähr die Zukunft des Journalismus sein, wobei es statt der in der Finanzierungsphase versprochenen »vier bis fünf« Artikel täglich am vergangenen Sonntag gerade mal einen gab und mittlerweile nur noch die Rede davon ist, an Werktagen drei bis vier Texte zu veröffentlichen. Die sollen aber dann was ganz Besonderes sein, nämlich zeigen, wie »unabhängiger« Journalismus funktionieren kann, was gleich am ersten Krautreporter-Tag mit einem Text von Stefan Niggemeier versucht wird, der Udo Ulfkottes Buch über die angebliche Presseunfreiheit in Deutschland auseinandernimmt – allerdings ohne dabei zu erwähnen, was der Kopp-Verlag überhaupt ist, in dem das Machwerk über Medienmanipulation erschienen ist. Dabei attestierte bereits der Spiegel Kopp eine »Mischung aus Rechtspopulismus, Kapitalismuskritik und Tabubrecher-Attitüde«, während das »Gemeinschaftswerk der Evangelischen Publizistik« schrieb, die Autorenliste des Kopp-Verlags lese sich wie ein »Who-is-Who der deutschen Verschwörungsliteratur«. Dass der deutsche Journalismus gekauft und abhängig sei, gehört zu den Grundüberzeugungen der Verschwörungsszene. Die Betonung der Krautreporter in ihrer Vorgründungsphase, sie wollten unabhängigen Journalismus machen, stieß damals in sozialen Netzwerken wie Twitter und Facebook ausgerechnet bei dieser Personengruppe durchaus auf Begeisterung, entsprechend böse ist man dort auch darüber, dass Niggemeier ihren großen Helden Ulfkotte zerlegt hat.
Aber braucht man dazu wirklich die Kraut­reporter? Eigentlich nicht, zumal der hippe unabhängige Journalismus aus nichts wirklich Neuem besteht. Eine Reportage über die Park Avenue und damit die Idee, anhand der sozialen Gegensätze dieser Straße die Frage zu stellen, ob der amerikanische Traum nicht eigentlich nur noch ein Mythos sei, hat es sogar schon in einem Dokumentarfilm gegeben: Bereits im Jahr 2012 erschien der »Park Avenue: Money, Power and the American Dream« (bei 3Sat unter dem Titel »740 Park Avenue« gelaufen), in dem die South Bronx, wo die Arbeitslosenrate 19 Prozent beträgt und die Hälfte der Bewohner auf Lebensmittelmarken angewiesen ist, sowie das Leben der Superreichen ein paar Kilometer weiter nicht nur thematisiert wurden, sondern auch mehr als nur krautreporterische Alltagsbeobachtungen (»Auf Höhe der 87. Straße beweist auch ein dröhnender Ruf von links, dass hier die Dienstleistungsgesellschaft blüht. »Wuuuunderbar, Dich wiederzusehen«, kreischt eine mittelalte Dame mit mittelgroßem weißen Hund vergnügt.«) präsentiert wurden. Aber eigentlich geht es in den ersten Reportagen des Online-Magazins hauptsächlich um Israel, was natürlich daran liegen dürfte, dass während der Finanzierungsphase der Gaza-Krieg stattfand. Und so werden in gleich drei Texten Palästinenser interviewt, die allerdings kaum mehr sagen als das, was man auch überall woanders lesen kann. Die Reportage »Bis zum nächsten Knall« etwa beschäftigt sich mit einer »Spurensuche nach Waffenstillstand«, nämlich mit der Frage, warum die junge Generation »inzwischen radikalere Ansichten vertritt als ihre Eltern.« Porträtiert wird unter anderem die von ihren Fans als »neue Anne Frank« bezeichnete Farah Baker; die 16jährige hatte während des Gaza-Bombardements getwittert, sie wisse nicht, ob sie die Nacht überlebe, und unterhält ihre mittlerweile fast 200 000 Follower nun mit ihrem Hass auf Zionisten, tituliert Juden gern als »Schweinetiere« und schreibt über eine israelische Politikerin, die Frau wisse »nicht, wer ihr Vater ist« und habe »das Gesicht des Teufels«.
Warum junge Palästinenser denn nun radikaler sind als ältere, verrät der Artikel allerdings nicht, denn nach langen Beschreibungen von blau strahlendem Himmel, einem Mann, der seinen Esel peitscht, und Sätzen wie »Eine Frau geht vorbei, sie trägt Einkäufe in Plastiktüten« kommt Baker zwar kurz zu Wort, aber dann ist der Text auch schon zu Ende, jedenfalls für nichtzahlende Leser. Nur »Mitglieder bei Krautreporter können die ganze Reportage lesen«, heißt es dazu.
Dafür kann jeder die Medienrubrik lesen, ohne die Deutschland jetzt nicht wüsste, welche Magazine der dafür zuständige Redakteur Christoph Koch abonniert hat (Vanity Fair, Esquire und die Frankfurter Allgemeine Sonntagszeitung), dass sich in seinem Briefkasten ohne Abo »verschiedene Magazine und Zeitungen« einfinden, »für die meine Frau und ich schreiben: Neon und Nido, GQ und Glamour, Die Zeit und Brand Eins.« Außerdem erfahren wir, dass er von sich selbst zu Weihnachten einen Kindle bekommen hat und im Grunde kein Fernsehen guckt, dafür aber, wenn auch »nur im Badezimmer«, Radio Eins hört und Twitter seine »wichtigste tägliche Informationsquelle« ist. Die 50 Kommentare zu seinem Medientext können nur Abonnenten lesen – und das ist überhaupt mit das Beste an den Krautreportern: Es besteht keinerlei Gefahr, dass man selbst als passionierte Kommentarleseverweigerin aus Versehen oder aus Langeweile dann doch auf die Idee kommt, zu klicken, um zu gucken, was die Leute da in diesem Internet für Meinungen haben, ein immer, immer, immer scheußliches Erlebnis, das man nur dann haben sollte, wenn man gern den sofortigen Weltuntergang herbeisehnen möchte. Und so bleibt für Nicht­abonnenten auch zum Glück unbekannt, was die Krautreporter-Leserschaft dazu sagt, dass die Hamas im Grunde nur eine Art CDU ist.