Der Auftritt Wolf Biermanns im Bundestag

Kein Drachentöter weit und breit

Von Enno Park

Nicht die Linkspartei ist ein Überbleibsel vergangener Zeiten, sondern Wolf Biermann.

Wenn dem Fall der Mauer gedacht wird, ist Wolf Biermann selten weit. Viel durchgemacht hat er, und vielen in der DDR Mut gemacht. Da hat er jedes Recht, nicht nur laut zu sagen, was er vom DDR-Regime hält, sondern auch, wie er die heutige Linkspartei findet. Nur eigentlich nicht vor dem Bundestag, wo schon anderen das Mikrophon wegen Überschreitung der Redezeit abgedreht worden ist. Auf den Hinweis des Bundestagspräsidenten, er sei laut Geschäftsordnung des Bundestages zum Singen da und nicht zum Reden, antwortete er nur: »Natürlich habe ich mir in der DDR das Reden nicht abgewöhnt und das werde ich hier schon gar nicht tun.«
Wer so anfängt, sollte auch etwas Bemerkenswertes zu sagen haben. Hatte er aber leider nicht. Eher ungläubig staunend sieht man zu, wie der Liedermacher, der 1989 schon 13 Jahre im Westen lebte, sich selbst als »Drachentöter« bezeichnet, der die DDR samt Mauer quasi im Alleingang zersungen habe. Mit großer Geste tut er kund, dass es deshalb nicht mehr nötig sei, den Vertretern der Linkspartei – dem »kläglichen Rest dessen, was zum Glück überwunden ist« – noch Ohrfeigen zu verpassen, nur um genau das dann voller Hybris und Hochmut zu tun. Eher als »Die Linke«, die er »nicht links, sondern reaktionär« nennt, ist Biermann jedoch ein Überbleibsel vergangener Zeiten, ohne dies so recht zu merken. Von der Neuen Musikzeitung angesprochen, sagte er in einem Interview, die Überwachung durch die NSA berühre ihn gar nicht: Das sei nur »hysterische Propaganda-Idiotie«. Was für ein Glück, dass es nur Menschen in den Krisengebieten Afghanistans oder des Nahen Ostens betrifft, die aufgrund der NSA-Überwachung von einer Drohne getötet oder in Foltergefängnisse wie Guantánamo verschleppt werden, aber niemanden in Deutschland und keinen Wolf Biermann.
So verkommt der Festakt zur billigen Nummer. Selbstgefällig wird nicht etwa auf die Stalinisten von einst eingeschlagen, sondern auf die handzahme Linkspartei von heute, eine Partei, in der Sahra Wagenknecht sich die westdeutsche soziale Marktwirtschaft der siebziger Jahre zurückwünscht und Gregor Gysi am 9. November twittert: »Wir erneuern die Entschuldigung für begangenes Unrecht + das Bekenntnis, dass wir Demokratie + Rechtsstaat wie zwei Augäpfel zu hüten haben.« Ein Eklat ist aber nicht die Rede Biermanns, der nur ein alter Mann ist, der die Welt nicht mehr so recht zu verstehen scheint. Ein Eklat ist, dass Norbert Lammert (CDU) einen solchen Auftritt einfädelt, obwohl er als Bundestagspräsident zur Neutralität gegenüber allen Abgeordneten im Bundestag verpflichtet ist. Das wird gut gefunden, solange es nur gegen die richtigen geht. Peinlich ist, wie feixend die Abgeordneten der CDU applaudieren, als hätten sie niemals auch nur eine Blockflöte in ihren Reihen gehabt. Wäre ein anderer Liedermacher im Bundestag aufgetreten und hätte dieser sich nicht verbieten lassen, in gleicher Manier über ALG II, das Treiben des NSU, den Umgang der Regierung mit dem NSA-Skandal oder die Toten vor Lampedusa zu reden – wie weit wäre er wohl gekommen? Wie viel Applaus hätte er erhalten und von wem? Solche Fragen sind müßig, denn solch ein »neuer Drachtöter« wäre gar nicht erst eingeladen worden.