Der wachsende Einfluss von Dietmar Hopp auf die TSG Hoffenheim

Chronik eines angekündigten Erdbebens

Die Aufweichung der 50+1-Regel geht weiter: Ab der kommenden Saison wird Mäzen Dietmar Hopp die Mehrheit der Stimmenanteile beim Bundesligisten TSG 1899 Hoffenheim übernehmen.

Die Nachricht klang eher unspektakulär: Am 18. Dezember gab die TSG Hoffenheim bekannt, dass der Ligaverband DFL für eine Übernahme des Vereins durch den langjährigen Mäzen Dietmar Hopp grünes Licht gegeben hatte.
Ab 1. Juli 2015, so hieß es in der Pressemitteilung weiter, darf und wird der Gründer der Softwarefirma SAP die Stimmenmehrheit an der TSG 1899 Hoffenheim Fußball-Spielbetriebs GmbH übernehmen und damit die erste Einzelperson sein, die die Mehrheit an der Lizenzspielerabteilung eines deutschen Fußballvereins besitzt. Bis jetzt hatte es Ausnahmen nur für Firmen, genauer gesagt für die Volkswagen AG beim VfL Wolfsburg und den Bayer-Konzern bei Bayer 04 Leverkusen, gegeben.
Diese beiden Ausnahmen wurden jedoch stets mit der besonderen Historie der Clubs als Werksvereine begründet. Hopp dagegen brauchte eine Ausnahmegenehmigung, um die 50+1-Regel umgehen zu dürfen, die besagt, dass immer der jeweilige Stammverein die Mehrheitsanteile an der Lizenzspielerabteilung halten muss. Dass diese Regel nun aufgeweicht wird, liegt auch und vor allem an der beharrlichen Arbeit von Martin Kind, der seit 1997 Präsident von Hannover 96 und seit 1998 größter Anteilseigner von dessen bei weitem größten Kapitalanleger, der Hannover 96 Sales & Service GmbH & Co. KG, ist.
Kind hatte 2011 vor dem ständigen Schiedsgericht des DFB erstritten, dass Ausnahmen vom 50+1-Grundsatz möglich werden, wenn jemand sich mindestens 20 Jahre kontinuierlich bei einem Verein engagiert hat – und das wohl aus solidem Eigeninteresse, denn es gilt als gesichert, dass Kind 2018 der nächste sein wird, der eine solche Ausnahme beantragen wird.
Ein anderer Investor hat indes just zur selben Zeit, da Hoffenheim mit seiner spektakulären Nachricht an die Öffentlichkeit ging, aufgegeben. Lange Zeit war spekuliert worden, dass der Logistikunternehmer und Milliardär Klaus-Michael Kühne nun, da der Verein sich vor rund einem halben Jahr mit der Initiative »HSV-Plus« für Investoren geöffnet hatte, groß einsteigen würde beim ins Straucheln geratenen Bundesliga-Oldtimer. Nachdem eine Wirtschaftsprüfung jedoch ergeben hatte, dass er für seine bislang investierten 25 Millionen Euro gemessen am Wert des Vereins nur läppische 7,6 Prozent der Stimmenanteile bekommen würde, hat er es sich offenbar anders überlegt.
Kühne, der immer wieder versucht hatte, auf die Vereinspolitik entscheidenden Einfluss zu nehmen, kündigte kurz vor Weihnachten nicht nur seinen Rückzug an, er will vom HSV auch sein Geld zurück haben. Eine Rückzahlung würde dem Verein immense finanzielle Probleme bescheren und könnte ihn, wenn es ganz hart kommt, sogar die Lizenz kosten. Anderen Clubs hingegen dürfte die Geschichte des HSV-Sponsors als Warnung dienen, lieber dreimal darüber nachzudenken, auf welchen Investor sie sich einlassen.
Im Grunde ist es jedoch nachvollziehbar, dass derjenige, der Geld in ein Projekt steckt, auch bei den Entscheidungen mitreden will; das ist ja nicht nur im Profifußball, sondern auch in anderen Branchen so. Selbst diejenigen, die nicht direkt auf finanzielle Gewinne aus sind, wollen doch zumindest sicherstellen, dass das von ihnen investierte Geld nicht verschleudert wird.
Es ist auch nicht das erste Mal, dass der Ausstieg eines Geldgebers einen Verein in die Bredouille bringt. Nachdem einem reichen Geldgeber wahlweise das Geld oder die Lust ausgegangen war, mussten immer wieder Clubs zwangsweise absteigen oder Insolvenz anmelden. Tennis Borussia etwa stürzte nach dem Ausstieg der dubiosen Finanzgesellschaft Göttinger Gruppe über die Jahre bis in die sechstklassige Berlin-Liga ab, und auch in Ahlen, Wattenscheid und Uerdingen wurde exemplarisch vorgemacht, wie es sehr schnell bergab gehen kann, wenn sich plötzlich der Geldgeber verabschiedet.
Gleichzeitig jedoch muss man sich die Frage stellen, ob die 50+1-Regel noch zeitgemäß ist, wenn die Bundesliga weiterhin zu den drei stärksten und attraktivsten Ligen der Welt gehören will. Bereits jetzt ist der wirtschaftliche Abstand zur englischen Premier League immens. Mit ihren Spitzenvereinen mithalten können dauerhaft wohl nur diejenigen Clubs, die potente Geldgeber im Hintergrund haben.
Der Einfluss von Firmen und Mäzenen ist bereits jetzt größer, als so mancher Fan wahrhaben will. Der FC Ingolstadt etwa gehört auf dem Papier zu 19,9 Prozent einer Tochterfirma der Audi AG, ist de facto jedoch nahezu vollkommen von dem Autokonzern abhängig. Bei 1860 München hält der Jordanier Hasan Ismaik 49,9 Prozent der Stimmenanteile und 60 Prozent des Kapitals. An Borussia Dortmund ist der Chemiekonzern Evonik, an Hertha BSC das New Yorker Private-Equity-Unternehmen KKR mit je rund zehn Prozent beteiligt. An der Bayern München AG halten Adidas, Allianz und abermals Audi jeweils 8,33 Prozent der Anteile; und über RB Leipzig schließlich ist wohl schon mehr als genug geschrieben worden.
Demgegenüber finden sich unter den Vereinen, die gegenwärtig gegen den Abstieg aus der Bundesliga kämpfen, auffällig viele, die entweder ihre Profiabteilung nicht ausgegliedert haben oder aber weiterhin selbst 100 Prozent an ihr halten. Hier von einem bloßen Zufall auszugehen, wäre wohl doch etwas naiv.
Mindestens ebenso naiv wäre es jedoch, davon auszugehen, dass sich der Einfluss der Investoren einfach so beenden ließe. Ganz im Gegenteil. Der Einfluss von Unternehmen und Mäzenen auf den deutschen Profifußball wird noch weiter zunehmen, ob die Fans es nun wollen oder nicht.
Wenn diese auch weiterhin mitreden wollen, haben sie im Grunde nur drei Möglichkeiten. Entweder sie werden, ähnlich wie bei den Supporters’ Trusts in England, selbst Anteilseigner, oder aber sie setzen durch, dass ihr Verein, wo er es denn noch ist, in der Hand der Mitglieder bleibt und sind bereit, dafür notfalls auch ein paar Ligen tiefer zu spielen. Die dritte und nicht unbedingt unattraktivste Möglichkeit schließlich besteht in der Gründung eigener Vereine, wofür es beispielsweise mit dem FC United of Manchester oder dem von frustrierten Anhängern des Hamburger SV gegründeten HFC Falke auch bereits einige Vorbilder gibt.
In den oberen Ligen jedoch wird der Ausverkauf weitergehen, und nur wer sich daran beteiligt, wird die Möglichkeit haben, ganz oben mitzuspielen. Gerade in Zeiten, da es auf dem Kapitalmarkt kaum Zinsen gibt, bietet es sich geradezu an, in den nach wie vor wachsenden Markt Profifußball zu investieren. Der Einstieg von Kind und dem Drogerieunternehmer Dirk Rossmann bei Hannover 96 ist wohl nur noch eine Frage der Zeit. Weitere Investoren werden folgen.
Ob das nun dem Untergang des Fußball-Abendlandes gleichkommt oder vielmehr nur logische Konsequenz dessen ist, dass es keinen richtigen Ballsport im Falschen geben kann, ist eine Frage des Blickwinkels. Wirklich ändern aber lässt sich daran nur wenig. Diejenigen, die etwas bewirken könnten, also DFB und DFL, scheinen daran auch wenig Interesse zu haben. Sie haben die internationale Wettbewerbsfähigkeit des deutschen Fußballs im Blick, und für die braucht es Geld. Viel Geld. Und das kommt ja bekanntlich nicht aus der Wand.