Wayne Smith im Gespräch über die US-amerikanische Kuba-Politik

»Das Embargo ist überholt«

Seit einigen Wochen nähern sich die USA und Kuba diplomatisch wieder an. Die Jungle World sprach mit Wayne Smith über die Fortschritte und weiteren Aussichten dieses Prozesses. Von 1979 bis 1982 leitete er die US-Interessensvertretung in Havanna. Smith arbeitete wissenschaftlich zur US-Kubapolitik, zunächst an der John Hopkins University, später am Center for International Policy. Der 82jährige ist Zeitzeuge der kubanisch-amerikanischen Beziehungen und Mahner für Verständigung in Personalunion, heute ist er ein Kritiker der US-Embargopolitik.

Sie haben 1962 die US-Botschaft in Havanna mit anderen Botschaftsangestellten geschlossen. Nun laufen die Vorbereitungen, sie 53 Jahre später wieder zu öffnen. Überrascht Sie das?
Ja und nein, denn wer hätte schon damit gerechnet, dass es zu einer Annäherung zwischen den beiden Ländern kommen würde? Der Zeitpunkt war schon eine Überraschung und ich habe die Rede (Barack Obamas, Anm. d. Red.) damals hier in Washington gehört. Auf der anderen Seite muss man festhalten, dass nicht Kuba in der Region isoliert war und ist, sondern die isolierte Macht die USA sind. Alle anderen Staaten in der Region haben diplomatische Beziehungen mit Kuba und einzig die USA sind es, die außen vor bleiben.
Es ist offensichtlich, dass diese Politik der Isolation, der Feindseligkeit, des Embargos nichts gebracht hat.
Sie waren eine Woche nach der aufsehener-regenden Rede von Barack Obama vom 17. Dezember 2014 in Havanna. Wie haben Sie die Reaktionen der Kubanerinnen und Kubaner auf der Straße wahrgenommen?
Überaus positiv, die Menschen in Havanna freuen sich über die Annäherung in der Politik, hoffen auf Verständigung, ein Ende des Handelsembargos und waren freudig optimistisch.
Panama hat sich frühzeitig entschieden, Kuba zum alle drei Jahre stattfindenden Amerika-Gipfel einzuladen. Das Treffen solle Raum für Dialog bieten, argumentierte die Regierung. Ein Denkanstoß für die USA?
Ja, sicherlich, die USA haben in den vergangenen Jahren immer wieder signalisiert bekommen, dass ihre Politik gegenüber Kuba vom Rest der Staaten der Region nicht mitgetragen wird. Die USA waren isoliert, ihre Politik war kontraproduktiv und zum Glück hat Präsident Barack Obama das eingesehen und den Wandel eingeleitet.
Gab es noch weitere Gründe für den Politikwechsel im Weißen Haus?
Nein, ich denke, das war der zentrale Grund. Die Freilassung von Alan Gross war ein gewünschter Nebeneffekt, aber kein zentraler Grund.
Die erste Verhandlungsrunde zwischen Roberta Jacobson und Josefina Vidal in Havanna ist vorüber. Entsprach sie Ihren Erwartungen?
Es war ein Auftakt und es haben sich grundsätzliche Positionen abgezeichnet. Es war aber schon vorher klar, dass es eine ganze Reihe von Gesprächsrunden geben wird, um zu Ergebnissen zu kommen. Ich denke, dass es positive und konstruktive Gespräche waren. Ich bin sehr optimistisch, was den Ausgang der Gespräche angeht.
Was sind, neben den Regelungen zur Einwanderung in die USA, die wichtigsten Punkte der Agenda?
Relativ einfach zu bewerkstelligen ist die Wiedereröffnung der beiden Botschaften. Sie haben faktisch ihre Arbeit nur partiell eingestellt. Die Botschaftsangestellten werden in Havanna und auch in Washington zukünftig einen größeren Bewegungsradius haben, aber die Unterschiede zwischen der täglichen Arbeit einer Botschaft und einer Interessenvertretung sind nicht so gravierend. Deutlich schwieriger sind die Migrationsgespräche, die Frage des Embargos und des Militärstützpunkts Guantánamo.
Sie waren Ende Dezember in Havanna, wie haben Sie die ökonomische Situation wahrgenommen?
Die Wirtschaft ist weiterhin in einer schwierigen Situation. Aber es ist leichter als früher, ein eigenes Geschäft aufzumachen, und ich denke, die von Barack Obama anvisierten Lockerungen des Embargos werden einen positiven Effekt haben.
Wie schätzen Sie die ökonomischen Reformen der Regierung von Raúl Castro ein? Haben sie einen sichtbaren positiven Effekt?
Bisher sind strukturelle Änderungen in der Wirtschaftspolitik nicht zu erkennen. Ich sehe wenig Anzeichen einer Liberalisierung der Wirtschaft, es ist nach wie vor eine zentralisierte, kontrollierte Wirtschaft. Aber im ökonomischen Bereich ist Raúl Castro deutlich pragmatischer als sein Bruder.
Fidel Castro war lange aus der Öffentlichkeit verschwunden. Was hat man Ihnen über seinen Gesundheitszustand berichtet?
Nichts, aber es ist naheliegend, dass er nach wie vor krank ist.
Aus historischer Perspektive: Was ist der zentrale Erfolg Fidel Castros?
55 Jahre sind eine schrecklich lange Zeit des politischen Überlebens. Kuba diese Zeit politisch über Wasser gehalten zu haben, ist ein Erfolg Fidel Castros. Als ich damals Anfang der sechziger Jahre meine diplomatische Karriere in der US-Botschaft in Havanna begann, prognostizierten alle, dass sich Castro nicht lange halten kann. 55 Jahre später ist er immer noch da, wenn auch krank, aber das System, das er aufgebaut hat, wird überleben. Das glaube ich zumindest.
Aber tragen die zentralen Errungenschaften der Revolution denn noch?
Das Bildungssystem schon, das medizinische System weniger und das Wirtschaftssystem ist das große Problem. Aber man sollte nicht vergessen, dass niemand hungert. Das System, das Fidel Castro auf der Insel implementiert hat, ist kein totaler Fehlschlag.
Wie beurteilen Sie die Chancen der Aufhebung des Handelsembargos?
Ich bin mir sicher, dass das Handelsembargo aufgehoben wird. Nicht umgehend, denn das lassen die Verhältnisse im Kongress nicht zu, aber die Sanktionen sind überholt, ein Relikt des Kalten Krieges. Und man kann derartige Maßnahmen nicht ewig in Kraft lassen, wenn sie den damit verbundenen Zielen zuwiderlaufen.
Die Republikaner im Kongress drohen, am Embargo festzuhalten – ist das ernst zu nehmen?
Das sind die politischen Mechanismen, die nun greifen. Aber das Embargo ist derart überholt, dass die Republikaner an einer Aufhebung über kurz oder lang nicht vorbeikommen. Die Tage des Embargos sind gezählt, aber es wird noch etwas dauern, denke ich.
In Kuba und auch in Miami wird diskutiert, ob der »Cuban Adjustment Act« enden könnte. Jenes Gesetz, das im November 1966 verabschiedet wurde und allen Kubanerinnen und Kubanern, die die USA »trockenen Fußes«, also nicht per Boot, erreichen, ein Aufenthaltsrecht und Hilfe zubilligt. Denken Sie, dass auch die Tage dieses Gesetzes gezählt sind?
Das ist eine spannende Frage und die war bereits Thema bei den offiziellen Gesprächen zwischen Kuba und den USA. Ein Ende des Gesetzes hätte für die Kubaner einen spürbaren Effekt, sie würden ihren Sonderstatus verlieren und den Immigranten aus Mittel- und Südamerika gleichgestellt. Ob es dazu in absehbarer Zeit kommt, weiß ich nicht. Aber die Gerüchte kommen nicht von ungefähr.
Kubanerinnen und Kubaner sind gut ausgebildet und außerhalb Kubas oft wirtschaftlich erfolgreich. Was sind die Gründe dafür, dass die kubanische Wirtschaft seit Jahrzehnten von Auslandszuflüssen abhängt?
Das kubanische System ist nicht konzipiert, um produktiv zu sein. Das könnte sich mit den von Raúl Castro initiierten Reformen ändern, aber sicher ist das nicht. Er hat letztlich eine Revision des Modells vorgenommen, aber wie weit er bereit ist zu gehen, ist nicht absehbar. Sicher ist, dass es so nicht weitergeht, weil die Binnenökonomie nicht funktioniert, die Abhängigkeit groß ist und ich denke, dass es weitere Reformen geben wird. Man kann das System verbessern und dann wäre es auch überlebensfähig.