Die Debatte über »Islamophobie« in den USA

Jihad ohne Islam

Nachdem in Chapel Hill drei Muslime erschossen wurden, entbrennt in den USA eine Kontroverse über »Islamophobie« und Islamismus.

Am 10. Februar erschoss Craig Stephen Hicks in Chapel Hill (North Carolina, USA) seine drei Nachbarn in ihrer Wohnung, kurz darauf stellte er sich der Polizei und gab einen »Parkplatzstreit« als Motiv an. Die Opfer – Deah Shaddy Barakat, seine Frau Yusor Abu-Salha und ihre Schwester Razan Abu-Salha – waren Muslime, der Täter war überzeugter Atheist. Die Angehörigen der Opfer forderten deshalb eine Untersuchung des Falles als hate crime, politische Führer unter anderem aus Saudi-Arabien, der Türkei, der Islamischen Republik Iran und den palästinensischen Gebieten sprachen von Terrorismus und sahen Leben und Freiheit von Muslimen in den USA gefährdet. In sozialen Medien wurde unter dem Hashtag #muslimlivesmatter gegen Hass auf Muslime protestiert und Solidarität gezeigt.
Belege für spezifischen Hass des Täters auf Muslime oder gar einen politisch motivierten Terroranschlag sind bislang nicht aufgetaucht, auch nicht bei der Auswertung seines Facebook-Profils. »Verwandte und Freunde der Opfer suchen verständlicherweise nach etwas Tieferem hinter dem Tod ihrer Geliebten. Und es mag wohl existieren. Aber es ist ebenso möglich, dass es ein weiterer Fall von Wut, Frustration und Stress war, furchtbar vergrößert durch eine Pistole«, war am Samstag in einem Kommentar auf thestate.com zu lesen, der den Lesern nahelegte, im Netz nach »parking space and gun« zu suchen – »alle Arten von Schießereien tauchen auf«.
Warum trotz ungeklärter Motivation des Mörders insbesondere Muslime in den USA die Tat als Terrorakt und Hassverbrechen wahrnahmen, kann der Studie »Fear, Inc. 2.0« entnommen werden, die einen Tag nach den Morden vom Think Tank »Center for American Progress« (CAP) veröffentlicht wurde. In der Studie sowie auf der interaktiven Website islamophobianetwork.com wird ein »Islamophobie-Netzwerk« aus Finanziers, Think Tanks, »muslimischen Gewährsleuten«, Politikern, Medien und Aktivisten beschrieben, das islamfeindliche »Falschinformationen und Hasspropaganda« verbreite und damit »grundlegende amerikanische Werte« wie religiöse Toleranz und Minderheitenschutz angreife.
Als Beispiel für »islamophobe« Aktivitäten nennt das CAP über 100 Gesetzesinitiativen, welche die Anwendung der Sharia an US-Gerichten verbieten sollen. Für das CAP handelt es sich um eine reine Hass- und Angstkampagne gegen eine nicht existente Drohung, unter anderem weil die Bundesverfassung bereits klar die Ersetzung der US-Gesetze durch religiöses Recht ausschließe. In acht Bundesstaaten wurden bislang Anti-Sharia-Gesetze verabschiedet, darunter 2013 auch North Carolina.
Daniel Pipes, der Präsident des Middle East Forum und CAP zufolge, ein prominenter Teil des Netzwerks, reagierte auf die Studie mit dem Hinweis, dass Islamisten weltweit regelmäßig Anlass für negative Aufmerksamkeit gäben, deshalb »sollte das CAP vielleicht eher den Islamisten selbst und weniger uns Kritikern die Schuld an der Furcht vor dem Islam geben«.
Doch wie über islamistische Untaten berichtet werden soll, ist Gegenstand einer fortlaufenden Kontroverse. Mohammed Abu-Salha, der Vater der in Chapel Hill ermordeten Schwestern, sagte dem Fernsehsender MSNBC: »Die Medien bombardieren alle Amerikaner jeden Tag mit Neuigkeiten über das, was sie islamischen Terrorismus nennen – nichts davon ist im Geringsten islamisch –, und sie bereiten die Menschen auf solche Tragödien vor, sie lösen sie aus und provozieren sie.«

Auch auf der Website thinkprogress.com, die mit dem CAP verbunden ist, wird immer wieder vor »gefährlich falschen« Berichten gewarnt, und damit ist keinesfalls nur paranoide Hetze im Internet oder bei Fernsehsendern wie Fox News gemeint. Kritisiert wurde zuletzt der vielbeachtete Text »What ISIS Really Wants« von Graeme Wood, erschienen im Magazin The Atlantic. Wood arbeitet ausführlich den islamisch-apokalyptischen Anteil an der Ideologie von Isis (aka IS) heraus und kritisiert eine »gutgemeinte, aber unehrliche Kampagne, welche die mittelalterlich-religiöse Natur des Islamischen Staats leugnet«. Jack Jenkins, Religionskorrespondent bei thinkprogress.com, veröffentlichte am 18. und 20. Februar zwei ausführliche Repliken. Für ihn spielen Autoren wie Wood dem IS in die Hände, wenn sie diesem kohärenten und legitimen Bezug auf unveränderliche islamische Grundlagen attestierten. Gleichzeitig würden damit die vielen muslimischen IS-Kritiker als »schlechte« oder »unwissende« Muslime dargestellt und delegitimiert.
Hier liegt Jenkins ganz auf der Linie von Präsident Barack Obama, der vorige Woche in Washington auf einer Konferenz gegen »gewalttätigen Extremismus« sprach: »Wir sollten diesen Terroristen nicht die religiöse Legitimität gewähren, die sie suchen. Sie sind keine religiösen Führer – sie sind Terroristen.« Auch viele linksliberale Medien vermeiden oft jeden Hinweis auf die islamistische Motivation und Ideologie von »Extremisten«.
In der Online-Zeitung Times of Israel kritisierte der US-Politikwissenschaftler Jeffrey Herf am 22. Februar dagegen eine »Ära des Euphemismus in der amerikanischen politischen Geschichte«. George W. Bush habe Krieg gegen »Terror« geführt, Obama bekämpfe »gewalttätigen Extremismus«, deshalb sei »die Lücke zwischen der Sprache der US-Regierung und der Realität islamistisch inspirierten Terrors und Barbarei zu einem Abgrund« geworden. Besonders skandalös sei die Weigerung Obamas gewesen, bei der Kommentierung der Morde in einem koscheren Supermarkt in Paris im Januar die Identitäten der Opfer und der Täter und damit den islamistisch-antisemitischen Charakter der Tat zu benennen.
Nach den Morden in Chapel Hill wurde im Rahmen von #muslimlivesmatter rhetorisch gefragt, wie die Reaktionen ausfallen würden, wenn ein Muslim drei Nicht-Muslime ermordet hätte. Die Antwort wäre wohl nicht so eindeutig, wie die Fragenden nahelegten.