Der Sieg des Likud war keine Überraschung

Bibi, frisch gestärkt

Die israelischen Parlamentswahlen am 17. März haben Benjamin Netanyahu vermutlich eine weitere Amtszeit als Ministerpräsident beschert. Die linken zionistischen Kräfte sind die Verlierer der Wahl, denn es ist so gut wie sicher, dass Netanyahu eine rechte Regierungskoalition zusammenstellen kann.

Großer Jammer machte sich vor allem im »Staat Tel Aviv« breit, unter den aus Europa stammenden Eliten in Israel. Viele reden nun verzweifelt von Auswanderung. Sie hatten ernsthaft mit einem »Wandel« gerechnet, also mit einem Sieg der Zionistischen Union unter Yitzhak Herzog. Tatsächlich hatten Umfragen vor der Wahl auf diese Möglichkeit hingedeutet und auch am Wahlabend sah es zunächst so aus, als könnte es knapp werden. Doch am Morgen darauf war klar, dass Benjamin Netenyahu trotz feindseliger Presse, Drucks aus dem Ausland und persönlicher Attacken die israelischen Wahlen deutlich gewonnen hatte. Seine Partei Likud erhielt 30 Mandate, die Zionistische Union nur 24. Zusammen mit anderen Parteien des »rechten Blocks« möchte Netanyahu am 22. April seine neue Regierung vorstellen. 67 Abgeordnete haben bereits angekündigt, ihn zu unterstützen, es sieht also so aus, als könne er eine deutliche Mehrheit der 120 Sitze im Parlament hinter sich versammeln. Seine neue Regierung dürfte stabiler werden als die bisherige – ohne Mitte-links-Partner wie Yair Lapid oder die Partei »Die Bewegung« von Tzipi Livni.
Der Zusammenschluss von Livnis »Bewegung« mit Yitzhak Herzogs Arbeiterpartei Avoda unter dem Namen »Zionistische Union« gestand inzwischen schwere Fehler ein. So habe man die Peripherie mit den orientalischen Juden völlig ignoriert. Dort gibt es Hochburgen des Likud, die Ne­tanyahu zu seinem deutlichen Sieg verholfen haben. Doch vor allem beschuldigt das Mitte-links-Bündnis Netanyahu, im Wahlkampf eine »Gewalt-Kampagne« geführt zu haben. Er habe mit »Angstmache« die Likud-Wähler gelockt. Tatsächlich hatte Netanyahu in den Wochen vor der Wahl rhetorisch kräftig aufgerüstet. Allerdings lag der Schwerpunkt der Zionistischen Union in ihrem Wahlkampf ebenfalls darauf, Angst zu schüren, Angst vor Netanyahu. Eine Losung lautete zum Beispiel: »Israel vor Bibi retten«.
Einen schweren Rückschlag erlitt die Zionistische Union auch wegen eines Auftritts des Künstlers Yair Garbuz. Der hatte bei einer Demonstra­tion der Linken in Tel Aviv alle Juden des »Götzendienstes« bezichtigt, die eine Mesusa küssen, wie sie an jedem Türpfosten eines jüdischen Hauses hängt, und die die Heiligengräber verehren. Man könnte dies vergleichen mit einem Ratschlag an Katholiken, das Bekreuzigen oder das Entzünden einer Kerze vor einer Heiligenfigur in der Kirche als Götzendienst zu betrachten. So hatte Garbuz nichtorthodoxe, aber traditionell gesinnte Juden an einem empfindlichen Nerv getroffen. Die Zionistische Union galt für viele von ihnen als nicht mehr wählbar, wenn dort harmlose jüdische Sitten verunglimpft würden.

Einen Rückgang der Stimmen verzeichneten auch die orthodoxen Parteien. Von 18 Mandaten in der vorigen Knesset blieben nur 13 übrig. Ein Grund dafür war die Spaltung der einst starken Shas-Partei orthodoxer sephardischer Juden. Eli ­Ischai, ehemaliger Innenminister, hatte sich wegen theologischer Differenzen über das Erbe des 2013 verstorbenen geistigen Übervaters, Rabbi Ovadja Josef, mit Arieh Derri überworfen. Ischais Partei scheiterte an der Sperrklausel. Die Shas erhielt sieben, die Partei Vereinigtes Thora-Judentum sechs Mandate.
Andere Parteien sind weit abgeschlagen untergegangen. Die ultraorthodoxe Ruth Colian zum Beispiel, die sich für die Vertretung frommer Frauen in orthodoxen Parteien engagiert, hatte zwar große Aufmerksamkeit in europäischen Medien erhalten, bei den Wahlen erhielt sie jedoch nur insgesamt 1 858 Stimmen. Bei Shas und dem Vereinigten Torah-Judentum steht keine Frau auf der Mandatsliste. In orthodoxen Zeitungen werden Frauengesichter wegretuschiert. Colian wird ihren Kampf dagegen weiterhin außerparlamentarisch führen müssen.
Die Orthodoxen leben in Israel in selbstgeschaffenen Ghettos. Sie interessieren sich nur für ihre Heiligen Schriften. Auf die Barrikaden gingen sie, als der frühere Finanzminister Yair Lapid, der mit seiner liberalen Partei Yesch Atid elf Sitze in der neuen Knesset errang, sie zum Militärdienst rekrutieren, in die Gesellschaft und den Arbeitsmarkt integrieren wollte. Die Orthodoxen sind politisch neutral bei der Siedlungspolitik und dem Friedensprozess. Die orthodoxen Parteien beteiligten sich in der Vergangenheit an fast allen Koalitionen, ohne Minister zu stellen. Sie forderten Zuwendungen für ihre Erziehungseinrichtungen und stimmten ansonsten mit der Regierung.

Eine echte Quittung erhielt bei den Wahlen Außenminister Avigdor Lieberman. Er hatte während des Wahlkampfs davon gesprochen, man müsse »unloyalen Arabern mit der Axt den Kopf abschlagen«. Dieser Spruch, für den sich Lieberman am Tag danach entschuldigte, wurde zwar zunächst nur im Ausland aufgegriffen, doch mit dreitägiger Verzögerung wurde er dann auch in Israel angeregt diskutiert und stieß selbstverständlich auf viel Empörung und Widerspruch. Auch den rechtsgerichteten Anhängern Liebermans ging das deutlich zu weit. Sie bereiteten ihm eine krachende Niederlage. Liebermans Partei Israel Beitenu erhielt nur noch sechs Mandate. Einst saß sie mit 15 Mandaten in der Knesset.
Aiman Odeh hingegen, der Vorsitzende der sozialistischen Partei Hadash, durfte sich freuen. Sein neues Bündnis mit arabischen Parteien wie Balad und Ta’al erhielt unter dem Namen »Vereinigte Arabische Liste« 13 Mandate. In diesem Zweckbündnis haben sich Islamisten, Kommunisten, Pro-Palästinenser und Nationalisten zusammengeschlossen. Da verwundert es nicht, dass Aiman Odeh trotz des guten Ergebnisses auch bereits »große Sorge« äußerte; er wage nicht vorherzusagen, wie man das Bündnis aus derart unterschiedlichen Partnern zusammenhalten könne. In jedem Fall wird der Aufstieg der Vereinigten Arabischen Liste zur drittstärksten Kraft im israelischen Parlament allgemein als »historisches Ereignis« bewertet und das ist nicht ganz abwegig. Unklar ist nur, ob sie diese Kraft nutzen kann, um ihren Wählern mit mehr Geldern für Schulen, Straßenbau und anderen Dingen zu helfen.

In den kommenden Wochen wird Netanyahu Koalitionsverhandlungen führen. Die wird er gestärkt angehen. Denn er hat gesiegt trotz der leidenschaftlichen gegen seine Person gerichteten Kampagnen seiner innenpolitischen Gegner und trotz der Medien des Auslands, die wie die New York Times und der Spiegel gegen Netanyahu Stimmung machten, was auch in Israel zur Kenntnis genommen wurde. Da wurde mit falschen Tatsachenbehauptungen, Klischees und Emotionen Hass auf Netanyahu geschürt. Israel sei nur zu retten ohne ihn, hieß es immer wieder. Zum »Bürgerkrieg« gekürte Streitereien mit den Orthodoxen und zur Überlebensfrage erhobene Friedensverhandlungen mit den Palästinensern sowie die angebliche Panikmache Netanyahus vor einer ira­nischen Atombombe weckten im Ausland den Eindruck, als sei Netanyahu das größte Unglück für Israel.
Sicher, die Friedensverhandlungen mit den Palästinensern sind wichtig. Doch in Israel weiß man auch, dass man die Proportionen im Auge behalten muss. Die Palästinenser haben mehrfach Krieg gegen Israel geführt. Die »al-Aqsa-Intifada« ab dem Jahr 2000 hat über 1 000 Israelis das Leben gekostet. Dann gab es trotz oder auch wegen des Rückzugs aus dem Gaza-Streifen 2005 mehrere Kriege der Hamas mit Tausenden Raketen auf Israel, zuletzt im Sommer vorigen Jahres. Außerdem haben Terroranschläge in den vergangenen Monaten weiter zur Verschlechterung der Sicherheitslage in Israel beigetragen. Seit dem Scheitern der von US-Außenminister John Kerry geführten Friedensgespräche sind es die Palästinenser, die sich weiteren Gesprächen verweigern.

Zudem sieht man in Israel auch noch ganz andere Gefahren. Im Libanon droht eine bis an die Zähne bewaffnete, direkt vom Iran unterstützte Terrormiliz, die Hizbollah. Syrien befindet sich in einem Zustand der Auflösung mit über 200 000 Toten in einem grausamen Bürgerkrieg. Der »Islamische Staat« (IS) ist auf dem Vormarsch im Irak, bombt offenbar in Tunesien und ist im Jemen in der Offensive. Der Jemen hat für die ganze Welt eine strategische Bedeutung, weil er die Meerenge von Bab al-Mandab kontrolliert. Sie bildet den Zugang zum Roten Meer und somit zum Suezkanal und zum israelischen Hafen Eilat. Durch diese Wasserwege wird ein Großteil des Welthandels abgewickelt. Sogar im benachbarten ägyptischen Sinai hat der IS Fuß gefasst. Angesichts all dieser Gefahren aus der arabischen Welt spielen die Palästinenser derzeit nur noch eine untergeordnete Rolle.
Auch die Bedrohung durch den Iran bereitet den Israelis größere Sorgen, als das im Ausland oftmals zur Kenntnis genommen wird. Netan­yahus zahlreiche Aussagen zu diesem Thema haben ihm durchaus Wählerstimmen eingebracht. Denn hinsichtlich der Atomverhandlungen mit dem Iran herrscht in Israel weitgehend Einigkeit. Netanyahu werden bestenfalls Stilfragen vorgeworfen, etwa dass er den US-Präsidenten Barack Obama mit dem unangemeldeten Auftritt vor dem Kongress düpiert habe. Zwar gibt es ernsthafte Diskussionen über eine drohende weitere Isolation Israels und Netanyahus Außen­politik wird in Hinblick darauf von vielen politischen Kräften im Lande heftig kritisiert. Doch andere Gefahren werden letztlich von einer Mehrheit als größer angesehen: Wenn, so die Ängste, der Iran eine Atombombe hat und diese über Tel Aviv abwirft – in Teheran drohte ein hochrangiger Revolutionsgardist erst jüngst wieder mit einem Raketenangriff auf die Küstenstadt –, wäre die Isolation Israels ziemlich irrelevant.