Eine Pauschale wäre eine Ausländermaut im ÖPNV

Jeder drei Kühe

Eine Zwangsabgabe aller Bürger für Bus und Bahn ist weder sinnvoll noch gerecht.

Obwohl ich bei der Verwendung des Akronyms ÖPNV meist ins Stottern komme (und lieber meine Zunge verschlucken würde, als »Öffis« zu sagen), es ist schon gut, dass es ihn gibt, den Öffentlichen Personennahverkehr. Zwei bis dreimal im Monat greife auch ich darauf zurück, und manchmal kaufe ich sogar einen Fahrschein. Im Schnitt belastet der ÖPNV meine monatliche Haushaltskasse also mit einem gefühlten Nichts von um die fünf Euro. Weil ich aber weiß, dass andere Menschen täglich darauf angewiesen sind, war ich immer schon Befürworter kostenloser Beförderung. Schöne Vorstellung: Bus und Bahn ohne diese grässlich gelben Fahrscheinautomaten und martialischen Kontroll-Orks, steuerfinanziert und frei für alle.

Derlei gebratene Täubchen mit Honigmilch sind aber nicht gemeint, wenn Linksparteiler und Grüne in Berlin nun lautstark über ein »Bürgerticket« nachdenken. Dieses sollen nämlich nur Berliner erhalten. Automaten und bullige Ausweisträger werden also weiterhin gebraucht, um das einzutreiben, was man dann als Ausländer­maut im ÖPNV bezeichnen könnte. Damit diese Maut ihren schönen Namen auch zu Recht tragen kann, wird man allerdings den Ideengebern noch klar machen müssen, dass es neben Touristen und Berlinern auch Heerscharen von Pendlern auf unseren Schienen gibt. Ist diese grandiose Erkenntnis erst eingesickert, wird sicher einer jener Politfüchse, die uns diese dämliche Debatte eingebrockt haben, auf die Idee kommen, zusätzlich ein »Bürgerticket 2« für den Speckgürtel zu fordern. Und wenn das dann ebenfalls per »bürgerlicher« Zwangsabgabe finanziert wird, zahlen uns am Ende die Brandenburger unseren ÖPNV – super!
Allein, das werden sie nicht wollen, die Brandenburger. Da wird es heißen: »Ick wohn’ in Kotzow und maloche in Bleppow – ick brooch euer blödet Ticket nich’!« Tja, und damit hätten sie vollkommen recht. Warum sollte man für ­einen Service zahlen, den man nicht braucht?
Bei mir ist es so, dass ich mir Ziele im Umkreis von fünf Kilometern gerne erlaufe, und da ich in Kreuzberg wohne, gibt es nicht viel außerhalb dieses Radius, wohin es mich zieht. Sollte ich aber (wieso auch immer) doch mal nach Spandau oder Hellersdorf müssen, und ebenso wenn ich es eilig habe oder schwere Dinge transportiere, benutze ich mein Auto. »Umweltsau!« höre ich da die Befürworter des »Bürger­tickets« spontan ausrufen. »Genau deswegen sollst du für unsere Tickets mitbezahlen!« Ich aber antworte: »Die meisten meiner Freunde sind Radfahrer und halten schon euch mit euren Bussen und Bahnen für Umweltsäue.«
Nein, dieser moralinsaure ökoideologische Diskurs führt zu nichts. Nur Armut oder Irrsinn lassen Menschen freiwillig Kühlschränke mit der U-Bahn transportieren oder täglich von Frohnau nach Treptow radeln. Urbanes Leben benötigt verschiedene Formen von Mobilität und manche davon verbrauchen eben mehr Energie als andere. Dass jene, die täglich größere Strecken zurücklegen müssen, den ÖPNV nutzen, ist zweifellos sinnvoll, und eine kostenlose BVG würde sicher noch mehr Leute auf die Schiene bringen. Aber: Kostenlos soll dieses »Bürgerticket« ja gar nicht sein. Von 15 Euro schwadronieren die Grünen, »Die Linke« schon von 30, und man muss kein Hellseher sein, um zu wissen, dass der tatsäch­liche Preis deutlich höher ausfallen und zudem jährlich steigen würde – genau wie Fahrkartenpreise von heute. So ist das halt im Kapitalismus.

Was die Idee jedoch so richtig grotesk macht, ist die Tatsache, dass diese neue Zwangsabgabe, wie zuvor schon die Rundfunkgebühr, nicht nur unabhängig von der tatsächlichen Nutzung, sondern auch unabhängig vom Einkommen erhoben werden soll. Damit ist der neoliberale Gleichheitsbegriff, der meist dahintersteckt, wenn irgendwo »Bürger« draufsteht, nun wohl auch bei den Linken endgültig angekommen. Tschüssi Klassengesellschaft.
Nein, liebe »Bürgerticket«-Fans, wenn ein Immobilieninvestor und sein Chauffeur dasselbe zahlen, dann zahlen sie noch lange nicht das Gleiche. Das Gleiche zahlen sie nur dann, wenn man den Preis prozentual vom Einkommen ableitet. Diese »Gleichmäßigkeit« wurde bereits vor 250 Jahren von Adam Smith zum steuerlichen Grundsatz erklärt, und selbst im finsteren Mittelalter zog man offiziell den »zehnten Teil« ein und nicht pauschal drei Kühe von jedem. Wenn ich also für etwas zahlen soll, das ich kaum nutze, dann bitte einkommensabhängig und vor allem: für alle, ohne Ausländermaut. Denn, wenn wir Berliner uns nicht mehr in den bizarren Untermenüs der BVG-Automaten zurechtfinden, wer soll dann den armen Touristen helfen?