Durch die expansive Geldpolitik entsteht eine neue Finanzblase

Mehr Geld als Verstand

Durch die Fortsetzung der expansiven Geldpolitik in Europa und den USA entsteht eine Blase auf dem Aktienmarkt. Ihr Platzen ist nur eine Frage der Zeit.

Während die meisten Ökonomen von der Finanzkrise der Jahre 2007/2008 überrascht wurden, mangelt es heute nicht an Warnungen. Bereits in ihrem 83. Jahresbericht aus dem April des Jahres 2013 ermahnte die Bank für Internationalen Zahlungsausgleich (BIZ), ein Zusammenschluss von 60 Zentralbanken, ihre Mitglieder, die Europäische Zentralbank (EZB), die US-amerikanische Federal Reserve (Fed) und die anderen relevanten Notenbanken, nachdrücklich. Da deren Bilanzen »insgesamt etwa auf das Dreifache des Vorkrisenniveaus angestiegen« seien, sei es dringend notwendig, »die nach wie vor langsam wachsenden Volkswirtschaften zu einem kräftigen und nachhaltigen Wachstum zurückzuführen«.
Zu diesem Zweck forderte die im schweizerischen Basel ansässige Institution »Strukturreformen im Wirtschafts- und Finanzbereich«, deren unbedingte Voraussetzung eine Beendigung der expansiven Geldpolitik sei, der sich seit Ausbruch der Krise viele Notenbanken verschrieben haben. »Billiges Geld macht es eben leichter, Schulden aufzunehmen anstatt zu sparen, Geld auszugeben anstatt Steuern zu erheben und weiterzumachen wie bisher anstatt etwas zu verändern«, schrieben die Analysten der BIZ.
Zwei Jahre später haben sich die Verantwortlichen der Notenbanken immer noch nicht zu diesem empfohlenen Kurswechsel durchringen können. Im Gegenteil: Während die Europäische Zentralbank durch den Ankauf von Staatsanleihen in Höhe von 1,14 Billionen Euro den Markt mit zusätzlichem Geld versorgt und die Zentralbanken fast aller Staaten ihre expansive Geldpolitik durch die Senkung ihrer Leitzinsen fortsetzen, hat auch die Fed den angekündigten Rückzug aus dieser Politik um mehrere Monate aufgeschoben (Jungle World 15/2015).
Anfang April machte der ehemalige Chefberater der BIZ und derzeitige Vorsitzende des Economic Review Committee der Organisation für Wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (OECD), William R. White, seinem Ärger über die Nichtbeachtung der Warnungen im Gespräch mit dem neoliberalen britischen Wirtschaftsforschungsinstitut Cobden Centre Luft. Nicht nur, dass das Ausstatten der Märkte mit gigantischen Geldsummen bisher keinen nachhaltigen Aufschwung bewirkt habe, die »damit verbundenen unerwünschten Nebenwirkungen dürften sich im Laufe der Zeit immer stärker aufbauen«, sagte White, der auch schon für die Notenbanken Großbritanniens und seines Herkunftslandes Kanada tätig war. »Diese Politik muss rückgängig gemacht werden. Aber ich sehe niemanden, der das tut«, beurteilte White abschließend.
Natürlich könnte man diese Warnungen auch der Frustration eines alten neoliberalen Kämpen zuschreiben, der, sekundiert von Hunderten gleichgesinnter Think Tanks wie etwa dem Münchener Ifo-Institut für Wirtschaftsforschung, gebetsmühlenartig auf die Selbstheilungskräfte des Marktes verweist. Wenn sich nicht die nächsten Blasenbildungen in der Weltwirtschaft schon abzeichneten. Denn nach der Immobienblase kündigt sich nun die der Unternehmen an.
Im US-Finanzportal Zero Hedge hat David Stockman, ehemaliger Budgetdirektor des US-Präsidenten Ronald Reagan und Gesinnungsgenosse von White, dazu unlängst aktuelle Zahlen vorgestellt, deren Aussagekraft nicht mit dem Hinweis auf den politischen Standort des Autors zu entkräften ist: »Auf dem Höhepunkt der letzten Finanzblase (2007/2008) erreichte der globale Aktienmarkt einen Spitzenwert von 60 Billionen Dollar. Infolge der Lehman-Kernschmelze (…) ist er auf knapp 25 Billionen abgestürzt. Der aktuelle Wert der neuen Aktienblase liegt bei 80 Billionen Dollar (und entspricht damit in etwa der Weltwirtschaftsleistung im vergangenen Jahr, A. B.), dank der abenteuerlichen Rücksichtslosigkeit, mit der die Zentralbanker weltweit Geld ins System gepumpt haben.« Der Titel des Artikels: »Zentralbanker bedienen Weltuntergangsmaschine«.
Diese Entwicklung gilt zunächst für die New Economy. Längst wurde hier der Rekordindex der an der New Yorker Technologiebörse Nasdaq gelisteten Unternehmen aus dem Jahr 2000 – kurz vor dem Platzen der Dotcom-Blase – gebrochen. Um 300 Prozent hat der Nasdaq seit 2009 zugelegt. Im Schnitt werden die Unternehmen dort mit einen Kurs-Gewinn-Verhältnis von 24:1 bewertet. Als normal gilt eine Relation von 14:1. Zwar ist man dabei noch weit vom Stand des Jahres 2000 entfernt, als der Durchschnittswert der Unternehmen beim Hundertfachen des Jahresgewinns lag, aber die Überbewertungen nehmen immer absurdere Formen an.
So ist derzeit etwa der Zimmervermittlungsdienst Airbnb mit 20 Milliarden US-Dollar an der Börse mehr wert als jede Hotelkette – und dies bei einem Jahresgewinn von nur etwas mehr als zehn Millionen Dollar. Der Fahrvermittlungsdienst Uber, dessen Jahresumsatz im vergangenen Jahr bei mageren 213 Millionen Dollar lag, erreicht mit einem Börsenwert von 40 Milliarden Dollar den doppelten Wert von Fiat Chrysler und mehr als die Hälfte des Werts des VW-Konzerns.
Dazu passt auch, dass sich Facebook vor gut einem Jahr den Kauf von Whatsapp unvorstellbare 19 Milliarden Dollar kosten ließ – mehr als das Zehnfache des eigenen Gewinns –, obwohl das gekaufte Unternehmen mit seinen 50 Mitarbeitern bisher kaum Gewinne erwirtschaftet hatte. Aber nicht nur in Mark Zuckerbergs Unternehmen haben die Investoren große Geldsummen angelegt, aus denen der Deal letztlich bezahlt wurde. Allein 33 Milliarden Dollar wurden im vergangenen Jahr in Unternehmensgründungen im Silicon Valley investiert, 60 Prozent mehr als im Vorjahr.

Im Verhältnis zum US-Energiesektor sind dies allerdings noch geringe Summen. Den Zahlen der Beratungsfirma Dealogic zufolge sind in den vergangenen fünf Jahren Kredite in Höhe von 1,2 Billionen Dollar allein an Unternehmen aus diesem Bereich geflossen. Und dies mit steigender Tendenz, obwohl sich der Ölpreis im vergangenen Jahr halbiert hat und die ersten Firmenpleiten, wie etwa von WBH Energy oder BPZ Ressources, gerade die Spalten der Wirtschaftspresse füllen. Trotzdem sollen seit Januar bereits fast 20 Milliarden Dollar in neue Aktien und Energiefonds investiert worden sein, wie die Wirtschaftsjournalistin Heike Buchter zuletzt in der Wochenzeitung Die Zeit berichtete. Sie weist auch auf den für die Blasenbildung typischen Kreislauf hin: »Wegen des niedrigen Ölpreises machen die Firmen Verluste, wenn sie nach Öl und Gas bohren. Doch sie müssen bohren, sonst geben ihnen Investoren kein frisches Geld. Mit dem frischen Geld aus dem Verkauf von Aktien und Anleihen decken sie wiederum die Verluste, die sie durch das Bohren einfahren.« Profitabilität sieht anders aus.

Allein im vorigen Jahr emittierten US-Unternehmen Aktien im Wert von 1,4 Billionen Dollar. Darunter befand sich gut ein Viertel Papiere, deren Bonität als sehr gering eingestuft wird. Ende März warnte zudem sogar die US-Bank Goldman Sachs, sonst selbst als wenig zimperlich bekannt, vor den Risiken, die von den Schattenbanken, also nicht der Regulierung unterliegenden Instituten, ausgingen. Auf etwa 35 Milliarden US-Dollar soll sich deren Kreditvolumen vor allem für kleine und mittelständische Unternehmen, die sonst an keine Kredite herankamen, in den vergangenen Jahren gesteigert haben. Ausfälle sind hier programmiert, weshalb Zinsen bis zu zehn Prozent an der Tagesordung sind. Stockmans Schlussfolgerung, den Rekordkursen liege diesmal »eine noch künstlichere und noch weniger nachhaltige Entwicklung der realen Wirtschaft zugrunde als beim letzten Mal«, ist kaum von der Hand zu weisen. Zudem habe sich die »Finanzblase des weltweiten Kreditmarktes auf 200 Billionen Dollar ausgedehnt«, was vor allem die Folge der nahezu universellen Aufkäufe von Staatsschatzbriefen durch die Zentralbanken sei.
Mit der Erwartung einer erneuten »Finanz­markt­implosion in Höhe von 50 bis 100 Billionen Dollar« jedenfalls stehen neoliberale Ökonomen wie Stockman nicht alleine da. Jüngst hat der dezidiert linke Soziologe und ehemalige Direktor des Max-Planck-Instituts für Gesellschaftsforschung, Wolfgang Streeck, in der Zeitschrift Blätter für deutsche und internationale Politik Ähnliches konstatiert. »Der OECD-Kapitalismus wird seit geraumer Zeit durch großzügige Injektionen frei geschöpften Geldes in Gang gehalten, im Rahmen einer Strategie monetärer Expansion, deren Architekten selbst am besten wissen, dass sie nicht beliebig lange fortgesetzt werden kann«, schreibt Streeck unter dem Titel »Das Ende des Kapitalismus«.

Diese seltene Einigkeit in den Analysen ergibt sich letztlich aus der Banalität, dass jeder neue Akkumulationszyklus immer mit der »gewalt­samen Vernichtung von Kapital« (Karl Marx) beginnen muss. Irgendwann muss die Luft über­akkumulierten Kapitals aus den Blasen gelassen werden – mit vermutlich verheerenden gesellschaftlichen Folgen. Von dieser Erkenntnis wollen die Verantwortlichen jedoch derzeit nichts wissen. Weiterhin ersetzen Schuldtitel auf erwarteten, in der Realität aber ausbleibenden Mehrwert die Verwertung des Kapitals in immer mehr Wirtschaftsbereichen von der New Economy zum Immobiliensektor und bis in die Industrie hinein.
Die »Hoffnung auf einen rein von Schulden angetriebenen Aufschwung«, über die der marxistische US-Ökonom Robert Brenner vor fast ­einem Jahrzehnt noch gespottet hatte, ist aber selbst bei den Apologeten des Kapitals längst ­einem Katzenjammer gewichen. Der kommende Einbruch jedenfalls scheint nur eine Frage der Zeit zu sein. Umstritten ist lediglich, wie damit umgegangen werden soll. Unabhängig davon, ob dann wieder expansive Geldpolitik oder eine »schmerzhafte Periode kumulativen Verfalls« (Streeck) mit dem Ziel der Wiederherstellung der Profitabilität des Kapitals eingeleitet wird, ist auch dann von einem dauerhaften Aufschwung der Weltökonomie kaum auszugehen.