Die Lage der Flüchtlinge im Transitland Libyen

Die libysche Hölle

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Sogenannte Schlepper für Migrantinnen und Migranten, vor allem die in der Region um Libyen tätigen, haben derzeit in Europa die denkbar schlechteste Presse. Die EU-Institutionen wälzen derzeit Szenarien über militärische Interventionen in dem nordafrikanischen Land, die auf die Zerstörung von Schiffen zielen sollen. Aber auch Landwege, die zu einschlägig genutzten Häfen führen, sollen blockiert werden.
Dass viele Migranten auf ihrem Weg in die EU über Libyen reisen, obwohl etwa Tunesien näher an den europäischen Küsten liegt, hängt mit der Sperrung anderer Migrationsrouten zusammen. Im Jahr 2014 reisten insgesamt 220 000 Menschen »illegal« auf dem Seeweg über das Mittelmeer in die EU ein, davon trafen gut 170 000 in Italien ein. Von ihnen sollen rund 110 000 von der libyschen Küste aus aufgebrochen sein. Die größten Gruppen sind dabei syrische Kriegsflüchtlinge sowie Flüchtlinge vom Horn von Afrika: aus Eritrea, dem hypermilitarisierten berüchtigten »Nordkorea Afrikas«, und aus dem bürgerkriegszerstörten Somalia.
Syrische Kriegsflüchtlinge reisten bis 2013 bevorzugt über Ägypten, von wo aus ein Seeweg über Zypern oder die griechischen Küsten in die EU führte. Doch seit dem Machtwechsel vom Juli 2013 und dem Amtsantritt von Präsident Abd al-Fattah al-Sisi hat der ägyptische Staat die To­leranz für syrische Assad-Gegner rabiat beendet. Heute müssen diese eine Auslieferung an die Schergen des Assad-Regimes fürchten. Drei eritreische Flüchtlinge wiederum, deren Ermordung auf einem am 19. April veröffentlichten Exekutionsvideo vom libyschen Ableger der Terrorgruppierung »Islamischer Staat« (IS) zu sehen ist, hatten zuvor als Asylsuchende in Israel gelebt, wie die israelische Tageszeitung Haaretz berichtete. Seit Anfang April schieben die israelischen Behörden afrikanische Flüchtlinge nach Ruanda und Uganda ab, nachdem die beiden englischsprachigen Staaten in Ostafrika sich zu ihrer Aufnahme verpflichtet hatten – auch für Nichtstaatsangehörige wie etwa sudanesische und eritreische Staatsbürger. Die Eritreer waren über den Sudan und Libyen erneut aufgebrochen, um ihr Glück zu suchen.
Aber noch aus anderen Gründen ist Libyen ein wichtiges Transitland. Während der Herrschaft von Muammar al-Gaddafi stand Libyen für Migranten aus dem subsaharischen Afrika zeitweilig weit offen als Aufnahmeland, in dem sie ihre Arbeitskraft anbieten konnten. Einerseits wurde unter Gaddafi einige Jahre lang von Staats wegen eine panafrikanische Propaganda betrieben, weil der damalige Staats- und »Revolutionsführer« sich in die Rolle eines kontinentalen Anführers hineinträumte. Zum anderen waren Libyer weitgehend von körperlicher Arbeit entbunden, die in dem Ölrentenstaat mit relativ geringer Bevölkerungszahl weitgehend als »Ausländersache« betrachtet wurde. In anderen Phasen seiner Herrschaft nutzte Gaddafi die Migranten jedoch auch als Verhandlungsmasse gegenüber der EU, nahm von dort unerwünschte Zuwanderer zurück, schob sie ab – oder ließ sie über das Mittelmeer ausreisen, um Druck auszuüben.

Heute kämpfen in Libyen 200 Milizen und bewaffnete Gruppen um die Macht, die politischen Akteure folgen im Umgang mit Migranten oft dem Vorbild Gaddafis. Doch einige Dinge haben sich geändert. Die Situation für migrantische Arbeitskräfte hat sich erheblich verschlechtert. Nicht nur wegen des Bürgerkriegs und der danieder liegenden Ölproduktion, sondern auch infolge rassistischer Pogrome, die vor allem 2011 stattfanden. Der Ausreisedruck in Richtung Europa ist für Migranten, die zuvor nach einem Aufenthalt in Libyen mit Arbeitsmöglichkeit strebten, entsprechend gewachsen.
Aber auch das Spiel der politischen Akteure in Libyen selbst hat sich gewandelt. Die einzelnen bewaffneten Gruppen kontrollieren nur einen geringen Teil der Macht und suchen vor allem nach Möglichkeiten, sich selbst zu finanzieren. Deswegen sind viele Milizen auch in das Agieren der Schleppernetzwerke integriert.
Im Oktober 2013 unternahm die italienische Polizei eine Untersuchung über die Insassen eines Boots, das vor der Insel Lampedusa gekentert war, wobei mindestens 366 Todesopfer zu verzeichnen waren. Im Laufe der Ermittlungen ergab sich, dass die meist aus Ostafrika – Somalia und Eritrea – stammenden Migrantinnen und Migranten im Juli desselben Jahres in einem Lager im südlibyschen Sebha festgehalten, gefoltert und im Falle der Frauen auch vergewaltigt worden waren. Es stellte sich heraus, dass die Wächter des Lagers gleichermaßen Somalier, Sudanesen und Libyer waren. Offenkundig greifen kriminelle Strukturen mehrerer Länder dabei ineinander.

Zugleich buhlen politische Machtgruppen in Libyen auch in Europa um Anerkennung als lokale Akteure, die für »Ordnung« und Migrationskontrolle sorgen können. 2011 wurden bereits die ersten Folgeabkommen zwischen Libyen und Italien zum diesem Thema geschlossen, in Nachfolge jener von Gaddafi und Silvio Berlusconi ab 2008 vereinbarten. 2013 beschloss die EU ein bedeutendes Investitionsprogramm für Libyens Polizei- und Grenzschutzkräfte. Doch heute ringen unterschiedliche Fraktionen um Teile der Macht. Seit Sommer 2014 amtiert ein Parlament mit islamistischer Mehrheit in Tripolis und ein eher bürgerlich-nationalistisches Konkurrenzparlament im ostlibyschen Tobruk.

Die Flüchtlingsboote stechen aus geographischen Gründen vor allem aus dem Raum Tripolis und Misrata in See, also aus Westlibyen. Diese Region wurde im August vorigen Jahres von der Milizenkoalition Fajr Lybia (Libyscher Regenbogen) nach schweren Kämpfen um den Flughafen von Tripolis erobert.
Die dortigen Machthaber lassen teilweise Migranten ausreisen, um gegenüber der EU zu demonstrieren, wie schwach angeblich ihre Kontrolle sei – um internationale Unterstützung einzufordern, schreibt etwa Le Monde.
Zugleich bemühen sich die Machthaber in Westlibyen auch darum, den EU-Staaten ihre Berechenbarkeit bei der Migrationskontrolle vorzuführen. Seit Jahresanfang kam es zu neuen Verhaftungen von »Illegalen«, rund 20 000 Menschen wurden in Abschiebegefängnisse gesteckt. Als ein solches wird, wie erstmals im August 2013 bekannt wurde, auch der Zoo von Tripolis benutzt. Dieser ist seit Ausbruch des den Bürgerkriegs für den Publikumsverkehr geschlossen, wird jedoch noch immer auch von Tieren bewohnt.