Die russischen Rocker »Nachtwölfe«

Die Russen rollen!

Von Ivo Bozic

Die »Siegestour« der russischen Motorradrocker »Nachtwölfe« ist umstritten – so wie das Andenken an die Rolle der Roten Armee.

Zehn Jahre ist es her, da beschloss in Berlin ein Bündnis aus Altautonomen, Antiimperialisten und jungen Antifaschisten, dass bei ihrer Demonstration zum 60. Jahrestag der Befreiung vom Nationalsozialismus keinerlei Nationalfahnen geduldet werden sollten, egal ob amerikanische, britische, französische, sowjetische oder israelische. Die eher traditionellen Linken hatten Sorge, dass ihre Demo von Antideutschen dominiert und zu viele amerikanische und israelische Fahnen zu sehen sein würden. Allen Ernstes war also eine 8.-Mai-Demonstration geplant, bei der weder die Sieger über Deutschland bejubelt noch der jüdischen Opfer mit Fahnen gedacht werden sollten. Doch was bleibt, wenn man die Sieger über den Nationalsozialismus und ebenso seine Opfer aus dem öffentlichen Gedächtnis löscht? Das Gedenken wird letztlich zu einer innerdeutschen Angelegenheit, also genau zu dem, was – nicht nur an einem solchen Gedenktag – zu verhindern wäre.
Die hochgepitchte Aufregung um die russische Bikertruppe »Nachtwölfe«, die zu einem zahlenmäßig äußerst überschaubaren Korso nach Berlin aufgebrochen ist, um an den Sieg der Roten Armee über Nazi-Deutschland zu erinnern, ist ähnlich fadenscheinig. Das Grüppchen zerstreute sich und reiste getrennt. Einigen Mitgliedern des Putin nahestehenden Rockerclubs wurde die Einreise nach Deutschland verweigert, sie waren – für eine Motorradgang ungewöhnlich – mit Autos oder dem Flugzeug unterwegs. Weitere »Nachtwölfe« wurden bereits an der weißrussisch-polnischen Grenze abgefangen. Einige Sympathisanten der Gruppe, zwei von ihnen besitzen russische Diplomatenpässe, reisten ungestört nach Bayern ein und besuchten am Montag die Gedenkstätte des 1945 von US-Truppen befreiten KZ in Dachau. Womöglich schaffen es einige tatsächlich bis Berlin. So what?
Klar: Der Club ist ultranationalistisch, homophob, stalinistisch und unsympathisch durch und durch. Und tatsächlich ist diese Reise nach Berlin auch eine Provokation. Denn die rechten Rocker verstehen sich gewissermaßen als ideelle Leibgarde Wladimir Putins. Sie unterstützten ihn bei seinem Krim-Feldzug, sie sind Teil der Lügenpropaganda, derzufolge antifaschistische Russen in der Ukraine gegen Nazis kämpfen, genau wie damals also, während die reaktionäre Politik Putins als ein Anknüpfen an die heldenhafte Geschichte Stalins und seines Sowjetreiches glorifiziert und damit der neue nationale Größenwahn legitimiert wird. Diesem Missbrauch des Antifaschismus-Begriffs dient die Fahrt der Rocker.
Erschwerend kommt hinzu: Derzeit wird in Russland wieder einmal heftig am Geschichtsbild herumgeschraubt. Dabei wird – auch von Putin selbst – der Hitler-Stalin-Pakt rehabilitiert, und somit der deutsche Überfall auf Polen, also der Beginn des Zweiten Weltkriegs gerechtfertigt. Während die verheerende Rolle der Sowjetunion vor 1941 und ihre Mitschuld am Kriegsausbruch früher verschwiegen wurden, wird diese Rolle heute gar positiv aufgeladen. Gleichzeitig wird, gerade auch von den »Nachtwölfen«, die gesamte Stalin-Zeit verklärt, Millionen Tote der politischen »Säuberungen« übergibt man dem Vergessen.

Und dennoch gehört zu den historischen Fakten: Vermutlich weit über 20 Millionen Sowjetbürger – die Zahlen sind umstritten – verloren durch den Krieg der Deutschen ihr Leben, davon geschätzt sieben Millionen Zivilisten. Deutschland führte einen Vernichtungskrieg gegen Russland, mit dem barbarischen Ziel, möglichst viele Menschen zu töten und auszuhungern. Der Roten Armee kam durch den verlustreichen territorialen Vormarsch ihres Heeres eine ganz entscheidende Rolle beim Sieg der Alliierten zu. Die Sowjetunion war zuallererst Opfer und Befreier.
Das anzuerkennen, sollte zumindest von der deutschen Gesellschaft erwartet werden dürfen. Ansonsten beteiligt man sich ebenso an einer Geschichtsklitterung, wie man sie der russischen Seite zu Recht vorwirft. Auch wenn man den Putin-Rockern alle möglichen unlauteren Motive unterstellen darf, so hat doch niemand in Deutschland das Recht, welchem Russen auch immer an einem 8. beziehungsweise 9. Mai sein Gedenken an den Sieg der Sowjetarmee und an die unzähligen sowjetischen Opfer zu verbieten.
In den Bergen Sloweniens liegt, gut versteckt, ein bis heute hervorragend erhaltenes Partisanenlazarett. Im Büro dort hängen vier Porträts nebeneinander an den Wänden: Tito, Stalin, Churchill und Roosevelt. Sie alle hatten unterschiedliche Rollen beim Krieg gegen Deutschland und unterschiedliche Motive. Und doch repräsentieren sie an diesem 8. Mai, 70 Jahre nach der deutschen Kapitulation, die richtige Seite der Geschichte.