Gregor Gysi macht Schluss

Sag zum Abschied leise Servus

Auf dem Parteitag der Linkspartei in Bielefeld hat Gregor Gysi seinen Rückzug von der Fraktionsspitze angekündigt. Die Partei scheint zu glauben, seinen Weggang gut verkraften zu können.

Es läuft derzeit gut für die Linkspartei und die Stimmung auf dem Parteitag in der Bielefelder Stadthalle war entsprechend. Sicher, die Delegierten ahnten, dass Gregor Gysi, einer derjenigen, die dafür gesorgt haben, dass es die Partei überhaupt gibt, seinen Rückzug verkünden würde, aber immerhin ist die Geschichte auf der Seite der Linkspartei und das zählt: Das Land erlebt eine der größten Streikwellen seit Jahrzehnten und die SPD lässt der Linkspartei den Platz an der Seite der streikenden Lokführer, Erzieher und Postboten. Arbeitsministerin Andrea Nahles (SPD) hat sich mit dem Tarifeinheitsgesetz gegen die streikenden Lokführer und gegen die Selbst­bestimmung der Beschäftigten gestellt. Beim Streik der Erzieher steht Verdi mit Thomas Böhle, dem Präsidenten des kommunalen Arbeitgeberverbands, ein Sozialdemokrat gegenüber. Beim Poststreik sieht das Arbeitsministerium keinen Grund, auf das Management der Post einzuwirken, obwohl der Bund über die Kreditanstalt für Wiederaufbau größter Aktionär des Unternehmens ist. Der Parteivorsitzende von »Die Linke«, Bernd Riexinger, zeigte sich in seiner Rede »stolz darauf, dass unsere Partei alle diese Auseinandersetzungen unterstützt und an der Seite der Streikenden steht«. Er fügte hinzu: »Und ich bin froh, dass unser Ministerpräsident aus Thüringen, Bodo Ramelow, im GDL-Streik als Schlichter von der Gewerkschaftsseite vorgeschlagen wurde, während der ehemalige Ministerpräsident und Sozialdemokrat, Matthias Platzeck, von der Kapitalseite nominiert wurde.« Mit der in Bielefeld beschlossenen Kampagne »Das muss drin sein« hat sich die Partei mit Forderungen nach dem Stopp von Leiharbeit, nach Überstundenabbau und mehr Personal für Bildung, Pflege und Gesundheit an die Seite der Gewerkschaften gestellt.

Wo protestiert wird, ist die Linkspartei zur Stelle. Sahra Wagenknecht redete sich am Samstag ins Herz der Delegierten. Sie geißelte die von der SPD mitgetragene Europa-Politik, die für sie eine »gnadenlose Erpressung der Syriza-Regierung« ist, nannte Wirtschaftsminister Sigmar Gabriel (SPD) einen Mann, der »die Öffentlichkeit belügt und für dumm verkauft«, und fragte: »Wie können sich Leute Demokraten nennen und gleichzeitig an Freihandelsabkommen wie CETA und TTIP herumverhandeln?« Darüber hinaus wandte sich Wagenknecht gegen jedes militärische Eingreifen: »Wer keinen Terror im Land haben will, der muss aufhören, andere Länder zu terrorisieren. Und es ist doch eine Tatsache und eine Wahrheit: US-Drohnen haben vom Jemen bis Afghanistan unzählige unschuldige Familien ausgelöscht.«
Neben dem Protest gegen TTIP und der Solidarität mit den Streikenden sucht die Partei den Schulterschluss mit der Friedensbewegung. »Es ist unsere verdammte Pflicht«, sagte Riexinger, »eine starke Friedensbewegung aufzubauen, die den Kriegstreibern und Militaristen in den Arm fällt.« Im Winter solle es eine große Friedenskonferenz geben, Bedingungen für die Teilnahme stellte Riexinger nicht. Breit sollen die Bündnisse sein, da könnte es sein, dass man nicht so genau hinschaut, mit wem man sich gemein macht. Auch ein Bundestagsabgeordneter wie Dieter Dehm warnte in Bielefeld vor der wachsenden Kriegsgefahr. Dehm dürfte es sich kaum nehmen lassen, auch Aktivisten des »Friedenswinters« einzubinden, die nicht selten offen antisemitisch und verschwörungsideologisch agierten.

Es war Gregor Gysi, der mit seiner Abschiedsrede Wasser in den Revoluzzer-Wein goss. Nicht un­erwartet teilte Gysi gleich zu Beginn seiner Rede am Ende des Parteitags mit, dass er im Oktober nicht mehr für den Fraktionsvorsitz kandidieren werde. Gysi hielt eine über weite Strecken sehr persönliche Rede, ein paar Mal versagte ihm die Stimme. Er erinnerte an verstorbene Weggefährten wie Stefan Heym und Lothar Bisky und entschuldigte sich bei seinen Freunden und Kindern dafür, dass er zu wenig Zeit für sie hatte. Gysi sprach auch über die Verletzungen, die er in fast 25 Jahren an der Spitze der Linkspartei erlitten hat. Sein Resümee fiel denn auch eher bitter aus: »Als ich mich 1989 entschied, in die Politik zu gehen, ahnte ich nicht einmal im Ansatz, was auf mich zukommen sollte. Hätte ich es gewusst, hätte ich es wohl nicht getan.«
Als Gysi seine Partei darauf hinwies, dass seiner Ansicht nach ihre langfristige Perspektive auch in der Regierungsverantwortung liege, war der Applaus verhalten. Gysi warb für rot-rot-grüne Koalitionen und die Erfolge, die man durch Kompromissfähigkeit erarbeiten könne: die Leiharbeit zurückdrängen, TTIP-Verhandlungen aussetzen, die Bundeswehr nicht mehr zu Kampfeinsätzen schicken, ein Aufbauprogramm für Griechenland und mehr Steuergerechtigkeit – all das könne »Die Linke« in einer Regierung durchsetzen. Nicht das ganze Programm, aber immerhin Teile davon: »Wir sind eine Zehn-Prozent-Partei, keine 50-Prozent-Partei.«

Viele, vor allem aus dem Westen, waren offenkundig froh, ihn loszuwerden, und erwiesen ihm nicht einmal mehr so etwas wie Respekt. Ralf Michalowsky, der Vorsitzende der nordrhein-westfälischen Linkspartei, verlinkte kurz vor Gysis Rede auf Facebook mit einem Smiley versehen eine Hermann-Preys-Version des Schlagers »Sag zum Abschied leise Servus«. Star des Parteitags war Wagenknecht, sie riss die Delegierten mit, sie sagte, was die meisten denken und fühlen: keine Kompromisse, linke Opposition auf der Straße und in den Parlamenten, das Offenhalten der Systemfrage. Wagenknecht empfahl sich als Nachfolgerin Gysis an der Fraktionsspitze. Gysi sähe dort wohl gerne Dietmar Bartsch, in seiner Rede hob er ihn wie keinen anderen aktiven Politiker der Partei hervor. Ob Gysis Plan aufgeht, wird sich zeigen. Aber klar ist: Wer in Wagenknechts Schatten sitzen wird, ist fast schon egal.