In der Linkspartei sind die Nachfolger für Gregor Gysi bereits gefunden

Die Zahnpasta-Linke

Von Ivo Bozic

Nach dem Rückzug Gregor Gysis sollen künftig Dietmar Bartsch und Sahra Wagenknecht die Bundestagsfraktion der Partei »Die Linke« führen. Wer sich eine Schlammschlacht erhofft, könnte enttäuscht werden.

Der politische Abschied von Berlins ehemaligem Bürgermeister auf dem Parteitag der »Linken« Anfang Juni in Bielefeld sorgte für einen wahren Aufruhr in den Medien, der Mond schien zu platzen, man sprach von einer historischen Zäsur. Die Rede ist vom Abtritt Gregor Gysis als Bundestagsfraktionsvorsitzender der Partei »Die Linke«; ja, Bürgermeister war der auch mal, das haben viele schon wieder vergessen, sogar in Berlin. So heißen dort die beiden Stellvertreter des Regierenden Bürgermeisters. Im Januar 2002 wurde Gysi Wirtschaftssenator und Bürgermeister unter Klaus Wowereit (SPD), sechs Monate später trat er wegen einer läppischen Bonusmeilenaffäre zurück. Sein Rückzug in Bielefeld war also nicht sein erster. Beileibe nicht. Bereits 1993 trat Gysi als Parteivorsitzender der PDS zurück. 1997 schied er aus dem Parteivorstand aus, im Jahr 2000 trat er als Fraktionsvorsitzender im Bundestag zurück. Im Februar 2002 verabschiedete er sich vollständig aus dem Bundestag, um in Berlin mitzuregieren. Als er dort im Juli den Dienst quittierte, legte er auch sein Mandat im Abgeordnetenhaus nieder. Oft also hat sich Gysi in seiner 25jährigen politischen Karriere schon verabschiedet. Immer ist er wiedergekommen. Drei Herzinfarkte, ein Gehirnaneurysma und Diether Dehm konnten ihn nicht aufhalten. Ob wir dereinst eine weitere Wiederauferstehung des kleinen Starsozialisten erleben werden, ist ungewiss, aber man sollte da nichts ausschließen.

Inzwischen hat der Parteivorstand bekanntgegeben, wen er gerne im Herbst zum Nachfolger gewählt sähe. Es sind gleich zwei: Dietmar Bartsch und Sahra Wagenknecht. Ausgerechnet. Die jeweils exponiertesten Vertreter der beiden in der Partei sich beharkenden Flügel. Das klingt nach Spannung, nach Schlammschlacht mit Ansage. Die Journalisten reiben sich schon die Hände. »Wie Tom und Jerry«, frohlockte die Süddeutsche Zeitung. Doch eigentlich ist diese Personalentscheidung ein Ausdruck staubiger Trägheit und erstaunlicher Gemütsruhe der Partei. Denn Bartsch und Wagenknecht spielen bereits von Anfang an die Rolle der Antipoden, seit nunmehr 25 Jahren. Kommunistische Plattform versus Reformer hieß das dargebotene Schauspiel früher, später Radikalopposition versus Pragmatismus. Es ist dieselbe Leier. Als hätte nicht inzwischen eine Fusion mit einer anderen Partei, der WASG, stattgefunden, als wäre nicht eine neue Partei gegründet worden, symbolisieren heute wie damals dieselben zwei Köpfe den Flügelkampf. Nicht West gegen Ost wird hier geboten, nicht Alt gegen Jung, nicht Rechts gegen Links, sondern wie eh und je: Gorbatschow gegen Mielke.
Während außerhalb der Partei seit 25 Jahren entschieden ist, wer der Gewinner der Geschichte ist, wurde der Konflikt innerparteilich konserviert, und so können sich alle vormachen, die Entscheidung zwischen kapitalistischer Modernisierung und stalinistischer Restauration sei erst noch zu fällen und man selbst könne da noch ein Wörtchen mitreden. Als wäre die Zeit stehengeblieben, als befänden wir uns immer noch in den ersten Selbstfindungsjahren der PDS. So leidenschaftlich kann der Flügelkampf nicht sein, wenn er seit einem Vierteljahrhundert in einer Partei ausgehalten und nun gar personalisiert als Doppelspitze der Fraktion festgeschrieben wird. Fast könnte man meinen, dieser Flügelkampf sei nur eine wohlinszenierte Kulisse, vor der die Partei sich verschiedenen Zielgruppen anbietet.

Dabei sah es nach dem Parteitag in Göttingen 2012 so aus, als wollte die »Linke« mit diesem Theater aufhören. Dort wählte man sich mit Katja Kipping und Bernd Riexinger zwei Parteivorsitzende, die nicht für »die beiden Flügel« stehen, sondern einen »Dritten Weg« anboten. Und tatsächlich haben es die beiden geschafft, die politischen Auseinandersetzungen zwischen den Flügeln zu harmonisieren, oder sagen wir: einzuschläfern. Das ist ein großer Erfolg, denn es war klar, dass keine der beiden Seiten eine Spaltung überleben würde, es konnte also nur zusammen gehen. Anstatt die grundsätzlichen Konflikte, die es ja tatsächlich gibt, auszutragen, werden sie jetzt institutionalisiert. So wie Zahnpasta damit beworben wird, nur durch die zwei Streifen zu einem vollwertigen Ganzen zu werden, wirbt jetzt die PDS, Verzeihung, »Die Linke« mit zwei Streifen. Der vermeintliche Antagonismus hat sich letztlich als Folklore entpuppt. Mal ehrlich, was wäre Tom ohne Jerry?
Als Kipping und ihre Mitstreiterin Katharina Schwabedissen beim Göttinger Parteitag 2012 ihren Dritten Weg, sprich: sich um den Vorsitz der Partei bewarben, da schwärmten sie von einer Partei, in der Politik Spaß machen solle und bei der man nach Parteitagen tanzen könne. Nun hat die Partei also eine junge tanzende Vorsitzende und zwei nebeneinander erstarrte Denkmäler alter Zeiten an der Fraktionsspitze. Auch hier wäre eine Lösung jenseits der beiden Flügel möglich gewesen. Der Außenpolitiker Jan van Aken wäre eine Alterative zu Wagenknecht-Bartsch gewesen, eine im Sinne des Dritten Wegs, im Sinne Kippings. Doch was soll’s? Jetzt sind ja alle Zielgruppen bedient. Klingt nach einem Konzept.

Tatsächlich ist die künftige Zusammenarbeit der beiden musealen Kontrahenten kein wohlgeplantes taktisches Konzept, sondern das Ergebnis von bitteren Niederlagen auf beiden Seiten. Niederlagen, die sich die beiden Flügel gegenseitig zugefügt haben. Erst als ihnen jeweils klar wurde, dass es keinen Gewinner geben würde, rauften sie sich notgedrungen zusammen. Mit aller Kraft hatte der Wagenknecht-Flügel, mitsamt seiner antiimperialistischen und antizionistischen Gefolgschaft, die Wahl Bartschs zum Parteivorsitzenden 2012 torpediert. Als bekanntgegeben wurde, dass Bartsch nicht gewählt war, feierten die Delegierten, indem sie an den Parteitagstischen »Ihr habt den Krieg verloren« sangen. Andersherum haben der sozialdemokratische Bartsch-Flügel und auch Gysi jahrelang mit Erfolg Sahra Wagenknecht als Fraktionsvorsitzende verhindert. Jetzt mussten sie Wagenknecht überreden, doch bitte, bitte für den Posten bereitzustehen. Das mag man als Sieg des Wagenknecht-Flügels werten, doch der wurde ihm nur zugebilligt, weil Wagenknecht ebenfalls angeschlagen war. Im niedersächsischen Landtagswahlkampf 2013 setzte die Landespartei voll und ganz auf Wagenknecht. Obwohl sie gar nicht in Niedersachsen lebt und auch ihren Bundestagswahlkreis nicht dort hat, wurde sie zur Spitzenkandidatin aufgebaut, ihr Konterfei prangte auf allen Plakatwänden. Sogar als Ministerin in einem rot-rot-grünen Kabinett wurde sie gehandelt. Doch das Wahlergebnis war desaströs. Nur 3,1 Prozent, vier Prozentpunkte weniger als bei der Wahl zuvor, bedeuteten ein Ausscheiden aus dem Landtag.
Nicht nur eine Wahlniederlage hat Wagenknecht erlitten, nein, sie hat auch hinter ihre radikaloppositionelle Fassade blicken lassen. Plötzlich war Mitregieren kein Problem mehr. »Sollte es eine Einigung zwischen Linken und SPD geben, können wir über die Besetzung von Ministerposten reden«, erklärte sie. An Sondierungsgesprächen mit SPD und Grünen wollte sie selbst teilnehmen. Es kam, wie gesagt, nicht dazu.
Auch diese Episode zeigt, dass die Unterschiede zwischen Wagenknecht und Bartsch nicht so sehr in der Frage Pragmatismus oder Radikalopposition liegen. Beide wissen, dass 2017 keine rot-rot-grüne Bundesregierung ansteht. Auf dieser Basis gibt es keinen Grund für Zoff. Wo dann? »In den Kernfragen sind Dietmar Bartsch und ich uns einig«, erklärt Wagenknecht. Es ist zu befürchten, dass das nicht ganz unzutreffend ist. Zumindest scheuten die Reformer schon bisher, vor allem in der Außenpolitik, den Konflikt mit den antiamerikanischen und nationalistischen Wagenknecht-Anhängern. Nun, da man zum Burgfrieden verdammt ist, werden klare Positionierungen erst recht ausbleiben.