Der Vorwahlkampf in den USA

Hochsaison der Emotionen

In den USA finden die nächsten Präsidentschaftswahlen zwar erst Ende kommenden Jahres statt, doch der Vorwahlkampf hat bereits begonnen. Mitunter bizarr muten die Kandidaten der Republikaner an.

Alle vier Jahre wiederholt sich in den USA ein sonderbares und faszinierendes Ritual: die Präsidentschaftswahl. Die kommende findet zwar erst im November 2016 statt, ist aber jetzt schon recht vergnüglich. Besonders auf Seiten der Republikaner, denn bei diesen bewerben sich insgesamt 17 Kandidaten, was die Vorwahlen zu einer Schlammschlacht ungeahnten Ausmaßes verkommen lässt. Insbesondere der Immobilienspekulant und Selbstdarsteller Donald Trump neigt zu absurden Ausfällen, sein Wahlkampf mutet fast dadaistisch an. Mexikanische Immigranten bezeichnet er als »Hurensöhne«, Frauen, die er nicht mag, als »fette Schweine«. »Ich habe eben keine Zeit für politische Korrektheit«, sagte Trump bei der ersten Fernsehdebatte am 6. August. »Und Amerika auch nicht.« Trotzdem, oder vermutlich deswegen, liegt er in den Meinungsumfragen weit vorne. Entsprechend reißt sich das republikanische Establishment vor Verzweiflung die Haare aus. Denn Trumps derzeitiger Höhenflug ist Ausdruck einer ernstzunehmenden Unsicherheit republikanischer Stammwählerinnen und -wähler, die sich in der Ära Obama offensichtlich immer isolierter fühlen. Das kann Auswirkungen auf die Wahl haben, so mancher Konservative fürchtet, dass Trump der Partei als unabhängiger Drittkandidat in die Suppe spucken und ihr die Stimmen der Wutbürger wegnehmen könnte. Doch Trump kann und wird nicht Präsident werden. Umfragewerte sind keine Wählerstimmen und Trumps horrende Negativwerte werden ihm früher oder später das Genick brechen. Er wird wohl nicht einmal die Vorwahlen gewinnen.

Tatsächlich gibt es unter den 17 republikanischen Kandidatinnen und Kandidaten nur drei, die eine ernsthafte Chance haben, die Kandidatur ihrer Partei zu gewinnen. Die größten Chancen räumen Experten Jeb Bush ein, der von 1999 bis 2007 Gouverneur des US-Bundesstaats Florida war. Er hat die vergangenen Monate damit zugebracht, seine Kassen mit enormen Spenden zu füllen und sich der Unterstützung des republikanischen Establishments zu versichern. Bush ist ein selbsterklärter Konservativer, doch gilt er als moderat, zumindest im Vergleich zum Rest seiner Partei. So hat er beispielsweise in seiner Amtszeit als Gouverneur den Umweltschutz erheblich gefördert, auch hat er die Rechte von Migranten in Florida gestärkt – eine Politik, die bei den konservativen Wutbürgern nicht gerade beliebt ist. Doch genau das könnte am Wahltag im November 2016 ein erheblicher Vorteil für ihn und die Republikaner sein. Vorausgesetzt, er übersteht die Vorwahlen, denn der gesellschaftliche Unmut der Rechten spielt derzeit eine erhebliche Rolle in der republikanischen Partei.
Für Bush wird die Sache dadurch verkompliziert, dass sein Zögling und Duzfreund Marco Rubio dieses Mal ebenfalls zur Wahl antritt. Der Sohn kubanischer Einwanderer begann seinen rasanten politischen Aufstieg als Abgeordneter im Repräsentantenhaus in Florida, seit 2011 vertritt er seinen Heimatstaat im Senat in Washington, D.C. Er gilt als das Gesicht einer neuen Generation von Republikanern, ist ein begabter und telegener Redner. Doch seine politischen Ansichten sind alles andere als modern: Er ist gegen die Gleichstellung der gleichgeschlechtlichen Ehe, und den Klimawandel hält er für ein Gerücht. All das wird ihm bei den Vorwahlen helfen, doch vermutlich sind das in den USA von heute keine mehrheitsfähigen Positionen mehr.
Und dann wäre da noch Scott Walker, der Gouverneur von Wisconsin. Er ist zum Liebling der Konservativen geworden, seit er in seinem Heimatstaat, der eigentlich nicht sonderlich konservativ ist, gegen Gewerkschaften vorgegangen ist und deren Recht auf Tarifverhandlungen empfindlich eingeschränkt hat. Noch dazu wurden Gewerkschafter durchschnittlich mit acht Prozent mehr Selbstkostenbeiträgen bei Renten und Krankenversicherungen zur Kasse gebeten, um das enorme Haushaltsdefizit von Wisconsin auszugleichen. So kam es, dass 2012 Demokraten und Gewerkschaften versuchten, Walker abzusetzen, womit sie jedoch scheiterten. 2014 gewann Walker die Wiederwahl zum Gouverneur, seitdem gilt er als ein kampferprobter und krisengestählter Konservativer. Wie alle konservativen Präsidentschaftskandidaten ist er ein strikter Gegner des Rechts auf Abtreibung, doch er geht noch einen Schritt weiter und würde am liebsten selbst in Fällen von Vergewaltigung oder Inzest einen Abbruch verbieten. Er scheint nicht zu ahnen, dass er mit dieser Position besonders Wählerinnen der Mitte verprellen könnte.

Erwähnenswert wäre noch John Kasich, der Gouverneur von Ohio, der zurzeit zwar in allen Umfragen weit hinten liegt und dem keiner eine ernsthafte Chance einräumt, der aber im Wahlkampf dennoch eine Schlüsselrolle spielen könnte. Bei der Erwähnung seines Namens schlottern den Demokraten die Knie. Der Grund ist einfach: Bei der Präsidentschaftswahl gilt das Prinzip »alles oder nichts«. Bis auf zwei Ausnahmen vergeben die einzelnen Bundesstaaten entweder alle ihre Stimmen an einen der Kandidaten oder eben nicht. Wahlentscheidend bei diesem System sind die swing states, die mal demokratisch, mal republikanisch votieren. Sollten im November 2016 beispielsweise Jeb Bush oder Marco Rubio mit John Kasich als potentiellem Vizepräsidenten antreten – ein Horrorszenario für die Demokraten –, bestünden sehr gute Chancen, dass die Republikaner sowohl Florida mit seinen 29 Wahlstimmen sowie Ohio mit 18 Wahlstimmen erhalten – zwei der größten swing states. Den Demokraten bliebe dann nur noch ein zäher Kampf um die vielen Kleinstaaten übrig. Es heißt in US-Politkreisen nicht umsonst, dass der Weg zum Weißen Haus über Florida und Ohio führt.
Schon allein deswegen kann man die anderen Bewerber der Republikaner; beispielsweise den radikalpopulistischen Südstaaten-Pastor Mike Huckabee, der Barack Obama indirekt mit Hitler verglichen hat, den extrem libertären Rand Paul, der stets am Rande eines Nervenzusammenbruchs zu stehen scheint, oder auch die einzige Kandidatin Carly Fiorina, die ehemalige Chefin des Konzerns Hewlett-Packard, die ihre Firma an den Rand des Ruins getrieben hat und daraufhin entmachtet wurde. Gut denkbar, dass sie alle ihren Moment in der Sonne haben werden, dass sie ein paar Wochen oder Monate steigende Umfragewerte bekommen, denn noch ist in den USA silly season, die Zeit, in der die Wählerinnen und Wähler mit allen möglichen absurden Kandidaten flirten.

Dieses Phänomen packt allerdings auch die Demokraten. So kommt es, dass bei den Wahlveranstaltungen des selbsternannten »demokratischen Sozialisten« Bernie Sanders, eines Senators aus Vermont, in Los Angeles 27 000 und in Portland 28 000 Menschen auftauchten. Sanders gilt als prinzipientreuer Linker der alten Schule, er will beispielsweise Studiengebühren ganz abschaffen und ein Gesundheitssystem wie in Europa einführen. Kein Wunder, dass der progressive Flügel der Demokraten von ihm begeistert ist, obwohl solche an sich vernünftigen Ideen in den USA heute nie und nimmer durchkommen würden. Auch ist die Wählerschaft von Sanders vorwiegend in den wohlhabenden (und weißen) Enklaven an der Ost- und Westküste zu finden; es ist mehr als zweifelhaft, dass er die für die Demokraten lebenswichtige Koalition von Hispanics und Afroamerikanern zusammenhalten könnte.
Doch die Unterstützung für Sanders ist auch als eine Abstrafung der Spitzenreiterin Hillary Clinton zu sehen. Dem linken Flügel der Demokraten ist sie nicht links genug und viele Wähler und Wählerinnen der Mitte sind durch den E-Mail-Skandal beunruhigt, der ihr seit einigen Wochen wie ein schlechter Geruch anhaftet. Clinton steht derzeit im Mittelpunkt einer FBI-Untersuchung, weil sie mutmaßlich vertrauliche E-Mails der Regierung unrechtmäßig über ihren privaten Server verschickt haben soll. Clinton versucht, alle Spuren zu verwischen, und hat den Server der bereits gelöschten E-Mails nach langem Zögern dem FBI übergeben. Ob man ihr tatsächlich einen eklatanten Regelbruch wird nachweisen können, ist eher ungewiss. Doch beim Wahlkampf geht es weniger um Fakten als um Emotionen. Die Resultate der Umfragen der letzten Zeit sind für Clinton bedenklich: In Florida halten 51 Prozent aller Wählerinnen und Wähler sie für unehrlich und nicht vertrauenswürdig, in Ohio sind es 53 Prozent. Das erklärt auch, warum andere Demokraten, wie beispielsweise Sanders und der ehemalige Gouverneur von Maryland, Martin O’Malley, nun ihre Chance wittern. Auch der amtierende US-Vizepräsident Joe Biden denkt über eine Kandidatur nach. Hillary Clinton ist weiterhin eine kontroverse Persönlichkeit in der US-Politik. Dennoch ist sie unter den vielen Bewerberinnen und Bewerbern beider Parteien die einzige, die ein realistisches Wahlprogramm ausgearbeitet hat, das die Bedenken vieler Amerikanerinnen und Amerikaner anspricht. So hat sie einen plausiblen Plan vorgelegt, die horrenden Kosten für höhere Bildung einzudämmen, die in den USA zu privaten Schulden von weit über einer Billion US-Dollar geführt haben. Sie spricht die Sorgen und Nöte der Mittelschicht intelligent und souverän an, sie bietet Lösungen und sie ist bislang die einzige, die sich mit Vertreterinnen und Vertretern der Bewegung »Black Lives Matter« (BLM) getroffen hat.
Im Zuge der ständigen Horrornachrichten über polizeiliche Gewalt gegenüber Schwarzen – jüngst kam es in Ferguson, Missouri, erneut zu Ausschreitungen – wird dieses Thema sicherlich auch im Wahlkampf eine Rolle spielen. Das scheinen die Republikaner noch nicht verstanden zu haben. Sie schweigen dazu. Auch scheinen sie nicht zu ahnen, dass sie mit ihrer Hetze gegen Abtreibung ein Gros der Wählerinnen am Stichtag gegen sich aufbringen könnten. Es ist gut denkbar, dass der Wahlkampf 2016 auch zu einem Referendum über die Stellung der Frau in der US-amerikanischen Gesellschaft werden könnte, denn noch immer werden Frauen systematisch benachteiligt, besonders am Arbeitsplatz. Clinton weiß das, sie will nicht nur ein Signal setzen, sondern auch eine Politik gestalten, in der Frauen und Familien im Mittelpunkt stehen – ein starker Kontrast zu ihren Kontrahenten. Falls es ihr gelingt, die Stimmen von Schwarzen und Hispanics zu gewinnen und noch zusätzliche Wählerinnen zu mobilisieren, könnte sie im November 2016 einen Vorsprung haben.