Horror­kino

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Was macht eine Lehrerin in den Ferien? Internetsurfen und sich ärgern, etwa über dieses Flüchtlingsabschreckungsvideo. Es erinnert sehr an einen schlechten Horrorfilm: Viel Regen und grauer Beton, verwackelte Bilder trauriger Menschen, denen Schreckliches widerfährt, und die vollkommen emotionslose Stimme eines Mannes, der offensichtlich seit mehr als drei Wochen tot ist und dessen willenlose Hülle jetzt von fremden, unheimlichen Mächten gelenkt wird. Erst beim näheren Hinsehen enthüllt sich das wahre, geniale Wesen dieses Videos, das weit über den Horizont eines gewöhnlichen Horrorvideos hinausweist und das sich vor allem in der rauen, ursprünglichen Lyrik des vom Zombie vorgetragenen Textes offenbart. Unmöglich kann ich der Vielschichtigkeit und schier bodenlosen Abgründigkeit dieses Meisterwerks hier gerecht werden – allein die letzten Sätze: »Ruinieren Sie nicht sich und Ihre Familie finanziell und wirtschaftlich für eine Schleusung nach Deutschland, sondern helfen Sie aktiv mit, Ihr Heimatland wirtschaftlich aufzubauen. Bringen Sie Ihre Kenntnisse und Fertigkeiten dort ein und entwickeln Sie so eine dauerhafte Existenzperspektive für sich und Ihre Familie.«
In welchen zwei anderen Sätzen der deutschen Literatur sind jemals auf solch einzigartige Weise flammende Liebe zur Heimat, brustschnürende Existenzangst und hemmungsloses Sesselfurzertum verbunden worden? Allein der Auftakt, der erste Satz: Ruinieren soll man sich nicht, und zwar WEDER finanziell NOCH wirtschaftlich – ein Schlag folgt auf den nächsten, bis auch der letzte Idiot verstanden hat, dass es hier um GELD geht, dass es SEHR TEUER werden kann, wenn man versucht, unberechtigterweise nach Deutschland zu gelangen, nur weil es einem zu Hause schlecht geht. Aber dort bleibt der Satz nicht stehen, dort hört er nicht auf, gnadenlos schnürt er weiter und erklärt, dass man nicht nur helfen soll, sein Heimatland – ach, wie schön der wärmende Sonnenstrahl in all dieser Kälte: Heimat! – wirtschaftlich aufzubauen, sondern aktiv helfen soll, nix mit doof Rumsitzen und passiver Hilfe also. Und erst die brillant substantivierte Schleusung, die mit einem Schlag alle Menschen aus diesem doch so menschenreichen Vorgang eliminiert. Aber der eigentliche Höhepunkt, der Cumshot des Films, findet sich natürlich im zweiten Satz. Hier ist der magische Moment, in dem Sprache erst glüht und dann brennt und schließlich lodert als ein Leuchtfeuer der Wahrheit in des finstren Chaos tiefster Nacht: die dauerhafte Existenzperspektive. Dass man eine Existenz erst entwickeln muss, dass bloßes Dasein für eine vernünftige Existenz irgendwie nicht reicht, ist natürlich ein alter Hut, aber diese völlige Verneinung der Existenz, die Verurteilung zu einer dauerhaften Perspektive auf eine solche: Das ist neu, das ist toll, das ist ganz, ganz großes Kino.