In der linken Szene fliegen verdeckte Ermittler auf

Bierchen im Park

»Simon Brenner«, »Iris Schneider«, »Maria Block« – unter diesen Tarnnamen haben drei Polizeibeamte in der linken Szene eifrig und verdeckt ermittelt. Das wurde von Bespitzelten detailliert enthüllt.

»Das Urteil ist eine schallende Ohrfeige für einen Repressionsapparat, der sich für allmächtig hält und seine Befugnisse im Verborgenen immer weiter ausbaut«, erklärte eine Vertreterin des »Arbeitskreises Spitzelklage« aus Heidelberg. Vor dem Verwaltungsgericht Karlsruhe hatten sieben Personen, die von einem unter dem Tarnnamen »Simon Brenner« agierenden verdeckten Ermittler bespitzelt worden waren, als AK Spitzelklage gemeinsam Klage zur Feststellung der Unrechtmäßigkeit ihrer Observation eingereicht. Nach vier Jahren begann vor gut zwei Wochen der Prozess, der bereits am ersten Verhandlungstag endete. Schon nach kurzer Zeit kam das Gericht zu der Einschätzung, dass, so der AK Spitzelklage, die »polizeiliche Überwachungs- und Kriminalisierungsmaßnahme zumindest gegen die klagende Zielperson absolut rechtswidrig gewesen sei«. Die in der Einsatzanordnung genannten politischen Aktivitäten der Zielpersonen sowie der aufgeführten linken Gruppierungen hätten nicht im Geringsten den Voraussetzungen genügt, die das Gesetz vorsehe. »Die zugrunde gelegte Gefahrenprognose – eine angebliche Zunahme ›linksextremistisch motivierter Gewalttaten in Baden-Württemberg im Jahre 2009‹ – sei offensichtlich nicht auf die damalige politische Situation im Rhein-Neckar-Kreis übertragbar«, so der AK Spitzelklage.
Der als »Simon Brenner« auftretende Simon B. hatte bis zu seiner Enttarnung im Dezember 2010 über einen Zeitraum von neun Monaten Hunderte von Dateien über Personen aus der Heidelberger Linken angelegt. Nur durch Zufall flog der Polizeibeamte auf. »Mit dem heutigen Richterspruch haben nicht nur die Klägerinnen und Kläger und die zahllosen weiteren Betroffenen aus Heidelberg Recht bekommen«, so der AK Spitzelklage. Das Urteil sei zudem »ein klares Signal, das andere linke Gruppen vor ähnlichen Spitzelattacken« schütze.

Vermutlich ist diese Einschätzung zu optimistisch. Das zumindest legt die Enttarnung der verdeckten Ermittlerin Maria B. alias »Maria Block« in Hamburg nahe. Am selben Tag, an dem in Karlsruhe die Unrechtmäßigkeit des Einsatzes von Simon B. festgestellt wurde, stellte eine Recherchegruppe das 20seitige Dossier »Enttarnung der ehemaligen verdeckten Ermittlerin ›Maria Block‹« ins Internet. Erst zehn Monate ist es her, dass mit einem ähnlich detaillierten Dokument der Einsatz der ehemaligen verdeckten Ermittlerin Iris P. alias »Iris Schneider« in den Jahren 2001 bis 2006 ebenfalls in Hamburg enttarnt wurde (Jungle World 49/2014 und 27/2015). Beide Polizistinnen waren in und um das soziale Zentrum Rote Flora im Einsatz. Iris P. verletzte darüber hinaus durch redaktionelle Mitarbeit im Freien Sender Kombinat (FSK) die Pressefreiheit.
Maria B. war von 2009 bis 2012 vor allem auf antirassistisch und antifaschistisch aktive Gruppen angesetzt. Der Fall mache »erneut deutlich, dass die von der Hamburger Innenbehörde abgestrittenen Rechtsverletzungen System haben«, so die Recherchegruppe in einer Presseerklärung. So habe auch Maria B. »regelmäßig Privatwohnungen betreten und, wie die LKA-Beamtin Iris P., in mindestens einem Fall unter ihrer Tarnidentität eine intime Beziehung geführt«. Die Beamtin Maria B. forschte nicht nur antirassistische Gruppen in Hamburg aus: »Sie verschaffte sich über langjährige ›Freundschaften‹ und mindestens ein sexuelles Verhältnis vielfältigen Zugang zum Privatleben und Privaträumen linker AktivistInnen«, so die Recherchegruppe. »Sie lud oft auf ein Bierchen im Park ein«, veranstaltete »gemeinsame Kochabende«, ging immer gerne mit in die Kneipe. »Neben den über diese ›Freundschaften‹ erlangten Informationen konnte sie sich durch diese Beziehungen Vertrauen erschleichen und in vielen linken Zusammenhängen teilnehmen.« Über das offene Plenum der antirassistischen Kneipe in der »Hafenvokü« in den ehemals besetzten Häusern der Hafenstraße erlangte Maria B. Zugang zu einer linken Gruppe. »Im Rahmen ihrer jahrelangen Ermittlungen war sie auch an strafrechtlich relevanten Aktionen beteiligt«, betont die Recherchegruppe.
Ob Maria B. als Beamtin für Lagebeurteilung (BfL) mit entsprechend eingeschränkten Befugnissen – kein Betreten von Privatwohnungen, keine Erhebung personenbezogener Daten – im Einsatz war oder mit Absegnung der Staatsanwaltschaft als verdeckte Ermittlerin mit entsprechend erweiterten Befugnissen, könne noch nicht gesagt werden, so die Recherchegruppe. »Klar ist jedoch, dass sie die rechtlichen Kompetenzen beider Szenarien weit überschritten« habe – unter anderem durch ein sexuelles Verhältnis zu einem Antirassisten. »Wenn die Vorwürfe zutreffen, dann offenbart das ein großes Problem der Polizei«, sagte dazu Christiane Schneider, die innenpolitische Sprecherin der Linksfraktion in der Hamburgischen Bürgerschaft: Entweder habe sie ihre BfL nicht unter Kontrolle und nehme Rechtsbrüche stillschweigend in Kauf oder sie ordne die »absolut unverhältnismäßigen Eingriffe in Grundrechte und die Rechtsbrüche« ihrer Beamten an – »beides ist inakzeptabel«.

Maria B.s Observation antirassistischer Aktivitäten schloss auch Einsätze im Ausland ein: 2009 nahm sie am No-Border-Camp in Griechenland, 2010 an einem in Belgien teil. Im Rahmen ihrer verdeckten Ermittlung beteiligte sie sich darüber hinaus auch an Mobilisierungsaktionen und referierte auf Auswertungsveranstaltungen. An einem Vorbereitungstreffen für das No-Border-Camp 2010 in Brüssel nahm auch ihr Heidelberger Kollege Simon B. teil.
Als auffällig bilanziert die Recherchegruppe, dass Maria B. »wiederholt versuchte, radikalere bis militante Positionen öffentlich anschlussfähig zu machen, die für den Rahmen unangebracht waren«. Dies sei über eine Selbstinszenierung als radikale Linke hinausgegangen – in Richtung plumper Provokation. Bei einem Vorbereitungstreffen zu einer Anti-Nazi-Demonstration im Juni 2012 etwa habe sie die Formulierung »Nazis die Beine brechen« ins Spiel gebracht. Bei dieser Protestaktion gegen den »Tag der deutschen Zukunft« war sie an der internen Kommunikation der Demonstrationsleitung beteiligt und kannte das nichtöffentlich entwickelte Konzept der Demonstration so gut, dass offenkundig aufgrund ihrer Berichte die Polizei jeden Versuch, dem Naziaufzug effektiv entgegenzutreten, vereiteln konnte.
»Konsequente Antifaschisten wurden leider schon immer mittels der Extremismusdoktrin mit den Nazis gleichgesetzt, diskriminiert und in schlimmeren Fällen auch observiert«, sagte Felix Krebs vom Hamburger Bündnis gegen rechts der Jungle World. »Wer nicht nur wohlfeile Sonntagsreden beim ›Bratwurstessen gegen rechts‹ fernab des Geschehens hält, sondern sich wirklich den Rassisten in den Weg stellt, muss leider auch mit staatlicher Repression rechnen«, so Krebs.

Der Hamburger Senat wiegelt ab: Zwar sei bei Iris P. der Einsatz »etwas aus dem Ruder« gelaufen, sagte Innennsenator Michael Neumann (SPD), aber dies sei eine Ausnahme. Polizeipräsident Ralf Martin Meyer hält den Einsatz von Maria B. für rechtmäßig: »Wir haben keine Hinweise auf ein Fehlverhalten.« Sie lasse sich derzeit zur Kommissarin ausbilden. Auch für Simon B. und Iris P. waren die verdeckten Ermittlungen karrierefördernd: Er studiert an der Hochschule der Polizei Baden-Württemberg, sie arbeitet beim Hamburger Staatschutz, dem LKA 7, als Expertin für Präventionsarbeit gegen Islamismus.