Angela Merkel vertritt eine pragmatische Position in der Flüchtlingsdebatte

Klarkommen

Angela Merkel unterstützte die Festung Europa so lange, bis sie nicht mehr zu halten war. Ihr Pragmatismus in der Flüchtlingspolitik ist dennoch nicht die schlechteste Haltung.

Wo Menschen sich auf engstem Raum drängen, die Versorgungslage kritisch ist und die Nerven blankliegen, da kommt es schon einmal zu Gewalt: Gleich in zwei Fällen musste kürzlich die Polizei anrücken, weil sich Kunden in Aldi-Märkten in Bayern und Baden-Württemberg um Küchenmaschinen aus dem Sonderangebot prügelten. Was anschließend ausblieb, waren Tweets von Erika Steinbach mit der Forderung nach einem harten Durchgreifen des Staates, und auch Horst Seehofer versäumte es, die Discounterkette für das Schaffen von »Fehlanreizen« zu kritisieren. Derlei Vorfälle eignen sich nun einmal nicht zum Schüren rassistischer Ressentiments.
Gemessen an dem, was den durchschnittlichen Deutschen zum Ausrasten bringt, ist es dagegen schon fast verwunderlich, dass es unter den katastrophalen Bedingungen in zahlreichen Flüchtlingsunterkünften nicht häufiger zu Auseinandersetzungen kommt. Wer derartige Konflikte verhindern will, sollte für eine menschenwürdige Unterbringung sorgen. Dass dennoch Tausende Geflüchtete auch die kommenden Wintermonate in notdürftig geheizten Zelten und zugigen Hallen verbringen werden müssen, ist einer je nach Bundesland unterschiedlichen Gewichtung von Unwillen und tatsächlicher Überforderung der Politik geschuldet. Während die rot-rote Regierung in Thüringen öffentlich dazu aufruft, leerstehenden Wohnraum zu melden, machen die Länder Bayern und Sachsen kaum einen Hehl daraus, dass ihnen nicht an einem gastlichen Empfang von Asylsuchenden liegt.
Der Streit in der Flüchtlingspolitik zieht sich quer durch die Bundesregierung, und in diesem Zusammenhang soll Angela Merkel ausdrücklich gewürdigt werden. Wer ihr bislang mangelndes politisches Profil vorgeworfen hat, dürfte überrascht sein, wie unbeirrt die Kanzlerin derzeit gegen die CSU und große Teile ihrer eigenen Partei regiert. Dabei handelt sie so pragmatisch, wie man es von ihr kennt. Nur sind die Sachzwänge, mit denen sie es diesmal zu tun hat, nicht die imaginierten des Neoliberalismus, sondern die ganz realen, die sich aus dem Scheitern der europäischen Abschottungspolitik ergeben. Die Schlussfolgerung daraus hat Merkel in ihrer Quasi-Regierungserklärung bei Anne Will zu Protokoll gegeben, sie lässt sich so zusammenfassen: Kommt damit klar. Oder etwas ausführlicher: Grenzen, wie gut gesichert auch immer, werden niemanden davon abhalten, sich einen Weg nach Deutschland zu suchen, egal was Seehofer, AfD und Pegida davon halten. Also sollte man das Beste und nicht das Schlechteste daraus machen.
Merkel belässt es nicht bei Worten. Das Letzte, was man in einer Krise brauchen kann, sind realitätsferne Hardliner, deshalb ist Innenminister Thomas de Maizière neuerdings nicht mehr für die Asylpolitik zuständig. Diesen Job hat nun Kanzleramtsminister Peter Altmaier inne. Nicht wenige frischgebackene Merkel-Fans wollten die Bundeskanzlerin wegen all dem gleich als Friedensnobelpreisträgerin sehen. Daraus wurde nichts. Aber sollte Merkel trotz sinkender Umfragewerte an ihrem eingeschlagenen Kurs festhalten, darf sie sich schon einmal als Anwärterin auf den Titel »sozialdemokratischstes BRD-Regierungsoberhaupt seit Willy Brandt« betrachten.