RWE wird wegen des Klimawandels verklagt

Klagen gegen die Flutwelle

Weil sein Haus samt seinem Wohnort in den Anden weggeschwemmt werden könnte, hat ein peruanischer Bergführer Klage gegen den Essener Energiekonzern RWE eingereicht. Der Prozess könnte zum Präzedenzfall werden.

Quebrada de Cojup heißt ein kleines Dorf am Fuß des Aufstiegs zur Lagune Palcacocha. Saúl Luciano Lliuya kennt die meisten Bewohner des peruanischen Ortes. Sie unterstützen den Kleinbauern und Bergführer, der immer wieder zum Gletschersee Palcacocha hinaufsteigt. »Die Bewohner dort oben werden die ersten sein, die von der Flutwelle weggespült werden«, sagt der 35jäh-rige Mann aus Huaraz. Die Provinzstadt mit ihren 120 000 Einwohnern liegt 450 Kilometer nördlich der Hauptstadt Lima, weit unten im Tal unterhalb der Lagune, die von weißen Bergen und Gletschern umgeben ist. Dort lebt Lliuya mit seiner Familie.

»Wir haben lange überlegt, was wir machen können, um zu verhindern, dass wir von einer Flutwelle weggespült werden. Nun wollen wir diejenigen zur Verantwortung ziehen, die für die Gletscherschmelze mitverantwortlich sind«, sagt er. Deshalb hat der Bergführer Klage eingereicht gegen den zweitgrößten europäischen Energieerzeuger: die in Essen ansässige RWE AG. Der Konzern, der das Gros seiner verkauften Elektrizität aus der Kohleverstromung generiert, gehört zu den größten CO2-Emittenten Europas und trägt Lliuyas Ansicht zufolge zur weltweiten Gletscherschmelze maßgeblich bei. Davon ist Peru überdurchschnittlich stark betroffen. Die Verursacher müssten auch Verantwortung übernehmen, so der Bergführer.
Die Klage ist ein juristisches Novum. Der Völkerrechtler Philippe Sands hat erst vor einigen Wochen auf den Sachverhalt aufmerksam gemacht: »In einer Welt, in der die Temperatur steigt, das Eis schmilzt und der Meeresspiegel ansteigt, dürfen die internationalen Gerichte nicht schweigen.« Nun ist das Essener Landgericht gefragt, denn dort hat Lliuya mit seiner Hamburger Rechtsanwältin Roda Verheyen eine Zivilklage gegen RWE eingereicht. Der Energiekonzern, so auch die Argumentation vor Gericht, sei mitverantwortlich für die Gletscherschmelze in den Anden und werde seiner Verantwortung nicht gerecht, notwendige Schutzmaßnahmen gegen drohende Flutwellen zu treffen, die ausgelöst werden könnten, wenn große Eisblöcke in den See stürzen.
Die Musterklage zielt darauf ab, RWE dazu zu verpflichten, einen angemessenen Anteil an den notwendigen Kosten für die Schutzmaßnahmen in Peru übernehmen. Die Ausgaben in Huaraz für die Erweiterung und Stabilisierung des Damms der Lagune Palcacocha belaufen sich Kalkulationen zufolge auf etwa 3,5 Millionen Euro. Davon soll RWE einen Anteil von 0,47 Prozent übernehmen, was dem Anteil des Unternehmens an den weltweiten Emissionen von Kohlendioxid entspricht. Diese 17 000 Euro wären für den Konzern sicher keine schwere Last. Eine solche Klage könnte auch in anderen Ländern eingebracht werden. Für Lliuya käme das durchaus in Frage, wenn die von der Nichtregierungsorganisation Germanwatch unterstützte Klage in Deutschland Erfolg haben sollte.
Das lässt sich noch nicht absehen. Die Beweiskette der Anwältin ist jedenfalls lang. Verheyen setzt im Jahr 1898 mit der Gründung des Essener Energiekonzerns an. Sie zeichnet auch nach, wie der Gletscher, der die Lagune speist, langsam schmolz. US-amerikanischen Forschern zufolge hat sich das Volumen der Lagune in den vergangenen 40 Jahren verdreißigfacht. Die Gefahr, dass eine Lawine eine katastrophale Flutwelle auslöst, ist diesen Forschungen zufolge real. Schon einmal, im Jahr 1941, waren Eis und Geröll in die Lagune gestürzt und hatten eine Flutwelle ausgelöst, die sich durch ein Tal nach Huaraz wälzte und 6 000 Menschen mit sich riss. Ein solches Unglück droht sich zu wiederholen. Dies möchte Lliyua verhindern, nicht zuletzt, um seinen eigenen Besitz in Huaraz zu erhalten. Deutsche Gesetze könnten das nach Ansicht der Anwältin gewährleisten. Verheyen beruft sich auf das Bundesemissionsschutzgesetz und das Bürgerliche Gesetzbuch. Darin ist festgeschrieben, dass das Eigentum Dritter nicht in unzumutbarer Weise beeinträchtigt werden darf. Genau das tue RWE aber, wenn der Konzern sich nicht an Vorsorgekosten beteilige, sagt der Bergführer, der sich gerade anlässlich des Klimagipfels in Paris befindet.
»Wir haben in Huaraz lange überlegt, wer uns helfen kann, denn die lokale Politik ist von Korruption geprägt und die meisten Umweltorganisationen haben einen lokalen Bezug. Dann bin ich mit dem lokalen Vertreter von Germanwatch in Cajamarca zusammengetroffen«, erzählt der umtriebige Mann. So entstand der Kontakt zu der deutschen Umwelt- und Klimaschutzorganisation. Als 2014 in Lima der Klimagipfel stattfand, traf man sich zum Austausch. Damals entstand die Idee der Musterklage. Es dauerte noch bis zum März 2015, bis ein erster Brief an RWE geschickt wurde. Der Konzern lehnte jedoch die Forderung des Bergführers ab. Dieser ist nun seit einer Woche gemeinsam mit seinem 75jährigen Vater Julio Luciana in Europa unterwegs und versucht, auf die Situation der unter den Folgen des Klimawandels leidenden Menschen aufmerksam zu machen.

Der Prozess dürfte als Präzedenzfall eine große öffentliche Wirkung haben. Sollte das deutsche Gericht feststellen, dass RWE für Schutzmaßnahmen in Peru zahlen muss, wäre das ein Durchbruch. Bislang sind alle Versuche gescheitert, die Schäden des Klimawandels vor Gerichten einzuklagen. Folglich sieht auch RWE »keine rechtliche Grundlage für solche Ansprüche«. Ein dem widersprechendes Urteil hätte neben einer Flut von Einzelklagen vor allem politische Auswirkungen. Bei Germanwatch hofft man, es würde den Druck auf Unternehmen erhöhen, den Klimaschutz endlich ernst zu nehmen.