Die AfD in Thüringen erzürnt ihre Mitglieder

Zu provo für die Alternative

Björn Höcke gibt öffentlich den Provokateur. Diese Strategie aus dem Arsenal der »Neuen Rechten« beschert dem Politiker der Alternative für Deutschland mittlerweile Schwierigkeiten.

Der Fraktionsvorsitzende der Alternative für Deutschland (AfD) im thüringischen Landesparlament, Björn Höcke, ist das neue enfant terrible im deutschen Politikbetrieb – und hat sich schon in dessen Widersprüchen verfangen. Zwar kokettiert der Lautsprecher der Rechtspartei mit seiner »inneren Distanz« zum herrschenden Parteiensystem. Doch wenn seine Ausführungen zum »lebensbejahenden afrikanischen Ausbreitungstyp« und Aussagen wie: »Christentum und Judentum stellen einen Antagonismus dar«, skandalisiert werden, bedient sich auch Höcke jener Phrasen, die von den im Umgang mit den Medien erfahrenen Politikern der »Altparteien« bekannt sind. Von »Fehldeutungen« spricht er dann, von verkürzten Zitaten, die aus dem Zusammenhang gerissen seien.

Der Politiker Björn Höcke ist das Produkt eines politisch-medialen Systems, dem er vorgeblich den Kampf angesagt hat. Zudem ist der Fall Höcke ein Lehrstück über die Möglichkeiten und Grenzen neurechter Einflussnahme. Dass seine Äußerungen zu »Fehldeutungen« geradezu einladen, liegt nicht nur an den abrufbaren Skandalisierungsmechanismen der »Pinocchio-, Lügen-, und Lückenpresse«, wie die großen Medien von »besorgten Bürgern« und deren Souffleuren in AfD und Pegida genannt werden. Höcke ist auch ein politischer Neuling, der die vermeintlichen Grenzen des Sagbaren mitunter unfreiwillig überschreitet. Vor allem aber ist Höcke ein strategisch denkender Wortführer der »asylkritischen« Bewegungen, die seit der Ausrufung der »Flüchtlingskrise« auch jenseits der sozialen Netzwerke an Zulauf gewonnen haben. Der beurlaubte Oberstudienrat agiert nicht nur in Thüringen als parlamentarischer Arm der wutbürgerlichen Straßenproteste. Er popularisiert dabei jene völkischen Inhalte, die bislang auf den engen Kreis der »metapolitischen«, das heißt auf die Beeinflussung von Begriffsbildung und Debatten zielenden »Neuen Rechten« beschränkt waren.
Höcke befand sich auf der Mitte November unter dem Titel »Ansturm auf Europa« ausgerichteten Winterakademie des Instituts für Staatspolitik (IfS) unter alten Kameraden. Aus den Publikationen der neurechten Denkfabrik bezieht Höcke nach eigenen Worten sein »geistiges Manna«. Zu Götz Kubitschek, einem führenden Organisatoren und Autoren der »Neuen Rechten«, pflegt Höcke eine langjährige gute Beziehung. Schon im Oktober 2014 warnte der AfD-Politiker im Interview mit Kubitschek in der Online-Ausgabe der vom IfS herausgegebenen Zeitschrift Sezession vor einem »Globalisierungstotalitarismus« und forderte eine »Verteidigung der ethnokulturellen Diversität«. Im Dezember kritisierte er an gleicher Stelle die damaligen Thesen der Pegida. Der Wille zum »Schutz unseres christlich-jüdischen Abendlandes« freue ihn zwar. Er beklagte aber »das Fehlen der antiken und germanischen Wurzeln« im politischen Bekenntnis der Dresdener »Abend­spaziergänger«.
Dieser ideologisch aufgeladene Tonfall ist selbst in der AfD umstritten. Im März stellte Höcke zusammen mit seinen Parteifreunden von der Strömung »Der Flügel« die »Erfurter Resolution« vor. Die AfD solle eine »Widerstandsbewegung gegen die weitere Aushöhlung der Souveränität und der Identität Deutschlands« werden. Hans-Olaf Henkel, der zusammen mit dem ehemaligen AfD-Voesitzenden Bernd Lucke die Partei im Sommer verließ, warnte in der Jungen Freiheit vor einer Entwicklung hin zu einer »sektiererischen Rechtsaußenpartei, die sich auf völkisches Gedankengut reduziert«. Sogar Dieter Stein, der Chefredakteur der Jungen Freiheit, beurteilt nicht nur Höckes Ausflüge in die »Populationsökologie« kritisch. Der Politiker habe »rassenideologisch« argumentiert, die Partei laufe Gefahr, von »radikalen Sektierern« bestimmt zu werden.

Das rechte Milieu ist gespalten. Denn Höcke ignoriert die bürgerlichen Vorstellungen von Maß, Mitte und staatstragendem Habitus. Schon sein spektakulärer Auftritt in Günther Jauchs Talkshow stieß im Oktober außerhalb seiner Kreise auf Befremden. Unfreiwillig bediente er mit seiner ausgerollten Deutschland-Fahne das Bild vom Narrensaum, der rechts von der Union anzutreffen sei. »Er wählt die Mittel der Provokation, um vom rechten Rand auf die Diskurse der Mitte einwirken zu können«, sagt Helmut Kellershohn vom Duisburger Institut für Sprach- und Sozialforschung (Diss) im Gespräch mit der Jungle World. Der Kenner der »Neuen Rechten« hat seit den achtziger Jahren die aktionistischen Vorläufer der gegenwärtigen Proteste analysiert.
»Provokation« war auch der Titel eines 2007 erschienenen Büchleins von Kubitschek, dem verantwortlichen Redakteur der Sezession. Das Buch wirkt wie ein Satzbaukasten für Höckes Auftritte. »Man muss als Neuling heute provozieren, um überhaupt noch wahrgenommen zu werden«, ist dort zu lesen. Mit der an die »direkten Aktionen« der Achtundsechziger anknüpfenden »Konservativ-Subversiven Aktion« konnte Kubitschek seinerzeit mehrfach mediale Aufmerksamkeit erzielen. Dennoch verläuft keine direkte Linie zwischen dem Kommunarden Kunzelmann und dem rechten »Bewegungsunternehmer« Kubitschek. »Wir haben es mit einer Kopie der linken Form, aber eben nicht der Inhalte zu tun«, sagt Kellershohn. »Allerdings führt gerade die Rede von einer ›Flüchtlingskrise‹ zu einer Überwölbung des Links-rechts-Gegensatzes«, so der Wissenschaftler. Die Warnung vor der Terrorgefahr und Verteilungskonflikten wirke auch bei Wählerinnen und Wählern der Linkspartei. Mit Höcke habe die »Neue Rechte« eine politische Figur, die zudem – in jungkonservativer Tradition – das Bürgertum ebenso umwirbt wie Linke.
Höcke inszeniert sich auf den Erfurter Demonstrationen gegen die deutsche Asylpolitik als »besorgter Bürger«, der vorgibt, nicht zu hetzen, sondern nur die Nöte des Volkes zur Sprache zu bringen. Dabei ist die schwülstige Ergriffenheit, welcher der Politiker während seinen operettenhaften Auftritten anheimfällt, nicht ohne Komik. Höcke ruft voller Pathos »Otto, ich grüße dich!«, beschwört die Ängste naturgemäß blonder deutscher Frauen und rühmt die »tausendjährige deutsche Geschichte«. Er veranstaltet eine politische Séance, eine grelle und eklektizistische Beschwörung des »deutschen Geistes«. Wäre die deutsche Gesellschaft aufgeklärt und unanfällig für rechtsextreme Ideologie, könnte sie über die Fundamentalopposition von rechts schmunzeln.
Doch angesichts der 1 305 Angriffe auf Flüchtlingsheime, die bis Mitte November offiziell registriert wurden, ist es schwer mit der Ironie. Gerade Höcke ist der Stichwortgeber einer Bewegung, die »Nein zum Heim!« ruft. Fast unerheblich scheint es mittlerweile, ob er tatsächlich einst unter dem Pseudonym Landolf Ladig für Nazipostillen wie Volk in Bewegung geschrieben hat. Für diesen Vorwurf hat der Publizist Andreas Kemper zwar plausible Argumente vorgelegt. Allerdings verrät schon Höckes bekannt gewordene Rede über den Antagonismus zwischen Christentum und Judentum die Geisteshaltung des Politikers. Ihm geht es nicht um die Betonung jener theologischen Differenzen, die längst im christlich-jüdischen Dialog verhandelt werden. Antagonisten sind Gegner, Widersacher und Feinde. »Darum kann ich mit dem Begriff des christlich-jüdischen Abendlands nichts anfangen«, sagte Höcke weiter. Die Abgrenzung zum Judentum dient der Bestimmung der vielbeschworenen »nationalen Identität« des deutschen Christen Höcke.

Etliche Umfragen sehen die AfD gegenwärtig auf dem Weg zur drittstärksten Kraft im Parteiensystem. Auch wenn es nicht so weit kommt, macht die Zustimmung ein politisches Milieu sichtbar, das Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) lautstark zuruft: »Nein, wir wollen das nicht schaffen!« Dieser Protest wurde jedoch nicht durch geschickte Manipulation der Agitatoren der AfD angestoßen. »Das völkische Element ist im Alltagsbewusstsein bereits vorhanden«, sagt Kellershohn. Die »deutsche Familie« und die »regionale Identität« sollen demnach gegen das Feindbild der neuen Invasoren verteidigt werden. Die romantische Verklärung des »Eigenen« und die Ablehnung des »Anderen« werden von Politikern wie Höcke verstärkt und zugespitzt – sind aber bereits vorhanden. Insofern wird an der AfD nur ein Potential sichtbar, das latent schon bestand.
Noch ist unklar, wie sich die Partei im Fall Höcke entscheiden wird. Nicht nur etliche Kreise der Wahlkampf führenden Landesverbände in Baden-Württemberg, Rheinland-Pfalz und Sachsen-Anhalt treibt die Sorge um, dass die öffentliche Wahrnehmung der Partei von neurechten Provokationen geprägt wird. Höcke ist dabei der Donald Trump der AfD. Er mobilisiert die rechten Fußtruppen des Shitstorms und verleiht dem deutschen Raunen seine schrille Stimme. Dieser schrille Stil schreckt auch Teile seiner Partei ab.
Die AfD befindet sich 2016 also erneut im Machtkampf – mit der Pointe, dass derzeit der ganz rechte Flügel der Rechtspartei aufbegehrt. Höckes Satz, die AfD sei die »letzte evolutionäre Chance für dieses Volk«, lässt aufhorchen. Seiner Vision eines deutschen Front National steht derzeit jedoch auch die kritische Berichterstattung der großen bürgerlichen Medien entgegen. In Bild und Welt finden Höcke und seine Gefolgsleute in der AfD selten Gnade, die Frankfurter Allgemeine Sonntagszeitung führte die »neue völkische Bewegung« in den vergangenen Wochen geradezu exemplarisch vor. Im öffentlich-rechtlichen Rundfunk wird Höcke als Comic-Goebbels verspottet. Nun gibt es zwei Möglichkeiten: Der von seiner Mission allzu beseelte Höcke wird angesichts der harschen Kritik der klassischen Massenmedien und Altparteien entweder politisch gezähmt oder er steigert sich noch. Der Parteimitgründer Konrad Adam hat Höcke zum Austritt aufgefordert, die Parteivorsitzende Frauke Petry hat dies ebenfalls getan. Der Bundesvorstand hat es bei einer öffentlichen Rüge in Form einer Pressemitteilung belassen. Höcke ist also weiterhin in Partei und Amt. Doch er könnte immer noch dank jener Provokationsstrategie scheitern, die seiner Kampagne für die nationale Erhebung dienen sollte.