Der Front National präsentiert sich als Opposition

Der FN bleibt antibakteriell

Nach der verlorenen Regionalwahl im Dezember sortiert sich der Front National neu. Die politische Entwicklung in Frankreich bietet der rechtsextremen Partei ausreichend Möglichkeiten, sich öffentlich zu profilieren – sei es mit aggressiven Angriffen auf die Regierung oder als »kon­struktive Opposition«.

Dieses Mal hielt die Maginot-Linie. Erleichterung sprach aus vielen Leitartikeln und Kommentaren, als der Front National (FN) nach den französischen Regionalparlamentswahlen im Dezember keine Exekutivämter übernehmen konnte (Jungle World 51/2015). Die Maginot-Linie dieser Tage bildete dabei das französische Mehrheitswahlsystem mit zwei Wahlgängen: In Kombination mit dem Fehlen von Verbündeten, die dem FN in der Stichwahl zusätzliche Wählerstimmen zugetrieben hätten, verhinderte es den Zugang der rechtsextremen Partei zu institutionellen Machtpositionen.

Was bleibt dem FN nun als Strategie? Auf das Problem, mit einer Politik des »Allein gegen alle« regelmäßig an der erforderlichen absoluten Mehrheit zu scheitern, könnte die Partei von Marine Le Pen grundsätzlich mehrere Antworten geben. Eine bestünde darin, zu versuchen, die Konservativen aufzureiben und einen Teil von ihnen für sich zu gewinnen. Dies könnte dann gelingen, wenn der FN in einer Stichwahl gegen die Sozialdemokratie oder einen Block von Linksparteien anzutreten hätte. Doch er kann sich seine Gegenspieler bei Wahlen nicht aussuchen: Ob in der Präsidentschaftswahl 2002 oder den jüngsten Regionalparlamentswahlen – häufig steht er Konservativen gegenüber, und dann gelingt es diesen, Wähler der Rechten, der Mitte und der Linken hinter sich zu bringen.
Eine andere Strategie bestünde darin, Bündnis­angebote an manche konservativen Kräfte zu richten. Eine dritte, der letztgenannten diametral entgegenstehende Strategie, wäre, zu erklären, links und rechts spielten als politische Kategorien ohnehin keine Rolle mehr und der FN sei die einzige Alternative zu den »abgewirtschafteten Systemparteien«. Die wirkliche Trennlinie verläuft einer solchen Argumentation zufolge auch nicht mehr zwischen politischer Linker und politischer Rechter – denn in einem solchen Falle bliebe der FN auf konservative Bündnisse angewiesen –, sondern zwischen Parteien der »Globalisierer« einerseits und Nationalisten andererseits.
Diese dritte Strategie übernahm der FN in den frühen neunziger Jahren, nachdem rechtsextreme Intellektuelle zu dem Schluss gekommen waren, durch den Fall der Berliner Mauer und den angeblichen »Tod des Marxismus« könne die Partei den vermeintlich freiwerdenden Platz der »System­opposition« einnehmen, die soziale Veränderungswünsche aufnehme. Sinnfälligen Ausdruck fand diese Strategie 1995 in der vorübergehenden Übernahme des Slogans »Ni droite ni gauche, Français« (Nicht links, nicht rechts, französisch), der schon bei Jacques Doriot im Faschismus der dreißiger Jahre Verwendung gefunden hatte.

Ähnliches ist zurzeit auch von Marine Le Pen zu hören. In einer Ansprache am Abend des 10. Dezember in Paris behauptete die Vorsitzende des FN, die wirkliche politische Spaltung im Lande verlaufe zwischen »mondialistes«, also den Anhängern einer »Eine-Welt-Ideologie«, und »Patrioten«. Alle »Altparteien« gehörten zu ersteren, der FN verkörpere deren Widerpart.
An konkreten Bündnissen arbeitet derweil der Vizevorsitzende der Partei, Florian Philippot. Er war als Spitzenkandidat in Ostfrankreich angetreten. Am Abend des Wahlsonntags bot er explizit dem nationalkonservativen EU-Kritiker Nicolas Dupont-Aignan ein politisches Bündnis an. Dessen Listen hatten im ersten Wahlgang knapp vier Prozent erhalten, für die Stichwahl enthielt sich Dupont-Aignan jeglicher Wahlempfehlung. Um in Zukunft eine neue, potentiell mehrheitsfähige Allianz aufzubauen, dürfte dieses relativ kleine Segment der Rechten jedoch sicherlich nicht ausreichen, zumal Dupont-Aignan keine exklusive Partnerschaft mit dem FN anstrebt und Philippots Angebot ausschlug.
Eine Annäherung an stärkere Kräfte der konservativen und wirtschaftsliberalen Rechten befürwortet die Abgeordnete Marion Maréchal-Le Pen. Die 26jährige, die im Dezember als Spitzenkandidatin in Südostfrankreich angetreten war, beharrt auf einer festeren Verankerung des FN im rechten Milieu, die auch mit einer weit klarer als bislang formulierten Präferenz für die Konservativen vor den Sozialdemokraten einhergehen müsse. Zu ihren bevorzugten Themen zählen unter anderem »katholische Werte«, der »Lebensschutz«, also die Ablehnung von Schwangerschaftsabbrüchen, sowie der offensive Einsatz gegen die gleichgeschlechtliche Ehe. Solche Themen werden von Marine Le Pen eher halbherzig aufgegriffen.
Für die Parteivorsitzende standen die Propaganda gegen Einwanderung und der Versuch, sie mit sozialen Fragen zu verknüpfen, im Vordergrund. Am 10. November agitierte Marine Le Pen in der Regionalzeitung La Voix du Nord heftig. Zur Gesundheitspolitik befragt, verkündete sie, sie werde gegen die »bakterielle Immigration« ankämpfen. Vordergründig behauptete Le Pen, die Ausbreitung ursprünglich nicht in Europa heimischer Krankheiten bekämpfen zu wollen, als deren Ursache sie ausschließlich die Einwanderung darstellte. Tatsächlich bediente sie sich des alten völkisch-nationalistischen Bilds vom Krankheitserreger in Gestalt nicht zur ethnisch definierten Nation gehöriger Minderheiten, der den »Volkskörper« bedrohe.
Drei Tage später ereigneten sich die mörderischen Attentate in Paris und Saint-Denis, die mehrere Wochen lang die innenpolitische Debatte beherrschten. Seither bewegt sich die Politik des FN zwischen zwei Polen. Einer ist der Angriff auf die Regierenden, die angeblich an den Anschlägen mitschuldig seien – unter anderem weil sie zu viele Migranten ins Land gelassen hätten –, und die Forderung nach deren Rücktritt, die der FN in den ersten Tagen nach dem 13. November lautstark erhob. Der andere ist die Rolle der »konstruktiven Opposition«.
Besonders nachdrücklich wirbt der FN dabei für die nun auch von der Regierung ins Auge gefasste Möglichkeit, Doppelstaatsangehörigen nach einer Verurteilung wegen terroristischer Betätigung die französische Staatsbürgerschaft nachträglich zu entziehen. Die Parlamentsdebatte über den Gesetzentwurf und die Erweiterung des Ausnahmezustands soll am 3. Februar beginnen. Ende Dezember kündigte Philippot an, seine Partei könne für die Regierungsvorlage zur Verfassungsänderung stimmen, falls die derzeit hitzig diskutierte Ausbürgerungsregelung tatsächlich darin enthalten sei.

In den Reihen der regierenden Sozialdemokratie und auch unter Verwaltungsrichtern rief das Gesetzesvorhaben heftige Kritik hervor. Es droht, die Regierung zu spalten. Auch die Konservativen sind hin- und hergerissen zwischen Zustimmung in der Sache und opportunistischer Gegnerschaft zur Regierung. Etliche konservative Protagonisten äußern auch grundsätzliche Bedenken.
In der extremen Rechten freut man sich sichtlich. Die gewaltaffine und offen faschistische Strömung um Yvan Benedetti und Alexandre Gabriac, deren Organisationen »L’Oeuvre française« und »Jeunesses nationalistes« im Sommer 2013 verboten wurden (Jungle World 31/2013), jedoch unter der aus den fünfziger Jahren übernommenen Organisationsbezeichnung »Jeune Nation« weitermachen, verteidigt den Entwurf gegen Kritik. In einer Aussendung attackierten die Jungfaschisten Ende Dezember gezielt Gegner des Gesetzentwurfs, indem sie mal auf deren jüdische Herkunft, mal – wie im Falle Daniel Cohn-Bendits – auf deren angebliche pädophile Vergangenheit hinwiesen. Der rechtsextreme Bloc Identitaire bezeichnete das Gesetzesvorhaben in einer Pressemitteilung Ende Dezember als »fundamentalen ideologischen und politischen Sieg«. Angesichts dessen muss der FN nicht damit rechnen, von seinen Konkurrenten aus dem stiefelfaschistischen Milieu des Verrats geziehen zu werden, falls er der Regierungsvorlage zustimmt.