Berlin Beatet Bestes. Folge 237.

Der DDR-Fan

Berlin Beatet Bestes. Folge 237. Dieter Süverkrüp: Fröhlich isst du Wiener Schnitzel (1965).

»Geh doch nach drüben, wenn’s dir hier nicht gefällt!« – ein Satz, den der DDR-Fan Dieter Süverkrüp sich in den sechziger und siebziger Jahren bestimmt häufiger mal anhören musste. Süverkrüp war strammer DKP-Mann, lehnte Kritik an der DDR ab, unterstützte den Einmarsch sowjetischer Truppen in Prag 1968 und verteidigte die Ausweisung Wolf Biermanns. Mit den Verhältnissen in der DDR war der Dortmunder vertraut, denn er gehörte zu den wenigen westdeutschen Künstlern, die das Regime gern einlud. Klingt alles nicht so gut, oder? Warum beschäftige ich mich überhaupt mit so einem Mann und sammle seine Platten?
Weil sie so alleinstehen. Egal wie altbacken und unverständlich Süverkrüps Hardliner-Commie-Texte heute klingen mögen, vor 50 Jahren gab es keine vergleichbaren Platten auf dem deutschen Markt. Kein Musiker kritisierte die allgegenwärtige CDU-Propaganda der damaligen Zeit so scharf wie er. Dieter Süverkrüp, geboren 1934 in Düsseldorf, war schon immer irgendwie cool. Mit seiner ersten Band, den Dortmunder Feetwarmers, die Traditional Jazz spielten, genauso wie mit seinen ersten Veröffentlichungen als linker Liedermacher auf dem Label Pläne. Es wurde mitgegründet von Süverkrüp und ist historisch so interessant, weil es eines der ersten deutschen Independent-Labels war. Independent bedeutete damals noch Gegenkultur, Untergrund und echte Randständigkeit. Kein anderes Label der Nachkriegszeit steht so sehr für Antifaschismus, Antikapitalismus und Kritik am Mief der BRD. Klar konntest du auch als langhaariger Beat-Gammler gegen die deutsche Spießigkeit rebellieren, aber theoretisch unterfüttert wurde die Auflehnung nur von den Linken. Und das erste westdeutsche linke Label war damals eben Pläne.
»Fröhlich isst du Wiener Schnitzel«, das titelgebende Stück auf Süverkrüps erster LP, ist leicht angejazzt, aber überlagert von einem fiesen satirischen Text über einen deutschen Normalbürger, der unter den Bedingungen einer zukünftigen Militärdiktatur lebt. Seltsamerweise erinnert es mich an Razzias »Kriegszustand«. Dabei haben Süverkrüps Songs mit Punk nicht das Geringste zu tun, nur inhaltlich gibt es Parallelen. Im Kohl-Deutschland der Achtziger waren Razzia vielleicht sowas wie Süverkrüps red diaper babies: Kinder von Linken, denen, auf den Schultern ihrer Eltern sitzend, bereits die Fäustchen zum »Ho, Ho, Ho Chi Minh!« hochgereckt wurden. Abgesehen von der Plakativität der Texte ist »Fröhlich isst du Wiener Schnitzel« musikalisch aber vielschichtig. Das Gefühl der Swinging Sixties kommt noch nicht auf, dennoch ist die Platte lässiger als es bei politischen Liedermachern später üblich werden sollte. Das Cover der LP, wie viele andere des Labels, gestaltete und zeichnete Süverkrüp selbst. Darauf ist ein huttragendes Männlein zu sehen, ein Kapitalist, der im Kinderstühlchen über einem Spielzeugpanzer sitzt. Auf meinem Exemplar befindet sich überraschenderweise eine Widmung: Am 9. September 1965 ließ Süverkrüp Gisela May einen handschriftlichen Gruß zukommen. May war die bekannteste Brechtinterpretin der DDR.
Mein Name ist Andreas Michalke. Ich zeichne den Comic »Bigbeatland« und sammle Platten aus allen Perioden der Pop- und Rockmusik. Auf meinem Blog Berlin Beatet Bestes (http://mischalke04.wordpress.com) stelle ich Platten vor, die ich billig auf Flohmärkten gekauft habe.