Sachsen ist hemmungslos

Der rechte Rand der Republik

Sachsen hat kein Problem mit Nazis. Sachsen ist das Problem.

Keine Frage: Rassismus ist ein gesamtdeutsches Problem. Sachsen lag 2014 bei der »Ausländerfeindlichkeit« mit 25 Prozent nur geringfügig über dem bundesdeutschen Durchschnitt. Mit der Forderung nach einem »Säxit« dem braunen Bundesland ein weltoffenes und buntes Deutschland gegenüberzustellen, ist zweifelsohne eine Verharmlosung des rassistischen Konsenses in großen Teilen der Bevölkerung, der seinen Ausdruck eben nicht nur im grölenden Mob vorm Flüchtlingsheim findet, sondern ebenso in der Verabschiedung der jüngsten Verschärfungen des Asylrechts im Bundestag. Zugleich zeigen die Zahlen rassistischer Gewalttaten eine nicht zu leungnende Konzentration auf den rechten Rand der Republik: Jeder sechste rassistische Übergriff im vergangenen Jahr fand in Sachsen statt – wo nur fünf Prozent der Bevölkerung wohnen. So zu tun, als wäre es überall gleich schlimm, relativiert die reale Gefahrenlage, der Nichtdeutsche in vielen Ecken Sachsens ausgesetzt sind und die sich deutlich von anderen Regionen unterscheidet.
Es gibt Gründe, warum sich in Dresden – und nicht anderswo – regelmäßig bei Schnee und Kälte Tausende einer imaginierten Bedrohung ihrer »Heimat« und ihres Wohlstands entgegenstellen, warum in derselben Stadt jahrelang Europas größter Nazi-Aufmarsch stattfand und warum die in ganz Deutschland vorhandenen Ressentiments eben vor allem hier in offene Gewalt umschlagen. Die neonazistischen Massendemonstrationen in Erinnerung an den »Bombenholocaust« sind nicht zu trennen vom Dresdner Opfermythos um die vermeintlich unschuldig bombardierte Stadt, Clausnitz und Bautzen nicht von der Angst-und Opferrhetorik von der CDU.
Um Sachsen zu verstehen, muss man den Blick auf das gesellschaftliche Umfeld richten, in dem die rassistische Gewalt stattfindet. Nach dem pogromartigen Empfang der Geflüchteten im sächsischen Clausnitz wurde die dortige Bundestagabgeordnete Veronika Bellmann (CDU) vom Focus gefragt, ob Sachsen ein »Problem mit Rechten« habe. Ihre Antwort: »Es gibt viele Menschen, die hier die Augen aufhalten und sagen, dass übermäßige Toleranz zu No-go-Areas wie in Duisburg, Berlin oder anderswo in Westdeutschland führt.« Das Problem, dass Sachsen mit Rechten hat, besteht – wie obige Antwort eindrucksvoll belegt – nicht nur in organisierten Neonazis und »besorgten Bürgern«, sondern vor allem in dem gesellschaftlichen Klima, aus dem diese hervorgehen. Die globale Realität multikultureller Gesellschaften hat in vielen Ecken Sachsens auch über 20 Jahre nach der Vereinigung noch nicht Einzug erhalten. Die völkischen »Wir sind das Volk«-Rufe sind ver­zweifelte Versuche, jene Realität (»Westverhältnisse«) abzuwenden, mit der die Bürger in Gestalt der Flüchtlinge derzeit konfrontiert werden.
Hinzu kommt die vorherrschende politische Lage in dem seit Ende der DDR von den Christdemokraten regierten Bundesland. Es gab offiziellen Zahlen zufolge über 1 500 rechtsextreme Straftaten im vergangenen Jahr in Sachsen. Zugleich betonte Michael Nattke vom Kulturbüro Sachsen vergangene Woche im Spiegel-Interview, dass die NPD so schwach sei wie seit zehn Jahren nicht. Sie braucht hier einfach niemand mehr. Denn die politische Haltung der bürgerlichen Mitte »Mitteldeutschlands« korreliert mit der geographischen Lage Sachsens in der Bundesrepublik: ganz rechts. So wähnt sich der Mob auf den Straßen nicht zu Unrecht als Volkes Stimme. Die Menschen hier sind nicht unbedingt rassistischer als im Rest der Republik. Sie haben bloß weniger Hemmungen, ­ihren Hass offen auszuleben – auch weil sie hier kaum Strafverfolgung zu befürchten haben. Während im Westen der Republik Angriffe auf Flüchtlingsunterkünfte heimlich nachts stattfinden, trifft man sich in der sächsischen Provinz abends auf ein Bier zum Pogrom – und stellt anschließend noch Videos davon ins Netz. Eine progressive Zivilgesellschaft, die diesem Treiben etwas entgegensetzen könnte oder wollte, ist vielerorts nur rudimentär vorhanden. Diese Situation lässt sich nicht in kurzer Zeit ändern und zudem werden bei näherer Betrachtung der Akteure die Grenzen der Aufklärung überdeutlich. Deshalb hilft derzeit nur, ein Klima zu schaffen, in dem sich jene autoritären Charaktere einfach nicht mehr trauen, mit ihren menschenverachtenden Einstellungen offen zu prahlen und sie volksgemeinschaftlich in die Tat umzusetzen.