Bieryoga im Selbstversuch

Und … Prooooooohst!

Das könnte der neue Hype in Berlin werden: Bieryoga. Ein Besuch und ein Selbstversuch.

Jhula sitzt in der Lotusposition auf einer Empore im kleinen Saal des Loftus Hall, einem angesagten Club in Berlin-Neukölln. Jhula kann sich rühmen, der Welt den neuesten Berlin-Hype beschert zu haben: Bier­yoga.
»Atmet tieeeeeeef ein«, sagt sie den etwa 30 Personen, die vor ihr auf dem Boden der Tanzfläche auf ihren Yogamatten sitzen und wie Jhula eine Flasche Bier in beiden Händen vor ihrer Brust halten. »Atmet tiee­eeeeef aus. Wir beenden unsere Bier­yogastunde mit einem gemeinsamen Prost.« Gemeinsam intonieren die Bieryogis ein langgezogenes »Proooooooooost«, das die ganze Halle von den Bäuchen, Hälsen und Mündern bis in die schwarz bemalten Wände vibrieren lässt.
Eigentlich ein geiles Gefühl. Wer das sonst im Yoga übliche »Om«-Summen am Anfang oder Ende einer Yogastunde aus weltanschaulichen Vorbehalten gegen Esoterik verweigert, erlebt hier einen kleinen Aha-Effekt. Das fühlt sich ja ganz nett an. Im Anschluss nehmen alle noch einen ordentlichen Zug aus der Bierpulle, soweit überhaupt noch etwas drin ist. Ein bis zwei kleine Flaschen sind pro Person in der vergangenen Stunde zu verschiedenen aus dem Yoga entlehnten Übungen verbraucht worden. Nur heißt die Brettposition hier »Bierbank«, die Kriegerposition heißt »Biertrinker« und so weiter.
Von der üblichen, meist auch ernst angestrebten Tiefenentspannung nach der Yogapraxis ist deutlich weniger zu merken als bei sonstigen Yogastunden. Lachend rollen Leute ihre bunten Schaumstoffyogamatten auf, fegen zerbrochene Bierflaschen zusammen – nicht alle haben es beim »Bierbaum« geschafft, die Flasche auf dem Kopf zu balancieren –, während das verschüttete Bier einfach auf dem Boden bleibt. Angeheitert von der körperlichen Anstrengung unter Alkoholeinfluss kommt man schnell ins Gespräch. Dabei sind nicht alle restlos glücklich. Eine Frau findet es »unprofessionell«, dass Yogalehrerin Jhula angesichts der herabfallenden Bierflaschen wenig getan hat, um ihre Schülerinnen und Schüler vor den Scherben zu schützen, die beim Zerbersten der Flasche durch den ganzen Raum geflogen sind. »Das passiert doch auch bei jedem Tanzabend, da stört sich auch niemand dran«, kommentiert Jhula lapidar. Nun gut, möchte man sagen, da sind aber auch die wenigsten Menschen barfuß unterwegs, legen sich auf den Boden oder machen einen Handstand.
Wie sich schnell herausstellt, sind ein nicht geringer Teil der Anwesenden Journalisten – der junge Mann, der so aufdringlich fotografiert hat, ist vom Tagesspiegel, Shiromee Bedessee schreibt für Exberliner. »Ich war noch nie bei westlichem Yoga«, sagt die Londonerin, »zu Hause gehe ich dazu in den lokalen Hindutempel.« Nein, das sei nicht annähernd ähnlich. Die Namen für die Positionen seien ja schon ganz andere. Und Bier gebe es natürlich auch nicht. Die Idee, Yoga mit Bier zu machen, findet sie witzig. Kaum angekommen in der Welthauptstadt des Hipstertums ist sie schon voll in der anwesenden Trendscouts-Meute aufgegangen. Das ist so Berlin.
Dabei ist es nach dem ersten Versuch gar nicht so leicht zu sagen, ob es sich nun bei Jhulas Bieryoga um einen gekonnten Jux oder um potentiell vermarktungsfähigen Animationsklamauk für gelangweilte Kreuzfahrt- und Mallorca-Touristen handelt. Oder beides. Jhula behauptet auf ihrer Website bieryoga.de, das Ganze sei »kein Witz«. Doch die Behauptung, dass es durch die Kombination der »Philosophie von Yoga mit der Freude des Biertrinkens« sogar möglich sei, »höhere Bewusstseinszustände kennenzulernen«, wird durch ein augenzwinkerndes »vielleicht« ironisch konterkariert.
Auch die Ansagen der Atem- und Trinkübungen, die Jhula macht, ohne eine Mine zu verziehen, wirken wie eine Parodie des üblichen pseudospirituellen Blödsinns, den man sich oft von Yogalehrerinnen und -lehrern anhören muss. Obwohl Yoga längst ein völlig profanierter, etwas tüdeliger Gesundheitssport geworden ist, den auch Michelle Obama Schulkindern bei Besuchen im Weißen Haus gern empfiehlt, gibt es immer noch genug Leute, die Yoga wie eine Religion betreiben. Dabei kann man sich Yoga-inspirierte Entspannungskurse auch von der Krankenkasse als stressvorbeugende Maßnahme bezahlen lassen. Nicht aber das Biertrinken. Das wird dort lediglich unter der Kategorie »Suchtmittel« behandelt – und das, obwohl die stressmindernde Wirkung von Bier wissenschaftlich hieb- und stichfest bewiesen sein dürfte.
Ehrfurchtslos vor den möglichen religiösen Gefühlen von Yogis oder der Meinung der Krankenkassen über Bier heißt es hingegen auf Jhulas Website, dass mit Hilfe von Bier und Yoga »Menschen seit Jahrhunderten die Seele baumeln lassen und Körper und Geist entspannen«.
»Ich mache das wirklich nur zum Spaß«, sagt Jhula, die mit bürgerlichem Namen ganz anders heißt und auch nicht in großen Porträtaufnahmen abgebildet werden möchte, weil es in dem ehemaligen besetzten Haus im Prenzlauer Berg, in dem sie wohnt, zwei Jungle World-Abonnements gebe. So ganz spontan und irgendwie lustig sei ihr das alles zugeflogen. Gehört habe sie davon aus dem Programm des »Burning Man«-Festivals, das sie damals aber nicht besucht habe. In den Staaten sei es ja auch schon relativ bekannt.
Ihren ersten eigenen Bieryogakurs habe sie auf einem anderen Festival gegeben, dem »Weltkongress der Hedonistischen Internationale«, für den sie keine Karten mehr bekommen habe. Eintritt gab es nur noch gegen das Angebot eines Workshops – und so kam das Bieyoga nach Europa. Dann habe Jhula sich »einfach nur zum Spaß« zum ersten Mal im Leben eine Website gemacht, ganz ohne irgendwelche kommerziellen Ambitionen. »Dabei haben sich schon alle möglichen gemeldet, die jetzt Bieryoga ganz groß machen wollen: Franchise, Aufträge von Bierfirmen und was alles noch«, sagt Jhula. Darüber müsse sie nachdenken, schließlich habe sie ja noch einen Job bei einer NGO.
Geld nimmt Jhula für einen Kurs nur wenig oder gar keines – fünf Euro kostet die Stunde im Loftus Hall. Eine Stunde im Studio kostet in Kreuzberg immerhin zwischen acht und 15 Euro. Allerdings kommen da auch weniger Leute. Aufkleber gibt es auch schon, mit einer stylischen Silhouette von Jhula und »Bieryoga«-Schriftzug. Soll man ihr das alles wirklich abnehmen, die ganze Festival-Hippie-Nummer? Eine Besucherin steht am Tresen und schüttelt den Kopf. Nein, das sehe doch zu sehr nach klug ausbaldo­wertem Marketing aus, alles sei Teil eines ausgefeilten Konzepts.
Schwer zu sagen. Man denke nur an die Übung, bei der man sich zunächst mit angewinkelten Knien auf den Rücken legt, dann das Becken hebt, eine Bierflasche unter das Becken stellt und ein Bein anhebt, so dass man nur noch auf den Schultern, einem angewinkelten Bein und der Bierflasche liegt. Es fühlt sich erstaunlich stabil an. Was passieren würde, sollte man unerwartet doch stürzen, möchte man sich nicht zu genau ausmalen. Was bricht zuerst? Die Flasche? Oder die Wirbelsäule?
Irgendwie ist das ganz schön Punkrock, inklusive diesem völlig sinn­losen Gesundheitsrisikos. Die Frage ist nur, ob Garagenpunk oder Malcolm-McLaren-Punk. Es ist eine klassische Eulenspiegelei: Dem Konsumenten wird seine verquere Idee vorgehalten, dass der mehr oder minder subtile gesellschaftliche Druck zur Selbstoptimierung auch noch Spaß machen oder gar Sinn stiften soll.