Dina Aboul Hosn, Yasmin Merei und Yahya Alaous im Gespräch über Frauenrechte und Medienarbeit in Syrien

»Man versucht, unseren Ruf zu schädigen«

Dina Aboul Hosn, Yasmin Merei und Yahya Alaous berichteten kürzlich auf einer Veranstaltung von »Reporter ohne Grenzen« in Berlin über die Lage von Frauenrechten und Journalismus in Syrien. Die Journalistinnen Dina Aboul Hosn und Yasmin Merei sind beide 2012 aus Syrien geflohen und haben 2014 die Syrian Feminist Lobby gegründet. Aboul Hosn hat in Deutschland außerdem die erste arabischsprachige Zeitung für Flüchtlinge, »Abwab«, mitgegründet. Merei arbeitet für Oppositionszeitungen in Syrien und ist Chefredakteurin der Frauenzeitschrift »Saiedet Souria«. Der Journalist Yahya Alaous schrieb für die Untergrundzeitschrift »Thara« über Frauen- und Kinderrechte. Seit 2015 lebt er in Berlin und schreibt Kolumnen für die »Süddeutsche Zeitung«, das »Handelsblatt« und die »Taz«.

Warum spielen Frauen in der syrischen Revolution offenbar eine untergeordnete Rolle, anders als in Tunesien und Ägypten?
Dina Aboul Hosn: Wegen der Gewalt und dem Krieg. Für Frauen ist es besonders schwer, aktiv zu sein, weil wir als Frauen attackiert werden. Man versucht, unseren Ruf zu schädigen. Das Regime bringt Geschichten über unser Privatleben in Umlauf. Die Islamisten greifen uns an, wenn wir nicht islamisch gekleidet sind. Das Regime sperrt politische Aktivistinnen im Gefängnis zusammen mit Frauen ein, die der Prostitution angeklagt sind, nicht mit Diebinnen. Wenn sie dann rauskommen, müssen sie sich auch noch vor ihrer Familie verstecken, weil die sie für Prostituierte halten.
Die Syrian Feminist Lobby hat sich erst 2014 gegründet. Auch andere Fraueninitiativen sind in dem Zeitraum entstanden. Hatte sich da etwas geändert?
Aboul Hosn: Viele von uns waren da schon im Exil. Und da haben sich viele Aktivistinnen genau diese Frage gestellt: Warum beteiligen sich Frauen so wenig in der Politik, an der Revolution?
Eines unserer Betätigungsfelder ist das Erstellen von Studien zu solchen Themen. Wir erstellen Statistiken darüber, wie viele Frauen überhaupt in welchen Oppositionsgruppen sind, wie sie sich da einbringen und ob es Erweiterungsspielraum gibt. Yasmin hat eine interessante Studie über Frauen in den Medien gemacht. Außerdem sprechen wir mit (Oppositions-)Politikern. Wir treffen uns auch mit Feministinnen in Ägypten und Tunesien und lernen aus ihren Erfahrungen.
Gerade haben wir im Libanon eine große Kampagne für die 75 Frauen gemacht, die als Sexsklavinnen dorthin verschleppt wurden. Die Medien haben angefangen, despektierlich über diese Frauen zu schreiben, und wir haben die Journalisten darauf hingewiesen, dass es sich um ein Verbrechen handelt. Seitdem schreiben sie von Menschenhandel und nicht mehr von Prostitution.
Unser Aktionsradius in Syrien selbst ist klein. Aber wir haben in Aleppo Treffen mit Frauen initiiert, die an Politik interessiert waren. Vor Ort kämpfen wir auch gegen die verbreitete Mentalität, dass Politik nichts für Frauen sei.
Wie organisieren Sie die Arbeit aus dem Exil heraus?
Aboul Hosn: Wir haben 60 Mitglieder, fünf davon im Koordinierungskomitee, die über viele Länder verstreut sind, in Syrien, Europa, Beirut, Kairo und der Türkei. Es sind alles Frauen, Männer können nur Freunde der Lobby sein.
Wir kommunizieren über das Internet. Das größte Problem bei Treffen ist, ob es unsere Mitglieder in Syrien überhaupt schaffen, eine Internetverbindung herzustellen. Anfangs haben wir noch Treffen in Beirut veranstaltet, bei denen die Frauen in persona anwesend waren. Das geht nun nicht mehr, weil Syrerinnen und Syrer inzwischen selbst für den Libanon ein Visum brauchen. Malaysia ist das einzige Land dieser Welt, für das wir kein Visum brauchen.
Welche Rolle spielten Frauenrechte in Syrien vor 2011?
Yasmin Merei: Vor der Revolution gab es die offizielle Frauenvereinigung, die hat aber allenfalls Alphabetisierungskurse für Frauen angeboten oder Frauenförderungsprogramme, um sie als Friseurin oder im Sticken auszubilden. Das war nicht fair, denn viele Frauen haben die Universität besucht.
Aboul Hosn: Nach einer langen Kampagne von Feministinnen hat die Regierung im Jahr 2009 das Strafmaß für Ehrenmorde von sechs Monaten auf zwei Jahre heraufgesetzt. Unsere Kampagne für die Weitergabe der Staatsangehörigkeit der Mutter an ihre Kinder hat nichts bewirkt.
Yahya Alaous: Das Regime nennt sich säkular. Tatsächlich aber sind alle Gesetze, die Frauen betreffen, islamistisch. Al-Nusra müsste kein Gesetz ändern: Es gibt kein Gesetz gegen häusliche Gewalt. Mädchen können mit 13 Jahren verheiratet werden, wenn ein Richter die Genehmigung erteilt. Frauen erben nur die Hälfte, auf dem Land erben sie gar nichts.
Die Regierung wollte nicht über Frauenrechte reden, weil das zu Problemen mit den Religiösen hätte führen können. Andererseits war es das einzige Feld, in dem man sich ohne großes Risiko engagieren konnte. Frauenfragen wurden nicht als politisch gesehen. Viele Menschenrechtlerinnen und -rechtler haben sich deshalb für Frauenrechte eingesetzt und darüber geschrieben, weil es ein Zugang zum Thema Menschenrechte war, das man ansonsten nicht aufgreifen durfte.
Aber diese Frauenbewegung war besetzt von linken Aktivisten. Nach fünf Jahren Revolution habe ich den Eindruck, dass auch gewöhnliche Frauen mehr für das Thema sensibilisiert sind.
Auch dass es eine Frauenzeitschrift gibt, ist neu. Was ist das Besondere an Saiedet Souria?
Merei: Wir schreiben nicht über Mode, sondern über soziale und politische Themen. Wir beleuchten die Situation von Frauen in den belagerten Gebieten und in den Flüchtlingslagern. Wir ­schreiben auch über neue Initiativen für Frauen und geben den Menschen Hoffnung. Aber es geht auch um allgemeine politische Themen aus Frauensicht. Gerade Frauen sind in Syrien oft völlig von jeglichen Informationen abgeschnitten. Es gibt ständig Stromausfälle. Sie sitzen in ihren Wohnungen und können nur die Bomben zählen. Es gibt keine Informationen für sie, wie sich der Krieg entwickelt oder was anderswo in Syrien passiert.
Wie kommt man eigentlich an Informationen, wie arbeitet man journalistisch in Syrien?
Merei: Wir haben viele Bürgerjournalistinnen. Es gibt kaum noch professionelle Journalisten in Syrien, nicht nur syrische Journalisten, auch internationale Journalisten haben das Land verlassen. Alle Menschen, die noch als Journalisten arbeiten, müssen Angst vor Entführung und Folter und, wie jeder andere auch, vor den Bombenangriffen haben. Auch der »Islamische Staat« ermordet Journalisten.
Alaous: Besonders schwierig ist es, ­Informationen aus den Regimegebieten zu bekommen. Dort werden die Menschen permanent überwacht. Wenn man etwas im Internet veröffentlicht, wird man nach zwei Minuten aufgespürt. Manche Leute haben internationalen Medien Interviews gegeben, während sie Motorrad gefahren sind. So waren sie nicht zu orten. Aber inzwischen wissen wir fast gar nichts mehr aus den Regimegebieten, etwa über den Einsatz von Kindersoldaten. Wir hören davon, aber es gibt niemanden, der darüber berichtet.
Wie wird die Zeitung in Syrien ­verteilt?
Merei: Wir haben sieben Büros in Syrien, sechs davon außerhalb der vom Regime kontrollierten Gebiete, eines im Untergrund in Hama. Unser Hauptsitz ist in der Türkei in Gaziantep, außerdem haben wir ein kleines Büro in Kairo. Die Zeitung wird in der Türkei hergestellt, dann drucken die Büros in Syrien das PDF aus und verteilen sie.
Beschäftigen Sie sich auch mit der Situation von syrischen Frauen in den Flüchtlingsheimen in Deutschland?
Aboul Hosn: Wir haben dazu noch nichts gemacht, aber ich stehe in Kontakt mit einigen Frauen, die in Heimen leben. Sie fühlen sich dort gefangen. Es gibt für sie nichts zu tun. Sie müssen die ganze Zeit komplett angezogen sein (mit Kopftuch und Mantel), weil Fremde sie sehen können, selbst wenn sie schlafen. Dazu hören sie Horrorgeschichten von Nazis, die angreifen, wenn sie ein Kopftuch tragen. Also trauen sie sich überhaupt nicht mehr aus dem Heim.