»Grenze überschritten«

Der »Peter-Singer-Preis für Strategien zur Tierleidminderung« wird am kommenden Samstag zum zweiten Mal verliehen, diesmal an Ingrid Newkirk, die Mitbegründerin der Tierschutzorganisation PETA (People for the Ethical Treatment of Animals). Über alte und neue Preisträger sprach die Jungle World mit Matthias Vernaldi, der sich seit Jahren behindertenpolitisch engagiert und beim Aktionsbündnis »Kein Forum für Peter Singer« aktiv ist.

Vergangenes Jahr hat das Bündnis »Kein Forum für Peter Singer« zu Protesten gegen die Preisverleihung an Peter Singer selbst aufgerufen. Singer ist ein international anerkannter Bioethiker. Warum sollte er kein Forum bekommen?
Weil er schon in den siebziger Jahren die Tötung behinderter Menschen propagiert hat und dies auch immer noch vertritt. Der von ihm entwickelte Tierrechtsgedanke bietet ihm die Grundlage für solche Forderungen. Dieser unterscheidet weniger zwischen Menschen und Tieren als zwischen Personen und Wesen. Erstere werden als autark postuliert. Es handelt sich dabei nicht nur um Menschen, sondern auch um Affen, Schweine und Delfine. Menschen mit schweren Behinderungen sind demnach nur Wesen mit eingeschränktem Lebensrecht. Sie können zum Nutzen anderer getötet werden.
Bei dem Preis geht es nicht um Behinderte, sondern um Tiere und »effektive Strategien zur Tierleidminderung«. Kann man das nicht voneinander trennen?
Singers Name ist untrennbar mit der Forderung nach »Euthanasie« verbunden, daher ist schon der Name des Preises ein Skandal. Ich bin auf dem Land großgeworden und habe in engem Kontakt mit Tieren gelebt. Wir begehen gesellschaftlich ein großes Unrecht, wenn wir Tiere industriell halten. Uns kommt dadurch die Ehrfurcht vor dem Leben abhanden und wir verstoßen damit auch gegen unsere eigene Würde. Allerdings ist die Aufhebung der Unterscheidung von Mensch und Tier keine adäquate Antwort darauf. Vielmehr bringt sie weitere Verbrechen hervor. Die Verminderung von Tierleid und »Euthanasie« sind gedanklich trennbar, aber nicht mit der »Philosophie« von Peter Singer.
»PETA geht gar nicht …« hieß es in sozialen Medien, nachdem bekannt geworden war, dass die Tierschutzorganisation den Preis bekommen soll. Warum denn nicht?
PETA ist in verschiedener Hinsicht problematisch. Die internationale Kampagne »Holocaust auf deinem Teller« relativierte die Shoah und verhöhnte die Opfer. Die diesjährige Preisträgerin Ingrid Newkirk rechtfertigt die von PETA praktizierten Tötungen von kranken oder verwilderten Tieren damit, dass diese von ihrem Leiden erlöst würden. Damit setzt sie den Gedanken von ­Singer im Tierrecht um. Ihren theoretischen Grundlagen zufolge dürfte sie auch bei einer senilitätsverwilderten Nachbarin mit »Sterbehilfe« keine Probleme haben. Und: Ob die getöteten Hunde diesbezüglich eindeutig ihren Willen bekundet ­haben?
Für Ihre Mobilisierung gegen Singer und den Preis gab es Vorwürfe von Linken. Das sei »antidemokratisch« oder eine »Hexenjagd«. Wie gehen Sie mit dieser Kritik um?
Ich konnte das zum Teil nachvollziehen. Als einer, der 40 Jahre in der DDR gelebt hat, reagiere auch ich sehr empfindlich auf Sprechverbote. Hier ist aber eine Grenze überschritten, denn es geht um die öffentliche Legitimation der Tötung von kranken, behinderten und »unnützen« Menschen. In anderem Zusammenhang würde dies als Hetze angesehen. Es ist für mich als schwerbehinderten Menschen unerträglich, zu hören, dass mein Leben wertlos sei und ich besser tot wäre. Wir argumentieren, anstatt zu hetzen. Hexenjagden sehen auch in der Moderne anders aus, als auf einem Transparent »Shut up!« zu fordern.