Was sieht die geplante Verschärfung des Sexualstrafrechts vor?

Die populistische Reaktion

Lange Zeit hatte es den Anschein, als sei das rückständige deutsche Sexualstrafrecht nicht reformierbar. Nach den Ereignissen der Silvesternacht in Köln wird es nun verschärft.

Das deutsche Sexualstrafrecht ist seit vielen Jahren in hohem Maße umstritten. Den einen erscheint es ineffizient und damit entmutigend für die Geschädigten. Die anderen verweisen auf eine vergleichsweise hohe Quote an Fehlurteilen und auf eine rechtsstaatlich bedenkliche Nichtbeachtung des Grundsatzes, im Zweifel für den Angeklagten zu entscheiden. Das Kriminologische Forschungsinstitut in Hannover hat vor zwei Jahren eine Studie vorgelegt, derzufolge im Jahr 1994 die Zahl der erstatteten Anzeigen wegen Vergewaltigung 5 209 betrug. In 21,6 Prozent der Fälle (in absoluten Zahlen 1 091) kam es zu Verurteilungen. Im Jahr 2012 war die Zahl der Anzeigen um 54 Prozent gestiegen (8 031 angezeigte Delikte), die Verurteilungsquote aber auf 8,4 Prozent (etwa 674 Fälle) gefallen. Allerdings fällt in diesen Zeitraum die in Deutschland erst 1997 eingeführte Strafbarkeit der Vergewaltigung auch in der Ehe. Aussagekräftige Statistiken für Fehlurteile gibt es nicht. Die einzelnen Verfahren, in denen rechtskräftig gewordene Urteile nach mühselig betriebener Wiederaufnahme aufgehoben wurden, sind aber für sich genommen, jeweils dramatisch. Hier saßen Menschen wegen falscher Beschuldigungen gegebenenfalls Jahre im Strafvollzug. Die kriminologische Forschung geht von einem Dunkelfeld nicht angezeigter Straftaten aus, das zehn bis 20mal größer ist als die Zahl der angezeigten Handlungen. Hinsichtlich des Anteils von Falschbeschuldigungen bei den Anzeigen herrscht Uneinigkeit. Der Länderbericht des von der EU 2009 fertiggestellten Daphne-Projekts geht von nur drei Prozent Falschbeschuldigungen aus. Eine kriminologische Studie des LKA Bayern von 2005 kommt auf Basis von Sachbearbeiterbefragungen dagegen auf einen Wert von etwa einem Fünftel »zweifelhafter« Anzeigen, von denen dann auch ein Drittel zu Verfahren wegen Vortäuschung einer Straftat oder falscher Verdächtigung führten. Solche Differenzen kennzeichnen auch seit Jahren die öffentliche und die fachliche Diskussion über den erforderlichen Ausbau des Opferschutzes im Strafverfahren und über Reformen des materiellen Strafrechts. In dieser Kontroverse spielt seit langem der Missstand eine herausragende Rolle, dass als Vergewaltigung oder sexuelle Nötigung nur Taten anerkannt werden, die mit Gewalt, durch konkrete Drohungen mit gegenwärtiger Gefahr für Leib oder Leben oder durch Ausnutzung einer schutzlosen Lage begangen wurden. Dass die Gerichte zudem eng auslegen, was Gewalt und Bedrohung ist, macht es für die Geschädigten nicht einfacher. Keine Gewalt soll beispielsweise das Herunterreißen von Kleidungsstücken darstellen. Die Warnung des Angeklagten, das Opfer werde »schon sehen, was passiert«, wenn es sich nicht füge, mochten Richter nicht als Drohung mit gegenwärtiger Gefahr für Leib oder Leben verstehen. Genauso wenig, wie es sie bei zwei neun- und 14jährigen Mädchen als ausreichend für eine schutzlose Lage ansahen, dass sie sich nachts mit dem Beschuldigten in einem LKW auf einem Rastplatz befinden. Die im Mai 2011 ausgearbeitete und im August 2014 in Kraft getretene Istanbul-Konvention, derzufolge alle Formen vorsätzlicher nichteinvernehmlicher sexueller Handlungen unter Strafe gestellt werden müssen, hat eine Debatte ausgelöst, ob es für das deutsche Strafrecht Änderungsbedarf gebe, was das deutsche Justizministerium lange Zeit bestritten hat. Dass es bis heute keinen ausgearbeiteten Gesetzentwurf gibt, der entschieden die Verletzung des völkerrechtlich geforderten Grundsatzs »Nein heißt nein« als Straftatbestand formuliert, ist auch dieser Position geschuldet.
Köln hat alles verändert
Während eine grundlegende Reform des Sexualstrafrechts Ende 2015 sogar ganz erledigt zu sein schien, haben die Silvester-Ereignisse in Köln den Gang der Debatte verändert. Angesichts der Bedrohung des Rechts auf sexuelle Selbstbestimmung durch einen dramatisch gezeichneten »Flüchtlingsmob« wurde die Reform auf der Agenda wieder ganz nach oben gesetzt. Und nun sollte auch am Grundsatz »Nein heißt nein« kein Weg mehr vorbeiführen. Das zeichnete sich in der Bundestagsdebatte zum Gesetzentwurf des Justizministeriums am 28. April ab, der diesen Grundsatz gerade nicht enthielt. Dass er aber gesetzlich festgeschrieben werden sollte, beschlossen Politikerinnen der Bundestagsfraktionen von CDU/CSU und SPD sowie die Frauen-Union der CDU und die Arbeitsgemeinschaft Sozialdemokratischer Frauen (ASF) am 24. Juni 2016, als sie sich bei einer Tagung auf einen gemeinsamen Änderungsantrag zur Reform des Sexualstrafrechts einigten. Kern ihrer Reform des Reformentwurfs ist, dass im Rahmen des Paragraphen 177 StGB der Täter den Willen des Opfers fortan nicht mehr überwinden muss. Wie in der Istanbul-Konvention gefordert, sollte es zukünftig reichen, wenn der Täter sich über den erkennbaren Willen des Opfers hinwegsetzt. Als erkennbar gilt der entgegenstehende Wille dann voraussichtlich auch, wenn er nicht verbal geäußert wird. Eine wichtige Voraussetzung für Menschen mit Behinderungen, die sich aufgrund von Spastiken, Sprachstörungen oder auch psychischen Beeinträchtigungen in der ­Situation nicht verbal äußern können, die aber dennoch ihren entgegenstehenden Willen deutlich zu machen vermögen. Die entsprechenden Formulierungen sollen im Rahmen eines Änderungsantrags in die zweite und dritte Lesung der verschiedenen Gesetzentwürfe zur Verbesserung des Schutzes der sexuellen Selbstbestimmung am 7. Juli eingebracht werden. An diesem Tag könnte dann ein entsprechendes Gesetz beschlossen werden. Die Unions- und SPD-Frauen werden zwei weitere Ergänzungen in das Gesetzgebungsverfahren einbringen: Zum einen soll es einen Straftatbestand »sexuelle Belästigung« (§ 184i StGB-E.; »E« steht für Entwurf, Anm. d. Red.) geben, der heute schon im zivilrechtlich ausgerichteten Allgemeinen Gleichbehandlungsgesetz als Grund für Schadenersatzzahlungen vorhanden ist. Diese Vorschrift soll eine Handhabe schaffen, um das sogenannte Grapschen strafrechtlich zu ahnden. Auf den Ursprung der aktuellen Gesetzesverschärfung, die eben nicht in der Völkerrechtstreue des deutschen Gesetzgebers zu suchen ist, sondern in der Anpassung an eine populistische Stimmung, weist ein weiterer Straftatbestand hin, der Straftaten erfasst, die aus Gruppen heraus begangen werden. Hierbei macht sich strafbar, wer sich an einer Personengruppe beteiligt, die andere Personen bedrängt und dabei Straftaten nach § 177 (Vergewaltigung, sexuelle Nötigung) oder § 184i StGB-E (sexuelle Belästigung) begeht. Da sich in der ersten Lesung des Gesetzentwurfs der Bundesregierung am 28. April gegen die parteiübergreifend geäußerte Absicht, dem Grundsatz »Nein heißt nein« rechtliche Geltung zu verschaffen, kein Widerspruch geregt hat, werden die Vorstellungen der Unions- und SPD-Frauen voraussichtlich Gesetz werden.
Gesetz vs. Alltag
Wie die Justiz darauf im Alltag reagieren wird, ist eine ganz andere Frage, auf die sich schwer eine Antwort geben lässt. Hier spielen Beweisprobleme eine wichtige Rolle, die durch die neuen Vorschriften selbst nicht hervorgerufen werden. In Verfahren, die Vergewaltigung oder sexuelle Nötigung zum Thema haben, stehen schon heute häufig Aussagen gegen Aussagen: Es gibt also keine oder nur untergeordnete objektive Beweismittel, die den Vorwurf unterstützen, gegen das Strafrecht verstoßen zu haben. Mithin hängt außerordentlich viel von der Beweiswürdigung ab, die das Gericht vornimmt. Hier wird es dann für Staatsanwaltschaft und Geschädigte darauf ankommen, plausibel zu machen, dass es ein Nein oder eine erkennbare Ablehnung des oder der Geschädigten gegeben hat. Angesichts der skeptischen Haltung vieler Richter hinsichtlich der Glaubhaftigkeit der Geschädigten kann das ein schwieriges Unterfangen sein. Wie Gerichte die Vertretung von Geschädigten gerade auch bei Sexualdelikten erschweren können, führt gerade das OLG Hamburg vor, das in seinem Einzugsgebiet die Akteneinsichtsrechte für die Nebenklage erheblich beschnitten hat. Als Grund haben die Richter angeführt, dass die Aussagen der Geschädigten sonst nicht mehr auf Konstanz und Plausibilität beurteilt werden könnten, weil sie ja alle Aussagen aus der Akte kenne und damit nicht mehr klar sei, ob sie sich wirklich an etwas erinnere oder ob die Erinnerung auch durch die Aktenlektüre geformt sei. Auch wenn das OLG Braunschweig und der 4. Senat des BGH sich in dieser Frage vom Hamburger OLG abgegrenzt haben, werden in Hamburg Akteneinsichten bei Sexualdelikten oftmals nicht mehr bewilligt. Damit werden der Nebenklage entscheidende Möglichkeiten für die Prozessvorbereitung genommen. Sie können sich nicht auf eine eventuelle Verteidigungsstrategie einstellen, können nicht sehen, wie die Polizei auf die Aussagen der Betroffenen beispielsweise durch weitere Ermittlungen reagiert oder nicht reagiert hat. Das erzwingt eine passive Haltung und macht nahezu unmöglich, was eine gute Nebenklage in den letzten Jahren ausgezeichnet hat – ak­tives Vorgehen zu ermöglichen.