Die sind alle feige und phantasielos

Los Alamos Grind Compilation (2016).

In meinem Indie-Plattenladen um die Ecke stehen 500, vielleicht 600 LPs in der Neuheitenecke. Alle paar Monate arbeite ich sie durch. Jedes Mal das gleiche Phänomen: Die Cover scheinen sich wegzuducken während ich die Reihen mit beiden Händen durchblättere. Die Plattentitel machen sich klein, Bilder verstecken sich. Es kann nicht an meinen Augen liegen, die sind zwar schwächer geworden, aber noch brauche ich keine Brille. Die Cover sind schuld. Winzige Typo, verschwommene Fotos und farbige Flächen. So viel Platz auf einer LP-Hülle und keine Idee, um ihn zu füllen. Die Graphiker scheinen sich ihrer Einfallslosigkeit nicht zu schämen, sondern noch stolz darauf zu sein. Als handele es sich bei den winzigen, vorzugsweise serifenlosen Schriften und den Bildern, die nicht auffallen wollen, um ganz raffinierte Gestaltung. Fast alle Cover sehen aus wie Werbung für Designgeschäfte oder Kunstausstellungen. Kein Wunder, die Cover-Gestalter sind ja dieselben Typen, die im Hauptberuf genau so etwas entwerfen. Ich vermute, die Musik auf diesen Platten ist genauso feige und phantasielos wie die Hüllen.
Plötzlich sticht eine Platte heraus. Groß und in handgezeichneten Buchstaben steht dort: LOS ALAMOS GRIND! Eine nach heutigen Maßstäben dicke Frau mit drei Brüsten hält ihren BH hoch, während ein dreiäugiger grüner Mann sie beobachtet. Sofort erkenne ich den Zeichner: Rick Altergott. Seit den neunziger Jahren zeichnet Altergott die Abenteuer seiner zwei Antihelden Doofus und Henry Hotchkiss, zweier Dorftrottel, die gern an Unterhosen schnüffeln. Zuletzt erschien 2014 seine Serie »Flowertown, U.S.A.« im Vice-Magazin. Verheiratet ist Altergott mit der Comiczeichnerin Ariel Bordeaux.
Auf der Innenhülle befindet sich ein Comic, in dem zwei Wissenschaftler in einem Stripclub landen und Sex mit Aliens haben. Anders als vermutet, ist auf der Platte keine instrumentale Stripmusik zu hören. Es ist überwiegend Soul der frühen sechziger Jahre. Bester Titel: »The Dontels – Soul Nitty Gritty«. Es geht um Rock ’n’ Roll – als Verb. Ums Tanzen also: »If you can’t rock ’n’ roll, you must have a hole in your soul!/Let’s do it, do it!«