Wachpolizei soll Flüchtlingsunterkünfte in Sachsen schützen

Schneller als die Polizeigewerkschaft erlaubt

In Sachsen werden mittlerweile sogenannte Wachpolizisten zum Schutz von Flüchtlingsunterkünften eingesetzt. Ihre Ausbildung dauert lediglich drei Monate.

In den neunziger Jahren stellte sich dem damaligen sächsischen Ministerpräsidenten Kurt Biedenkopf (CDU) die Lage im Freistaat so dar: Die Sachsen seien »immun gegen Rechtsextremismus«, und dort, wo dieser dennoch auftrete, sei er aus dem Westen importiert worden. Dass diese Analyse des langjährigen Ministerpräsidenten nicht erst an der heutigen sächsischen Realität mit fast 200 Angriffen auf Flüchtlingsheime im vergangenen Jahr vorbeigeht, hat jedoch selbst die derzeit amtierende Landesregierung eingesehen. Zum Schutz von Asylsuchenden und ihren Unterkünften hat sie sogenannte Wachpolizisten eingestellt, von denen etliche mittlerweile mit der Schusswaffe ihren Dienst versehen – nach einer Ausbildungszeit von nur drei Monaten.
Nachdem im Februar ein wütender Mob in Clausnitz einen Bus mit Flüchtlingen umzingelt hatte, musste Ministerpräsident Stanislaw Tillich (CDU) in den Nachrichtensendungen von ARD und ZDF Rede und Antwort stehen. In einer Sondersitzung im Landtag sagte er wenige Tage später: »Das Problem mit dem Rechtsextremismus in Sachsen ist größer, als viele – auch ich – es wahrhaben wollten.«
Zu den vielen zählte auch sein Innenminister Markus Ulbig (CDU). Dieser hatte im Jahr 2011 ein Konzept erarbeiten lassen, das für die kommenden Jahre einen erheblichen Abbau von Polizeirevieren und -bediensteten vorsah. So sollten ursprünglich bis 2025 mehr als 1 000 Stellen gestrichen werden – das wären knapp zehn Prozent ­aller Stellen gewesen. Im vergangenen Oktober unterzog Ulbig sein Konzept nach jahrelanger Kritik einer Revision: Kein Abbau ist mehr vorgesehen, im Gegenteil, zusätzliche Stellen sind seitdem geplant. Insbesondere die Ein­sätze im Zuge der Pegida- und Legida-Demonstrationen hatten den Beamten Zehntausende Überstunden beschert. So waren allein während der Demonstration am 21. Januar 2015 in Leipzig mehr als 5 500 Polizisten im Einsatz.
Die Folgen dieser Arbeitsbelastung bekamen nicht nur die zunehmend gereizten Beamten selbst, sondern auch unzureichend geschützte Flüchtlinge und Gegendemonstranten zu spüren. Als im Juli 2015 in Freital eine bewohnte Unterkunft tagelang von einem Mob belagert wurde, beklagten an Ort und Stelle anwesende Antifaschisten mehrmals die mangelhafte Präsenz der Polizei. Als einige Wochen später Neonazis und Hooligans in Heidenau einen für die Unterbringung von Asylsuchenden vorgesehenen ehemaligen Baumarkt angriffen, war die Polizei zahlenmäßig zunächst klar unterlegen.
Fälle wie diese konnte auch Innenminister Ulbig nicht weiter ignorieren. In den kommenden Jahren sollen deshalb nicht nur vermehrt neue Polizisten ausgebildet werden. Weil die reguläre Schulung drei Jahre dauert, kommt nun sogenannte Wachpolizei zum Einsatz. Angehörige der Truppe dürfen maximal 33 Jahre alt sein. Sie müssen eine dreimonatige Ausbildung absolvieren. Der offiziellen Stellenbeschreibung zufolge umfasst diese »insbesondere die Vermittlung von Kenntnissen und Fertigkeiten des allgemeinen Verwaltungs- und Verfassungsrechts sowie des präventiven und repressiven Eingriffsrechts, auch hinsichtlich der Anwendung von Zwangsmitteln, sowie des dienstkundlichen Bereichs, der Kommunikations- und der interkulturellen Kompetenz«. Anschließend sollen die Ausgebildeten vor allem dazu in der Lage sein, Flüchtlingsunterkünfte zu beschützen und so Vorfälle wie in Clausnitz, Freital oder Heidenau zu verhindern.
Dass diese Ausbildung im Schnellverfahren den tatsächlichen Anforderungen an junge Polizisten gerecht wird, bezweifeln sowohl Oppositionspolitiker als auch Gewerkschafter. »Die Ausbildungszeit ist definitiv zu kurz«, urteilt etwa Reinhard Gärtner, der Landessprecher der Deutschen Polizeigewerkschaft (DPolG). »Ein halbes Jahr wäre besser gewesen.« Auch aus der sächsischen Abteilung der konkurrierend Gewerkschaft der Polizei (GdP) kommt Kritik. Deren Vorsitzender Hagen Husgen sagte der Freien Presse: »Das ist eine absolute Alibiaktion, die der Lage nicht gerecht wird.« Die Wachpolizisten seien »psychologisch völlig unzureichend auf Konfliktlagen vorbereitet«.
Dass diese Einschätzung durchaus zutreffen könnte, bestätigen verschiedene Medienberichte der vergangenen Monate. Seit dem Beginn der Ausbildung der ersten 50 Wachpolizisten am 1. Februar kamen mehrere Azubis öffentlich zu Wort. Zeit Online sagte einer von ihnen: »Derzeit wüsste ich nicht, wie ich einen Konflikt bewältige, wie ich mich vor einer Menschenmenge durchsetze.« Dass sich die dazu nötigen Fertigkeiten in nur drei Monaten erwerben lassen, erscheint fraglich. Ende April gingen die ersten 47 Wachpolizisten in Dienst. Anfang August folgte das nächste Kontingent.
Zweifel an der charakterlichen Eignung der Auszubildenden weckt insbesondere ein Artikel in der Taz. Darin äußert sich eine 22jährige aus Heidenau zum Grund ihrer Bewerbung: »Ich brauche Action!« Während des Gesprächs mit der Journalistin zeigt sie einer lachenden Gruppe von Mitschülern den Mittelfinger. »Die Gruppe zieht sie auf, weil sie mit der Presse redet«, heißt es zur Erklärung in dem Artikel. Bock auf Action, aber kein Bock auf die Presse – diese Einstellung dürften diese Auszubildenden mit jenen teilen, vor denen sie die Flüchtlinge beschützen sollen. Wer hin und wieder an antirassistischen Demonstrationen in Sachsen teilnimmt oder die Mitteilungen der Bundesarbeitsgemeinschaft kritischer Polizisten liest, könnte allerdings zu dem Schluss kommen, dass herkömmlich ausgebildete Polizisten ebenfalls häufig so denken.
Die nun zur Verfügung stehenden Wachpolizisten dürften in Sachsen viel zu tun haben: Der Dokumentationsseite des Stern und der Amadeu-Antonio-Stiftung zufolge kam es in diesem Jahr bis Mitte August bereits zu fast 100 Angriffen auf Flüchtlingsunterkünfte. Vor Sachsen liegt in dieser Statistik nur Nordrhein-Westfalen.