Der Gefängnisstreik in den USA

Streik hinter Gittern

In den USA hat der größte Gefängnisstreik in der Geschichte des Landes stattgefunden. Die Häftlinge fordern bessere Haftbedingungen und ein Ende der Zwangsarbeit. Grundsätzlich kritisiert wird auch das Strafsystem mit seinen enorm hohen Inhaftierungsraten.

Das Pre-Release Center im Süden von Cleveland im US-Bundesstaat Ohio liegt in einer unwirtlichen Gegend. Wer in diese Haftanstalt kommt, soll auf seine Entlassung vorbereitet werden. Umgeben von Autobahnzubringern und Verwaltungsgebäuden handelt es sich um einen Ort, den man zweifellos schnell verlassen möchte. Die Demonstrierenden, die sich am Samstag vor dem Eingang der Anstalt versammelt hatten, wirkten daher auch etwas verloren mit ihren Protestschildern, und ihre Rufe nach einem »Ende des Sklavensystems« gingen fast im Getöse der Highways unter. Dennoch war die Kundgebung, die in ähnlicher Form etwa zur gleichen Zeit vor vielen anderen Gefängnissen der USA stattfand, ein besonderes Ereignis. Anlass war ein landesweiter Streik von Gefängnisinsassen, der linken Wochenzeitung The Nation zufolge der größte in der US-Geschichte.
Der Streik, an dem sich Insassen aus mindestens 40 Anstalten beteiligten, wurde in 24 Staaten organisiert und vom Free Alabama Movement (FAM) angeführt, einer von Häftlingen geleiteten Initiative. Einen genauen Überblick zu erhalten ist schwierig, weil viele Gefängnisse eine Nachrichtensperre verhängt haben und gegenüber der Außenwelt abgeriegelt wurden. Bekannt wurde, dass es in zwei Haftanstalten in Florida zu Ausschreitungen kam. In einigen Anstalten, so auch in Guantánamo Bay, traten Häftlinge in einen Hungerstreik.
Die Koordination des landesweiten Streiks übernahm das Incarcerated Workers Organizing Committee (IWOC), das zur International Labor Union gehört. »Dies ist ein Aufruf, um die Sklaverei in Amerika zu beenden«, heißt es in einem Streikmanifest, das landesweit verbreitet wurde. Darüber hinaus sollte mit »Arbeitsniederlegungen, Hungerstreiks und Sitzstreiks« auch gegen Langzeitisolierung, unzulängliche Gesundheitsversorgung, Überbelegung, gewalttätige Angriffe und das miserable Essen protestiert werden. Das Datum des Streiks erinnerte dabei an den Jahrestag der Revolte im Attica-Gefängnis in Buffalo (New York), wo am 9. September 1971 die Insassen des Hochsicherheitsgefängnisses gegen schlechte Haftbedingungen aufbegehrten. Der Aufstand wurde am 13. September gewaltsam niedergeschlagen, 32 Gefangene und zehn Geiseln wurden dabei getötet. An den Haftbedingungen hat sich seitdem nur wenig geändert.
Der landesweite Streik ist der vorläufige Höhepunkt zahlreicher Proteste in den vergangenen Jahren. So beteiligten sich in Kalifornien 2013 über 30 000 Häftlinge an einem Hungerstreik, um eine Reform der Langzeiteinzelhaft durchzusetzen. In diesem Jahr kam es zu Arbeitsniederlegungen in Haftanstalten in acht verschiedenen Bundesstaaten.
Der Protest richtet sich vor allem gegen die Zwangsarbeit, die in fast jedem Gefängnis üblich ist. In den Bundesanstalten erhalten die Beschäftigten dafür zwischen 17 und 40 Cent die Stunde, manche Bundesstaaten wie Texas oder Louisiana zahlen gar nichts. Die meisten Insassen kochen oder putzen, weil staatliche Anstalten nicht kommerziell produzieren dürfen. Allerdings stellen Insassen auch Möbel oder andere Gegenstände her, die dann in Gefängnissen oder anderen staatlichen Einrichtungen verwendet werden. Rund 900 000 Insassen müssen während ihrer Haftzeit arbeiten. Allein in den staatlichen Haftanstalten wird damit mittlerweile ein geschätzter Jahresumsatz von über zwei Milliarden US-Dollar erwirtschaftet.
In den privatisierten Haftanstalten, in denen rund zehn Prozent der arbeitenden Häftlinge einsitzen, gelten hingegen andere Regeln. Die Gefangenen arbeiten dort unter anderem für Unternehmen wie Walmart, McDonald’s oder Victoria’s Secret und erhalten dafür etwas höhere Löhne. Die privaten Gefängnisse erzielten im vergangenen Jahr insgesamt einen Umsatz von rund acht Milliarden Dollar.
Für alle Häftlinge gilt jedoch, dass sie nicht die üblichen Arbeitnehmerrechte in Anspruch nehmen dürfen, da ihr Verhältnis zur Gefängnisleitung nicht dem zwischen Arbeiter und Unternehmer entspricht, wie in Gerichtsurteilen bestätigt wurde. Juristisch möglich wird diese Auslegung durch den 13. Zusatzartikel der US-Verfassung. Demnach ist zwar jede Form von Sklaverei und Zwangsarbeit auf dem Gebiet der Vereinigten Staaten untersagt, explizit ausgenommen sind von diesem Verbot jedoch Strafmaßnahmen für verurteilte Kriminelle. »Häftlinge sind die am meisten ausgebeutete Gruppe in diesem Land«, meint deswegen Crispino. Ihre Organisation fordert, dass sich Häftlinge gewerkschaftlich organisieren dürfen.
»Belohnt« werden die Insassen für ihre Tätigkeiten auch mit einem Bonussystem, mit dem sie zumindest theoretisch ihre Entlassung beschleunigen können. »Meistens arbeiten die Insassen, weil sie sonst disziplinarisch belangt und in Einzelhaft gesteckt werden oder Bonuspunkte verlieren«, erklärt Azzurra Crispino von der IWOC.
Die Gefängnisindustrie profitierte dabei von den rapide ansteigenden Inhaftierungsraten in den vergangenen Jahrzehnten. Rund 2,2 Millionen Menschen sitzen derzeit in den USA ein – damit weist das Land mit Abstand die höchste Inhaftierungsrate weltweit auf. Schwarze sind dabei im Verhältnis zu ihrem Anteil an der Gesamtbevölkerung überproportional vertreten. Mit dem massenhaften Konsum von Crack und dem von Präsident George Bush betriebenen Krieg gegen die Drogen, der unter Präsident Bill Clinton weiter verschärft wurde, wuchs die Zahl der Insassen rapide an und hat sich innerhalb von wenigen Jahrzehnten verachtfacht. Eine Folge davon ist die permanente Überbelegung. So werden in den staatlichen Anstalten von Ohio 38 000 Plätze von über 50 000 Insassen belegt. Entsprechend sind die Bedingungen.
Die miserable Situation in den Haftanstalten und das aus dem Ruder laufende Strafsystem sind mittlerweile auch Wahlkampfthema. Die Präsidentschaftskandidatin der Demokraten, Hillary Clinton, hat sich ebenso wie ihr früherer parteiinterner Konkurrent Bernie Sanders für die Abschaffung von privaten Haftanstalten und eine Reform des Justizsystems ausgesprochen. Auch republikanische Politiker kritisieren mittlerweile das US-Strafsystem als ineffektiv und zu teuer. Doch selbst wenn es zu Reformen kommen sollte, würde es lange dauern, bis Veränderungen greifen. Insbesondere die privaten Haftanstalten haben langfristige Verträge, an denen Bundesbehörden auf kurze Sicht wenig ändern können.