Prekäre Arbeitsbedingungen in der Crowd

Digitales Prekariat

Eine neue Studie gibt einen Einblick in die Arbeitswelt von Crowdworkern. Auch wenn sich die meisten von ihnen nicht ausgebeutet fühlen, herrscht dennoch Unzufriedenheit über ihre prekären Arbeitsbedingungen.

Die Zahl der digitalen Tagelöhner, die ihre Arbeit per Internet anbieten, wächst stetig. In Zusammenarbeit mit der Universität Kassel hat die gewerkschaftsnahe Hans-Böckler-Stiftung nun erstmals eine qualitative Studie über das Arbeiten in der Crowd vorgestellt. Basierend auf einer Befragung von 434 Crowdworkern bietet sie einen Einblick in Arbeitsverhältnisse, in denen es gewerkschaftliche Organisierungs- und Kollektivierungsansätze bisher mehr als schwer hatten. Dabei sind die Arbeitsbedingungen der Klickarbeiter zumeist äußerst prekär. Sie generieren ihre Aufträge auf Internetplattformen wie »Clickworker«, »Upwork« oder »Freelancer« und viele von ihnen nutzen mindestens zwei, zum Teil aber auch bis zu 25 unterschiedliche digitale Marktplätze, um ihre Arbeit anzubieten.
Etwa 70 Prozent der Befragten verdient dabei weniger als 500 Euro im Monat als effektives Einkommen, das heißt nach Abzug der Gebühren der jeweiligen Plattform, aber vor Steuern. Bei vielen handelt es sich um einen Nebenverdienst. Doch auch bei den rund 20 Prozent der Befragten, die hauptberuflich als Crowdworker tätig sind, liegt das durchschnittliche effektive Einkommen bei gerade einmal 1 500 Euro im Monat.
Höchst unterschiedlich sind die verschiedenen Arbeiten, die im Netz offeriert werden. Das Angebot reicht von einfachen Tätigkeiten wie der Verschlagwortung von Texten bis hin zu anspruchsvolleren Aufgaben wie dem Testen von Apps oder Programmieraufträgen. So gibt es zum Beispiel Platt­formen, auf denen Firmen ihre Aufgaben in winzige Arbeitsteile zerlegen, die dann für Cent-Beträge erledigt werden können. Andere Anbieter suchen hingegen nach Autoren oder Graphikern. Griffen bisher vor allem kleine und mittelständische Unternehmen auf die Dienste der Klickarbeiter zurück, steigt inzwischen auch das Interesse großer Konzerne an den flexiblen und billigen Arbeitskräften. Eine Folge davon ist, dass immer öfter Aufgaben, die zuvor von Festangestellten erledigt wurden, an Crowdworker ausgelagert werden.
Die Crowdworker selbst stehen wiederum weltweit in Konkurrenz zueinander. Auf den digitalen Marktplätzen herrscht ein zeitbasierter Wettbewerb. Die Crowdworker sind daher darauf angewiesen, ständig auf aktuelle Ausschreibungen zu achten. Wie die Forscher der Universität Kassel in ihrer Studie darlegen, verschärft dieser Druck den Wettbewerb zwischen deutschen Crowdworkern und den Klickarbeitern aus anderen Ländern. In einigen Bereichen, vor allem in der Design­branche, besteht zudem ein ergebnis­orientierter Wettbewerb, bei dem verschiedene Teilnehmer ihre Entwürfe einreichen, jedoch nur einer dafür den Zuschlag und die entsprechende Vergütung bekommt. So kann es durchaus passieren, dass man nach getaner Arbeit leer ausgeht.
Nicht nur die Verdienste der Crowdworker sind in aller Regel gering. Sie genießen außerdem weder Kündigungsschutz noch haben sie einen Anspruch auf bezahlten Urlaub oder feste Arbeitszeiten. Manche arbeiten bis zu 80 Stunden pro Woche. Auch bei der Renten- oder Krankenversicherung sind die Klickarbeiter sich selbst überlassen. Mehr als die Hälfte derjenigen, die ihr Haupteinkommen im Netz erwirtschaften, sorgt der Studie zufolge nicht für das Alter vor.
Dabei sind die befragten Crowdworker häufig gut ausgebildet. Knapp die Hälfte hat einen Hochschulabschluss, jeder Dritte eine Berufsausbildung und etwa zehn Prozent haben einen Meisterbrief. Lediglich sechs Prozent besitzen keinen Abschluss.
Während immer mehr Unternehmen die Möglichkeit, jederzeit auf ein großes Reservoir an billigen Arbeitskräften mit den unterschiedlichsten Fähigkeiten zurückgreifen zu können, gerne nutzen, befürchten die Gewerkschaften das Entstehen eines digitalen Prekariats. So haben die beiden größten DGB-­Gewerkschaften Verdi und IG Metall inzwischen Beratungsangebote für Crowdworker geschaffen.
DGB-Vorsitzender Reiner Hoffmann fordert eine Neuregelung der digitalen Arbeitswelt. »Der Arbeitnehmer-, ­Arbeitgeber- und Betriebsbegriff muss neu diskutiert und definiert werden. Wir brauchen mehr Mitbestimmungsrechte und Möglichkeiten bei den vernetzten Formen der Arbeitsorganisation«, so Hoffmann. »Für Plattform­arbeiten im Netz sollten Mindesthonorare und arbeitspolitische Standards eingerichtet werden.«
Wie es jedoch gelingen soll, nationale Arbeits- und Sozialstandards im Internet durchzusetzen und anzuwenden, lassen die Gewerkschaften bisher ­offen. Zudem verweist der DGB auf den unzureichenden Sozialversicherungsschutz der Klickarbeiter. »Hier besteht eine Schutzlücke. Wir müssen überlegen, wie wir die Crowdworker in die Sozialversicherung einbeziehen und die Plattformbetreiber und die Auftraggeber an den Kosten beteiligen können«, so Hoffmann in einer Pressemitteilung anlässlich der Veröffentlichung der Studie.
Gerade die Forderung nach mehr Mitbestimmung stößt auch bei zahlreichen Betroffenen auf Zustimmung. So zeigt die Studie zwar, dass sich die Crowdworker mehrheitlich »nicht ausgebeutet fühlen«, sie »gleichzeitig aber auch nicht zufrieden mit dem Arbeitsumfeld« sind. Insbesondere Zeitdruck und Arbeitspensum werden negativ bewertet. Besonders unzufrieden mit den Arbeitsbedingungen in der Crowd sind Designer. Sie leiden besonders unter dem ergebnisorientierten Wettbewerb, bei dem sie oftmals für ihre Entwürfe nicht entlohnt werden.
Nicht selten müssen sie die Rechte an ihren Entwürfen auch dann abtreten, wenn sie den Auftrag nicht erhalten und am Ende leer ausgehen. Kein Wunder also, dass sich gerade in diesem Bereich knapp 70 Prozent der Befragten für mehr Mitbestimmung und eine wirksame Interessenvertretung aussprechen. Aber auch unter den Befragten insgesamt wird dies von einer Mehrheit gewünscht. Die Frage, wie eine Organisierung der in der Isolation ihrer heimischen Computer und Laptops arbeitenden digitalen Tagelöhner gelingen könnte, kann die Studie zwar nicht beantworten. Sie zeigt jedoch, wie notwendig eine kollektive Interessenvertretung für die Betroffenen wäre.