Schachspielerinnen protestieren gegen den Kopftuchzwang bei der Weltmeisterschaft im Iran

Damengambit

Schachspielerinnen protestieren gegen Kopftuchzwang und Unterdrückung von Frauen im Iran, dem Austragungsort der nächsten Schachweltmeisterschaften der Frauen. Eine US-Amerikanerin sagte ihre Teilnahme aus Protest ab. Kritikerinnen werfen ihr nun vor, sie schade damit den iranischen Frauen.

Dann müssen sie in Teheran eben ohne sie spielen. Weil der Iran zum Austragungsort der nächsten Schachweltmeisterschaften der Frauen im Februar 2017 bestimmt wurde, kündigte die US-Amerikanerin Nazi Paikidze an, dem Turnier fernzubleiben. Auch andere Schachspielerinnen und Feministinnen schlossen sich der Kritik an. In einer Online-Petition, die mittlerweile mehr als 15 000 Menschen unterschrieben haben, kritisiert Paikidze nicht nur den Kopftuchzwang, sondern auch die Einschränkung ihrer Redefreiheit bei dem Turnier und der Rechte von Frauen im Iran allgemein. Paikidze beruft sich auf einen Artikel der Weltschachorganisation FIDE, der diskriminierende Behandlung untersagt. Nun könnte man zu Recht einwenden, dass die Trennung in Männer- und Frauenschach selbst ein Relikt aus den finstersten Zeiten der Misogynie im Westen ist. Sie suggeriert eine dem Körpersport entlehnte durchschnittliche Überlegenheit des Mannes.
Die Kritikerinnen des Boykotts aber schlagen andere Töne an. Azadeh Moaveni, Autorin der Biographie »Lipstick Jihad«, bietet in der New York Times vor allem kulturalistische Ressentiments gegen Paikidzes Petition auf. Wie üblich im Kopftuchstreit wird der erbärmliche Zustand damit legitimiert, dass es noch schlimmer ginge: Der ­Hijab sei Traditionsgut, von der Mehrheit der Frauen selbstgewählt und überhaupt habe er die Teilnahme von Frauen am öffentlichen Leben verbessert. Paikidzes Kritik am Schleier sei ein Protest »besserwisserischer Außenseiter«, die nicht für Iranerinnen sprächen. Der Westen versuche nur, die Proteste gegen den Hijab auf den Iran auszudehnen. Stattdessen schlägt Moaveni eine graduelle, vorsichtige Veränderung vor, die Schritt für Schritt die Rechte von Frauen erweitere.
Moaveni hängt offensichtlich der ­Illusion einer Reformierbarkeit des iranischen Regimes an und dem Glauben, durch Proteste fördere man nur die »Konservativen«. Sie stellt damit ein regressives Frauenbild als Ideal des Feminismus hin: Die taktisch aus ihrer traditionellen Rolle heraus agierende Kindsfrau, die unter ständiger weiser Vorsicht ihren Vorteil nur so weit sucht, wie ihr die Patriarchen nicht auf die Schliche kommen. Dagegen dämonisiert sie die emanzipierte Paikidze, die ihren eigenen Vorteil opfert, ihre erste Schachweltmeisterschaft drangibt, ihre Karriere riskiert im solidarischen Kampf für Leidensgenossinnen. Moaveni stellt sie als bösartig und übergriffig dar und behauptet, Paikidze wolle Musliminnen nur selbst aufzwingen, wie diese sich zu kleiden haben. Unter der Hand greift Moaveni auch jene Frauen an, die den Kampf gegen den Verschleierungszwang mit hochriskanten Mitteln führen. Sie singen und tanzen verbotenerweise auf Festen, fotografieren sich unverschleiert und laden die Bilder auf »mystealthyfreedom.net« hoch; auch die Sittenpolizisten der Basiji erfahren häufig Gegenwehr von Frauen.
Auch die iranische Schachspielerin Mitra Hejazipour kritisiert Paikidze und behauptet, dass ein Boykott dem Frauensport im Iran nur schaden würde. Die Schachmeisterschaften seien vielmehr wichtig, damit Iranerinnen ihre Stärke zeigen könnten. Ghoncheh Ghavami, die fünf Monate lang in Haft saß, weil sie dafür eintrat, dass Frauen bei Volleyballturnieren der Männer im Stadionpublikum sitzen dürfen, sagt hingegen, die Welt müsse die Stimmen derjenigen hören, die im Iran für Reformen eintreten. Millionen Menschen im Iran seien gegen die Zwangsmaßnahme und für das Recht der Frauen, selbst über das Tragen des Hijab zu entscheiden, so Ghavami zum Guardian.
Wenn aber, wie Moaveni schreibt, die Mehrheit der Iranerinnen den Hijab wirklich freiwillig trägt, so sind diese Frauen ein Problem für jene, die ihn nur unter Zwang tragen. Die Emanzipation der Frau hatte nie die vollumfängliche Zustimmung aller Frauen. Kann von Menschen, die es verteidigen, wenn die Selbstbestimmung in bestimmten Bereichen aufgeben werden soll, wirklich feministische Solidarität erwartet werden? Dass sie eine ­benachbarte Frau vor den Basiji verstecken oder feministische Literatur schmuggeln?
Paikidze hat für die Rechte von Frauen ihre erste Weltmeisterschaft abgesagt – ob ihre Petition Erfolg hat, ist ungewiss. Der deutsche Schachbund hingegen stellt sich hinter das Turnier. Man wolle den »Dialog der Kulturen fördern«, die deutsche Spielerin Elisabeth Pähtz nehme teil und damit die »Nachteile in Kauf«. Freilich genießt sie anders als Paikidze zuallererst sämtliche Vorteile einer Teilnahme. Pähtz selbst sieht auch gar keine Nachteile und gab der Welt zu Protokoll: »Das Kopftuch stört mich ehrlich gesagt nicht. Die Regel wurde ja nicht erst heute erfunden. Viele Länder haben ihre Regeln und Traditionen, und wer sich daran nicht halten will, muss ja nicht dorthin reisen.«
Die offene Kollaboration mit dem Regime ist es, die Moavenis Versprechen einer schrittweisen Verbesserung der Situation von Frauen durch strate­gische Unterwerfung mehr als fadenscheinig erscheinen lässt. Sie führt nicht zu mehr Freiheit, sondern zu Akzeptanz von Unterdrückung als Kultur. Die Schachweltmeisterschaft im mutmaßlichen Geburtsland des Schachs würde falsche Normalität für eine Theokratie signalisieren, die sämtliche Menschenrechte mit Füßen tritt, Israel die Vernichtung androht und den Krieg gegen den sunnitischen Islam mit äußerster Rohheit führt. Doch auch in mehrheitlich sunnitischen Ländern sieht es nicht immer besser aus. Obwohl etwa Frauen in Tunesien ihre Rechte verteidigen, führt derzeit für Millionen Frauen in Staaten mit mehrheitlich muslimischer Bevölkerung der Weg eher in den boomenden Salafismus als in die Emanzipation. Den Hijab einfach hinzunehmen, bedeutet nicht, den langsamen Fortschritt für Iranerinnen zu unterstützen, sondern den wachsenden Zwang zum Schleier etwa auch für nigerianische und ghanaische Mädchen ab dem Kindesalter zu akzeptieren.