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Der Golem steht im Mittelpunkt der aktuellen Ausstellung des Jüdischen Museums in Berlin. Bis in die Gegenwart inspiriert der jüdische Mythos Künstler und Wissenschaftler. Ob als Homunkulus, Cyborg, Roboter oder Android – die Ausstellung präsentiert den Golem von seiner Erschaffung aus einem Ritual der jüdischen Mystik bis hin zum populären Erzählstoff in Film und Literatur und dessen Fortschreibung in digitalen Technologien.
Die Ursprünge der Geschichte des Golem reichen weit in die Vergangenheit zurück. In jüdischen Sagen der talmudischen Zeit wird der künstliche Mensch erstmals erwähnt, die Überlieferung ist bis zu den mystischen Traditionen des Sefer Jetzira, der lurianischen Kabbala und in das Prag des späten 18. Jahrhunderts zurückzuverfolgen. Der Prager Golem, ein aus Staub und Lehm geschaffenes Ungetüm, wurde zum Zweck der Hilfeleistung für die jüdische Bevölkerung geschaffen. Als dessen Schöpfer darf laut der Sage Rabbi Judah Loew gelten.
»Große Menschen waren einst durchaus imstande, große Wunder zu vollbringen«, heißt es in der Erzählung »Der Golem« von Jizchok Leib Perez aus dem Jahr 1890. Perez gibt in seiner Erzählung die bekannteste Version der Golem-Legende wieder, die in Prag spielt und vom gelehrten Rabbi Loew handelt. Der Rabbi vollbrachte das Kunststück, einen aus Lehm geformten Golem zu beleben, indem er ihm eine Zauberformel, den Schem, in den Mund legte. Der erwachte Golem war groß und stark und wurde zum Beschützer des jüdischen Ghettos. Für seinen Schöpfer verrichtete er die Hausarbeit, bis er eines Tages genug davon hatte und zum Amokläufer wurde. Er zertrümmerte Häuser, schleuderte Felsstücke umher und entwurzelte Bäume. Rabbi Loew riss dem Golem daraufhin den Schem aus dem Mund und der tobende Lehmklotz zerfiel zu Staub. Daraufhin beschloss der erschrockene Rabbi, kein so gefährliches Wesen mehr zu schaffen. Immer noch sollen sich der Legende nach Staubreste des Golem auf dem unzugänglichen Dachboden der Synagoge in Prag befinden.
Die europäische Kulturgeschichte ist gesättigt mit dem Mythos des Golem: Von Menschenhand geformt, wird er zum Gefährten oder Retter einer bedrohten jüdischen Gemeinschaft. In vielen Erzählungen gerät das Wesen außer Kontrolle und wird zur Bedrohung des Menschen, der ihn geschaffen hat. Taucht der Golem in Literatur, Film, Wissenschaft und Kunst auf, so verweist er metaphorisch immer auf ein problematisches Verhältnis zwischen Mensch und Natur oder Mensch und Technik. Die Mythologie des Golem zielt also auf keine geringere Frage ab als die, was der Mensch selbst ist und wie er mit dem, was er Schöpfung nennt, umgeht.
Diese Fragen werden nun in der Themenausstellung zum Golem im Jüdischen Museum Berlin aufgeworfen und mit einer reichen Auswahl aus den unterschiedlichsten Bereichen der Bildenden Kunst, der Wissenschaft und des Films dokumentiert. Die Ausstellung ist als Rundgang mit sieben Themenschwerpunkten angelegt und umfasst 120 Objekte. Das Publikum wird durch das Flackern einer Lichtskulptur mit dem Titel »My Light Is Your Life!« (2009) eingangs begrüßt. »Der Golem lebt!« heißt es am Anfang. Die erste Station vermittelt mit einer Auswahl von Exponaten die Bedeutung des Mythos für die Gegenwart: Charaktere aus dem Computerspiel »Clash of Clans« sind als Plastikfiguren beispielsweise in Vitrinen zu sehen.
1965 befasste sich der Wissenschaftler und Mystiker Gershom Scholem mit der Verbindung zwischen dem Golem und künstlicher Intelligenz. Er schlug vor, einen israelischen Großcomputer auf den Namen »Golem Aleph« zu taufen und äußerte in seiner Taufrede die Hoffnung, dass die Maschine »friedlich bleibe«. Gezeigt wird in der Ausstellung ein Rechnermodul des berühmten israelischen Computers. Auch der Eingriff des Menschen in die Genomstruktur wird in der Schau thematisiert. Eher ironisch ist wohl der Verweis auf einen vermeintlichen Übermenschen der Gegenwart: Präsentiert wird das weiße Basecap mit der Aufschrift »Make America great again«, das Donald Trump als Wahlkampf-Gadget dient. Trump, der als Retter der Unterdrückten auftritt, aber zur Bedrohung werden könnte, wird hier als moderner Golem angesehen.
Die Bereiche »Jüdische Mystik« und »Mythos Prag« haben einen eher informativen Charakter und sind recht übersichtlich aufgebaut. Die Station »Verwandlung« beschäftigt sich mit dem Ringen um die Form im Prozess des kreativen Schaffens. Gezeigt werden Werke von Anselm Kiefer, David Musgrave, Louise Fishman, Jorge Gil, Mira Maylor und Charles Simonds, die sich inhaltlich am Mythos vom Golem orientieren. Eine der Wortbedeutungen des hebräischen Wortes »Golem« ist Puppe oder Larve. Der spanische Künstler Jorge Gil thematisiert in seiner Arbeit »Crisálidas« (Schmetterlingspuppe) den Übergang zwischen zwei Seinszuständen: dem der Larve und dem des Schmetterlings. Er vergleicht dies mit dem Zustand des Golems aus Lehm und nach der Erweckung zum Leben. Nicht immer ist der Bezug zum Mythos so deutlich wie in dieser Arbeit, daher wirkt die Auswahl bisweilen beliebig.
Die fünfte Abteilung mit der Überschrift »Horror und Magie« widmet sich dem Stummfilmklassiker »Der Golem, wie er in die Welt kam« von 1920. Alte Fotografien und Filmplakate erinnern an die markante Darstellung des mit einer helmartigen Frisur geschmückten Golems durch den Schauspieler und Regisseur Paul Wegener. Der Film wurde für viele Science-Fiction-Produktionen des 20. und 21. Jahrhunderts stilbildend. Gleich drei Mal brachte Wegner die Golem-Legende als Stummfilm auf die Leinwand: 1915, 1917 und 1920. In allen drei Filmen übernahm er selbst die Rolle des Golem und prägte so die bildliche Vorstellung von der Figur nachhaltig. Besonders einflussreich wurde seine letzte Golem-Verfilmung aus dem Jahr 1920. »Der Golem, wie er in die Welt kam« ist ein Meilenstein des Horrorfilm-Genres.
Dies belegt auch die Videoinstallation »AE/MAETH« (2016) von Stefan Hurtig und Detlef Weitz, in der rund 60 Filme, darunter »Blade Runner«, »THX 1138« und »Ex Machina« in einer Collage angeordnet werden. Zu Johann Sebastian Bachs »Goldberg-Variationen« erscheinen synchronisiert Ausschnitte aus den Filmen zu den Themen des klassischen Golem-Mythos: die Erschaffung des Wesens, sein Erwachen, seine Wohltaten, aber auch die Gefahren, die von dem künstlichen Menschen ausgehen.
»Außer Kontrolle« lautet der Titel der sechsten Station, die sich dem zerstörerischen Potential des Golem widmet. Neben Malerei sind Kostüme aus Theateraufführungen zu sehen, die vage auf das Thema Bedrohung verweisen. Raumfüllend ist die Arbeit »The Golem« (2007–2013) von Michael David, der ein großes, rostiges Hakenkreuz aus Metallrohren zusammengeschweißt hat. Der letzte Raum mit dem Thema »Doppelgänger« zeigt Cyborgs und Roboter als zeitgenössische Wiedergänger des Golem. Mithilfe des Programms »Golem Facing« können User in die Rolle des Kunstwesens schlüpfen. Am Ende der Ausstellung hat man den Eindruck, dass alle denkbaren Bezüge zum Golem dargestellt wurden. »Der Golem hat eine lange Karriere hinter sich, im Judentum und weit über das Judentum hinaus«, sagt Peter Schäfer, der Direktor des Jüdischen Museums. »Sie beginnt in der hebräischen Bibel und führt, mit immer neuen Transformationen, bis in unsere Gegenwart. Der uralte menschliche Traum, künstliche Geschöpfe zu erschaffen, hat Bezüge bis in die heutige Zeit: Gentechnologie und künstliche Intelligenz, Computer und Robotik. All dies sind Bestrebungen, eine Art Golem zu kreieren.«
Doch so sehr die Fülle an Ausstellungsobjekten beeindruckt, so sehr vermisst man präzise Aussagen. Martina Lüdicke, eine der Kuratorinnen, sagte in einem Interview mit dem Deutschlandradio: »Ich glaube, dass jede Generation sich ihren eigenen Golem schafft.« Etwas weniger assoziativ, dafür aber ein bisschen programmatischer hätte die Schau schon ausfallen dürfen.
Der Golem kommt. Jüdisches Museum Berlin. Bis 29. Januar