Französische Hochschulmitarbeiter protestieren gegen prekäre Arbeitsbedingungen

Die Universität macht nicht satt

An französischen Hochschulen haben akademische und nichtakademische Beschäftigte, die zusammen für bessere Arbeitsbedingungen kämpfen, einige Teilerfolge erreicht.

Hunderttausende gingen im vergangenen Frühjahr in Frankreich auf die Straße – monatelang. Dieser Protest gegen ein Gesetz der Arbeitsministerin Myriam El Khomri verdankte sich nicht zuletzt einer spezifischen Dynamik, die durch die immer wieder zu vernehmende Parole »Gegen das Arbeitsgesetz und seine Welt« genauso illustriert wurde wie durch das bei den Platzbesetzungen der Bewegung »Nuit Debout« beschworene »Zusammengehen der Kämpfe«. Die unterschiedlichsten Initiativen und Organisationen trugen damals ihre Kritik an Arbeitsverhältnissen, Rassismus und Geschlechterungleichheit vor.
Auch prekär Beschäftigte an den Universitäten haben sich zusammengeschlossen. An verschiedenen Hochschulen wurden entsprechende Vollversammlungen einberufen. Dabei ging es einerseits darum, sich mit dem Engagement der Studierenden zu solidarisieren und gegebenenfalls auf Repressalien durch die Universitätsleitung zu reagieren. Andererseits sollten die eigenen Arbeitsverhältnisse zum Gegenstand der Auseinandersetzung gemacht werden. Aus diesen Vollversammlungen entstand der landesweite Zusammenschluss »Kollektiv der prekären Arbeiter und Arbeiterinnen in Hochschule und Forschung«, Ende November findet im nordfranzösischen Lille das zweite nationale Treffen statt. Die Namenswahl des Kollektivs drückt bereits einen Unterschied zu vielen sogenannten Mittelbauinitiativen oder Organisationen von Hochschulprekären in Deutschland (siehe Seite 17) aus: Im Zentrum stehen die Arbeitsverhältnisse – und zwar auch die der nicht­akademischen Beschäftigten. Das französische Kollektiv geht daher zunächst nicht von Erwägungen über finanzielle Machbarkeit oder hierarchisierten Entscheidungskompetenzen aus. Als Lohnabhängige, ohne deren Leistungen in Forschung und Lehre die Universitäten zusammenbrächen, fordern die Assoziierten vielmehr ihre Rechte ein.
Konkret hat der Zusammenschluss auf seinem ersten landesweiten Treffen Ende Mai einen Katalog mit zehn Schlüsselforderungen ausgearbeitet. Zu diesen gehören nicht nur die Festanstellung jeglichen Universitätspersonals mit Daueraufgaben und das Ende aller Formen von Diskriminierung an Hochschulen, etwa nach Geschlechts-identität und nationaler Zugehörigkeit. Es finden sich auch Prinzipien, die erahnen lassen, wie wenig zumindest die akademischen Tätigkeiten als Lohnarbeit gelten – wobei der hohe Grad an Identifikation der Akademiker mit ihrer Tätigkeit eine entscheidende Rolle spielen dürfte. Um nur zwei Beispiele zu nennen: Der Zusammenschluss der akademischen Prekären fordert die monatliche statt semesterweise Entlohnung von Lehraufträgen und ihre Absicherung mit Arbeitsverträgen. Damit ist zwar noch nicht die Frage der Bezahlung selbst berührt; auch in Frankreich erlaubt diese oft kein Auskommen, wenngleich die Vergütung ein bisschen besser als in Deutschland ist. Allerdings erhalten die Lehrenden mit Arbeitsverträgen klare Vorgaben für ihre Tätigkeiten, die sich an vielen Hochschulen ansonsten auf die Ankündigung der Lehrveranstaltung im Vorlesungsverzeichnis reduzieren. Und sie erlangen die etwa für die Anmietung einer Wohnung unverzichtbaren vierwöchentlichen Gehaltsnachweise. Wenn eine Person genug Lehraufträge übernimmt, kann so durch die monatliche Entlohnung ein Grundeinkommen sichergestellt werden – und zwar ohne dass die Betroffenen sich bis zum Empfang ihrer Löhne am Semesterende und oftmals Monate danach verschulden müssen. Eine weitere Forderung lautet, dass Doktorandinnen und Doktoranden, die an der Hochschule lehren, an der sie zur Dissertation immatrikuliert sind, die Einschreibegebühren erlassen werden. Vergleichsmaßstab sind auch hier die Arbeitsverhältnisse in der übrigen Gesellschaft: Nirgendwo sonst zahlen Lohnabhängige Geld an ihre Chefs, um überhaupt arbeiten zu dürfen.
Dass diese Forderungen nicht nur sehr konkret an den miserablen Arbeitsbedingungen der Hochschulprekären ansetzen, sondern auch durchsetzbar sind, zeigt das Beispiel eines Kampfes, den prekär beschäftigte Lehrkräfte mit Unterstützung des landesweiten Zusammenschlusses an der Pariser Sorbonne geführt haben. Nach regelmäßigen Vollversammlungen seit Beginn der Vorlesungszeit im September vergangenen Jahres und einer intensiven Sensibilisierungskampagne erreichten die Beteiligten, dass etwa 60 überwiegend prekär beschäftigte Lehrkräfte am Ende des vergangenen Sommersemesters ihre Noten zurückhielten. Da zu diesem Zeitpunkt auch die Wahl eines neuen Universitätspräsidenten anstand, konnte genug Druck erzeugt werden, um der neu gewählten Universitätsleitung ein Zugeständnis abzuringen: An der Universität Paris 1 zahlen in der Lehre tätige Doktorandinnen und Doktoranden nun keine Immatrikulationsgebühren mehr. Mehr noch: Lehraufträge werden monatlich entlohnt.
Was zunächst vielleicht wie ein unbedeutender Erfolg wirken mag, sollte in seiner landesweiten Bedeutung für die Politisierung einer oftmals apathischen Berufsgruppe und für das Selbstverständnis der Lohnabhängigen an den Hochschulen nicht unterschätzt werden. Konkrete und erfolgreiche Kämpfe zeigen, dass es sich lohnt, gegen die bisweilen in klarem Widerspruch zum Arbeitsrecht stehenden Verhältnisse an den Hochschulen vorzugehen. Damit ist ein weiteres Problem berührt, das derzeit vom französischen Prekärenkollektiv kontrovers diskutiert wird: Soll man im Einzelfall vor Verwaltungsgerichten klagen? Was vor Gericht als materieller Erfolg, aber auch als präzedenzschaffende Niederlage enden kann, würde dank einer gut geführten Kampagne öffentlich bekannt machen können, unter welchen Bedingungen ein großer Teil der Lehre und Forschung an den Universitäten stattfindet. Man stelle sich Hochschulen vor, die vor Gericht ihre Unterbietung von Mindestlöhnen oder ihre Verstöße gegen Antidiskriminierungsgesetze rechtfertigen müssen.
Auch in Deutschland könnten die im Vergleich zu Frankreich noch zahlreicheren Hochschulprekären derartige Strategien verfolgen. Dies würde allerdings voraussetzen, dass sie sich entgegen der Ideologie von Exzellenz, Elite und Leistungsträgern als Lohnabhängige verstehen. Als solche könnten sie um ihre Rechte kämpfen und müssten nicht endlose Diskussionen um die Zuständigkeit von Bund oder Ländern führen oder zahnlose Forderungen nach einem »attraktiven Arbeitsmarkt Wissenschaft« aufstellen.
Eine deutsche Übersetzung des Forderungskatalogs der französischen Hochschulprekären findet sich hier