Rechtsruck der CDU

Welche CDU hätten Sie denn gerne?

Gegen den Willen ihrer Vorsitzenden, Bundeskanzlerin Angela Merkel, sprachen sich die Christdemokraten auf ihrem Parteitag mehrheitlich gegen den »Doppelpass« aus.

Über die wichtigen Dinge beim CDU-Parteitag berichteten mal wieder nur die Springer-Medien: »Ein schweres Gulasch« habe es gegeben, vermeldete die Welt. Nun sollte man niemals Verdauungsprobleme unterstellen, wenn Bösartigkeit als Erklärung ausreicht. So etwa für den Beschluss gegen die doppelte Staatsbürgerschaft, den die Delegierten auf Antrag der Jungen Union mit knapper Mehrheit verabschiedeten.
Das war zwar bei weitem nicht die einzige Entscheidung des Parteitags, die Franz Josef Strauß’ Devise »Rechts von uns ist nur noch die Wand« folgte, aber ohne Frage die schlagzeilen- und symbolträchtigste, zumal sie sich explizit gegen Nicht-EU-Staatsbürger richtet. So kann man »Türken raus« halt auch formulieren. Warum diese, wie unterstellt, größere Loyalitätskonflikte durch ihre Bi­nationalität haben sollten als Menschen mit, sagen wir, einem britischen und einem deutschen Pass – wie etwa der frühere niedersächsische CDU-Ministerpräsident David McAllister, bleibt unerklärt. Aber dass rechtes Gedankengut und Logik nicht gut zusammenpassen, war schon keine neue Erkenntnis, bevor »postfaktisch« zum Wort des Jahres erklärt wurde.
Dazu passt, dass Bundesvorstandsmitglied Stefan Heck die Pro-Erdoğan-Demonstrationen in Köln als Argument gegen den »Doppelpass« ins Feld führte, während ein Antrag mehrerer Kreisverbände auf zu beschließende Unvereinbarkeit von CDU- und AKP-Mitgliedschaft noch vor dem Parteitag so weit abgeschwächt wurde, dass nun bloß noch die Rede ist von »Organisationen, die den Zielen und Grundsätzen der CDU entgegenstehen«. Und wenn man sich die Grundsätze mancher Vertreter vom Rand der CDU anschaut, ist der Unterschied zu Erdoğans Partei, von der religiösen Geschmacksrichtung samt Haltung zum Thema Alkohol abgesehen, vermutlich gar nicht so groß.
Apropos: Man kann den Staatsbürgerschaftsbeschluss auch anders übersetzen, nämlich als ein »Merkel muss weg« des besagten Parteiflügels. Die Älteren unter den Leserinnen und Lesern werden sich an die Unterschriftenkampagne gegen die seinerzeit von der rot-grünen Bundesregierung geplante doppelte Staatsbürgerschaft erinnern, die der CDU unter Roland Koch 1999 zum Sieg bei den hessischen Landtagswahlen verhalf. In den zurückliegenden Jahren waren diese Parteikreise vergleichsweise unauffällig, als es noch hieß, Wahlen würden in der Mitte gewonnen, und man konnte glauben, mit Angela Merkel an der Spitze habe in der CDU ein allgemeines Durchlüften eingesetzt.
Die Kräfteverhältnisse in der Union lassen sich am Beschluss zum Doppelpass ablesen, der mit 319 gegen 300 Stimmen erfolgte. In den kommenden Monaten wird man es faktisch mit zwei Parteien zu tun haben, die beide den Namen CDU tragen: eine, die von der vielleicht populismusresistentesten Parteipolitikerin Deutschlands geführt wird, und eine, die auch gegen die Vorgaben der Vorsitzenden nicht darauf verzichten wird, Wahlkampf mit rassistischer Stimmungsmache zu führen. Und während die Merkel-CDU angesichts der übrigen Optionen à la Kretschmann-Gabriel-­Wagenknecht selbst für gestandene Linke als kleinstes wählbares Übel durchgegangen wäre, bringt der Rechtsruck auf dem Parteitag immerhin die Erkenntnis, dass das wohl keine gute Entscheidung wäre.