20 Jahre Querfront: linke und rechte Schnittmengen

20 Jahre Schnittmengenlehre

Dass Nationalisten Sozialisten sein können und Sozialisten Nationalisten und dass das alles äußerst unschön ist, ist eigentlich banal. Von Anfang an hat sich die »Jungle World« mit den viel zu häufigen Übereinstimmungen von links und rechts beschäftigt. Aber nicht jede ideologische Gemeinsamkeit ist schon eine Querfront.

»Neonazis – Stiefbrüder der Linken?« titelte die Jungle World am 28. August 1997. Anlass war der Anschlag des Neonazis Kai Diesner auf einen PDS-Buchhändler in Berlin-Marzahn. Diesner hatte Sympathie für die RAF und die IRA geäußert. In der Diskussion ging es darum, ob es sich dabei um gefährliche strukturelle Ähnlichkeiten zwischen links und rechts handelte oder nur um wirre Gedanken.

Die Diskussion blieb ohne klares ­Ergebnis. Aber die Ausgangsfrage begleitet die Jungle World seit 20 Jahren. Mehr noch: Autoritäres Gedankengut, Verständnis für Rassismus, Antisemitismus und Nationalismus in der Linken aufzuspüren und zu denunzieren ist sozusagen ein Identitätskern dieser antiidentitären Zeitung.

Das erste Beispiel ist die Diskussion über den Brandanschlag auf ein geplantes Asylbewerberheim im brandenburgischen Dolgenbrodt 1992. Sie begann noch in der Jungen Welt und war ein wichtiger Grund für den Bruch der späteren Jungle World-Redaktion mit der damaligen Minderheit in der Junge Welt-Redaktion. Anfang 1997 gesteht ein Blumenhändler aus dem Dorf, die Brandstiftung auf das geplante Asylbewerberheim in Auftrag gegeben und zusammen mit anderen bezahlt zu haben. »Niemand war traurig über diese Lösung«, hatte die damalige Bürgermeisterin Ute Preißler schon früher bekannt. Doch in der Jungen Welt sieht Holger Becker – einer der wenigen Redakteure, die nach dem Bruch 1997 bei der Jungen Welt bleiben – trotzdem nur »ein paar Kriminelle, die Angst um den Wert ihrer Grundstücke hatten«, und verweist auf den Frust über Arbeitslosigkeit und Rückübertragungsansprüche.

Autoritäres Gedankengut, Verständnis für Rassismus, Antisemitismus und Nationalismus in der Linken aufzuspüren und zu denunzieren ist sozusagen ein Identitätskern dieser antiidentitären Zeitung.

Links-rechts-Überschneidungen haben nicht nur mit Einfühlung in das gesunde Volksempfinden in Dolgenbrodt und anderswo, sondern auch viel mit einem gemeinsamen Verständnis von Antiimperialismus zu tun. Das zeigt sich international etwa bei der »Waffenbruderschaft« zwischen Saddam Hussein und dem serbischen Nationalisten Vojislav Šešelj: »Die Melange aus Antiamerikanismus und Nationalismus, auf die sich Šešeljs Propaganda gründet, findet regen Zuspruch nicht nur unter seinen zahlreichen Unterstützern in Serbien, sondern auch in einer internationalen Koalition von Rechtsextremisten und national gesinnten Kommunisten, die Saddams Irak als Bastion der ›nationalen Souveränität‹ verteidigen.« (Jungle World 7/2003)

Historisch erklärt Steev Sternhell (Jungle World 16/2002), wie die Vordenker des Faschismus ihre Ideologie bewusst aus Nationalismus und Sozialismus geschmiedet haben. Zum Beispiel Charles Maurras, der eine »Form des Sozialismus« entdeckt, »die, wenn sie ihrer demokratischen und kosmopolitischen Anhängsel entkleidet wird, mit dem Nationalismus ebenso zusammenpassen wird, wie ein gut gefertiger Handschuh zu einer schönen Hand passt«.

Zu dieser historischen Strategie passt denn auch das Wort »Querfront«, das in der Jungle World zum ersten Mal 1999 auftaucht und seitdem in ein bis fünf Artikeln jährlich. Erst 2014 kommt es, dem Suchalgorithmus des Jungle-Archivs zufolge, zu einer kleinen Inflation des Begriffs (13/2014, 27/2015, 23/2016). Warum?

Hauptgrund sind die 2014 ins Leben gerufenen Montagsmahnwachen für den Frieden. Hier traf der Begriff. Ebenso, wenn etwa Phänomene wie das Bündnis Campo Antiimperialista beschrieben werden, in dem linke Gruppen »gemeinsam mit rechten ›Kapitalismuskritikern‹, arabischen und islamischen Kräften und slawischen Nationalisten gegen das US-amerikanische Imperium« kämpfen (Jungle World 6/2016), oder »der als links geltende französische Wirtschaftswissenschaftler Jacques Sapir, der sich für eine nationale Befreiungsfront gegen den Euro einsetzt – unter Einschluss des angeblich demokratisch geläuterten Front National« (Jungle World 36/2015).

In anderen Artikeln aber droht sich die Suche nach der »Querfront« zu verselbständigen und das Wort zum Etikett zu werden, das auf verschiedene Phänomene aufgeklebt wird, ohne sie zu erklären. Nicht jede ideolo­gische Gemeinsamkeit bereitet praktische Kooperationen, eine »Front«, vor. Beim Versuch, den Aufstieg von Pegida und AfD, aber auch von Donald Trump und Viktor Orbán zu verstehen, taugt der Begriff wenig. Der Umstand, dass die AfD gerade auch der Partei »Die Linke« Stimmen wegnimmt, verweist auf ideologische und affektive Gemeinsamkeiten in der Wählerschaft. Aber eine Querfront? Auch die ideologischen Gemeinsamkeiten zwischen Neuer Rechter und Islamisten, wie die gemeinsame Abscheu vor verschwimmenden Geschlechtsidentitäten, zu denunzieren, ist richtig. Aber eine Querfront?

Zurück zur Kritik der Jungle World an autoritärem, nationalistischem und antisemitischen Gedankengut in der Linken. Dass diese mit Verratsvorwürfen beantwortet wurde – geschenkt. Eine von den meisten geteilte Diagnose bei Gründung der Jungle World war, wie Stephan Grigat 2008 schrieb, »dass es etwas Schlimmeres gibt als den Kapitalismus und die bürgerliche Gesellschaft: ihre barbarische Aufhebung. Für diese negative Aufhebung der bürgerlichen Gesellschaft stehen historisch der Nationalsozialismus und der Faschismus« (Jungle World 32/2008). Ausgehend von dieser Diagnose ergeben sich logisch Schnittmengen mit Liberalen und mit Staatsvertretern. Das allein ist noch keine Affirmation des schlechten Bestehenden. So ist etwa der gemeinsame Einsatz von Welt und Jungle World für die Freilassung von Deniz Yücel eher ein Indiz für die verschärften Verhältnisse als ein Ausdruck von gewachsener ideologischer Nähe. Trotzdem lohnt die Diskussion, ab wann die Kritik an der Linken zum Selbstzweck wird und die Verteidigung bürgerlicher Menschenrechte die Analyse der Verhältnisse ersetzt.

Ein Mitgründer dieser Zeitung packte die Nähe mancher Linker zum Völkischen früh in Parolen: »Links ist da, wo keine Heimat ist. Nicht um nationale Selbstbestimmung geht es, sondern um gesellschaftliche«, schrieb Jürgen Elsässer schon 1992. Und 1997 in der Jungle World: »Links heißt subversiv, nicht populär.« Inzwischen ist Elsässer »populär« – und rechts. Und während der Montagsmahnwache versuchte er das herzustellen, vor dem er früher gewarnt hatte: eine Querfront. Es soll hier nicht lang um diese Personalie gehen. Es ist ein Verdienst der Jungle World-Redaktion, ihn rechtzeitig, im Jahr 2000, ausgeschlossen zu haben. Aber Elsässers relativer Erfolg als Propagandist am rechten Rand der AfD zeigt, dass sich die Frage nach Übereinstimmungen zwischen links und rechts in neuer Form und mit neuer Wucht stellt.

Nach dem Querlesen von 20 Jahren Jungle World bleibt der Eindruck: Die Jungle World hat eine wichtige politische Funktion als Plattform für Kritik an linker Politik und linker Bewegung. Diese Kritik darf aber nicht zum Selbstzweck, zum Ausweis der eigenen Identität werden. In diesem Sinn: Auf weitere 20 Jahre mit Aufklärung, Kritik und Satire, für que(e)re Fronten und gegen die Querfront!