Probleme mit dem Tourismus

Blühender Wildwuchs

Kommentar Von Carl Melchers

Im Theth-Tal in den Nordalbanischen Alpen sollte mit deutscher Hilfe eine nachhaltige Tourismusentwicklung stattfinden. Zu bemerken ist davon wenig.

Etwas mehr als drei Stunden braucht man mit dem Auto aus der nordalbanischen Stadt Shkodra ins Theth-Tal. Die Teerstraße endet abrupt am Kamm eines Bergpasses ein paar Kilometer vor dem Tal. Der Fahrer erzählt, dass die Straße mit deutscher Hilfe gebaut, das Bauvorhaben aber vor drei Jahren eingestellt worden sei. Es bleibt unklar, warum, sein Englisch ist nur schwer zu verstehen.

Nicht nur Reiseführer und Webportale für Bergwanderer preisen in hohen Tönen die Unberührtheit des entlegenen Tals, sondern auch die Internetseiten der deutschen Botschaft in Tirana und der Gesellschaft für Internationale Zusammenarbeit (GIZ), einer staatlichen Entwicklungsorganisation der Bundesrepublik. Letztere hieß vor elf Jahren noch Gesellschaft für Technische Zusammenarbeit (GTZ), ihr Mitarbeiter Ismail Beka erarbeitete damals ein Konzept zur Gestaltung eines »sanften« Tourismus in den »Verwunschenen Bergen« – geplant war eine sogenannte nachhaltige Entwicklung, die wirtschaftlichen Aufschwung in der extrem armen und durch Auswanderung entvölkerten Region bringen sollte, ohne zugleich die Schönheit des Tals und seinen Bestand an historischen Gebäuden durch riesige Hotels und den Ansturm von Busladungen von Tagestouristen zu zerstören. Nur ein paar Gästehäuser sollten in den kleinen, meist dreistöckige Steinhäusern entstehen, von denen viele offenbar mindestens 300 Jahre alt sind – so genau weiß das hier niemand.

Massentourismus gibt es im Tal zwar keinen, aber während viele der traditionellen Häuser halb verfallen sind, erblüht seit wenigen Jahren ein Wildwuchs an neuen Touristenunterkünften. Aus wenigen Hundert Besuchern im Jahr 2006 sind mehrere Tausend geworden, Tendenz steigend. Die Neubauten sehen deutlich weniger urig aus als die historischen Altbauten, die neben ihnen wie Zwerge wirken. Einer der Betreiber einer neu entstandenen Ferienanlage passt auch optisch zu der herrschenden Goldgräberstimmung: Er fährt einen weißen Hummer, Goldketten hängen um seinen Hals und  auf seinem Anwesen hält er sich zwei junge Braunbären, die er gelegentlich frei herumlaufen lässt.

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Braunbären als Touristenatraktion im nordalbanischen Theth-Tal

Bild:
Carl Melchers

Man kann sich bei einem Besuch des Tals schwer des Eindrucks erwehren, dass, was immer es einmal an möglicherweise sinvollen Konzepten für eine Entwicklung der Region gegeben haben mag, in den vergangenen Jahren aus dem Ruder gelaufen ist. Schuld daran sei, meinen Dorfbewohner im Gespräch mit der Jungle World, die auf allen Ebenen herrschende Korruption. Mitarbeiter von Behörden hätten in der Vergangenheit einen Großteil der Fördergelder in die eigene Tasche gesteckt, um die Infrastruktur des Tals steht es nicht gut. Dass die Straße nicht ausgebaut ist, hat vermutlich geholfen, den Zuwachs an Neubauten ein wenig zu bremsen. Andererseits wird dadurch auch die Lieferung von Baumaterial und Lebensmitteln aus Shkodra erschwert. Der Müll wird nur zwei Mal im Monat abgeholt und stapelt sich oft wenig ansehnlich neben den Müllcontainern im Siedlungskern. Die aus der stalinistischen Zeit stammende Wasserkraftanlage funktioniert seit mehreren Jahren nicht mehr. Der Strom kommt aus dem Nachbartal, doch auch im dortigen Wasserkraftwerk funktioniert nur eine von drei Turbinen. Folglich kommt es regelmäßig zu Stromknappheit.

Angesichts dieser offensichtlichen Konzeptlosigkeit stellt sich die Frage, welche Verantwortung die deutsche Entwicklungszusammenarbeit für die Situation trägt. Eine Antwort der GIZ erreichte die Jungle World bis Redaktionsschluss leider nicht mehr.