Small Talk mit Matthias Seibt vom »Bundesverband Psychiatrie-Erfahrener« über Fixierungen in der Psychiatrie

»Fixierungen sind unnötig«

Small Talk Von Simon Duncker

Zwei ehemalige Patienten aus Bayern und Baden-Württemberg haben kürzlich vor dem Bundesverfassungsgericht geklagt, da sie ihre Fixierungen ohne richterlichen Beschluss für verfassungswidrig halten. Ein Gespräch mit Matthias Seibt vom »Bundesverband Psychiatrie-Erfahrener e. V.«.

STWas sagt der BPE zum Thema Fixierungen?
Fixierungen sind unnötig. Im deutschen Knast, in den Niederlanden und in Großbritannien braucht man das nicht. In den Niederlanden hat man seit 15 Jahren Isolierzimmer. Und als man feststellte, dass die Leute ziemlich lange in den Isolierzimmern sind, hat man 30 Millionen Euro zur Verfügung gestellt, um den Aufenthalt dort besser, kürzer und menschlicher hinzukriegen. Deutschland stellt nur eine Millionen Euro zur Verfügung, um die unmenschlichen Verhältnisse zu erforschen.

Sollten Fixierungen generell verboten werden?
Ja, das wäre sehr gut. Zwei Drittel der Menschen, die fixiert werden, erleben das als sehr traumatisierend und entwürdigend. Sie leiden Jahre oder Jahrzehnte darunter. Wie viele Patienten Gewalt erleiden, variiert je nach Anstalt zwischen einem und zwölf Prozent. Martin Zinkler, der Chefarzt der Heidenheimer Psychiatrie, sagt, wenn es mehr Personal gäbe, käme man wohl gänzlich ohne Fix­ierungen aus. Das würde den Krankenhaustag teurer machen. Die Briten haben weniger Psychiatriebetten, sind aber personell besser ausgestattet. Das halte ich für eine sehr vernünftige Maßnahme.

Was wäre im Zweifel vorzuziehen: Zwangsmedikation oder ­Fixierung?
Die Zwangsmedikation lehnen wir eigentlich noch stärker ab als die Fixierung. In der Fixierung kann man noch eine besondere ­Sicherheitsmaßnahme sehen, wenn zum Beispiel jemand in heftiger Weise gegen sich selbst oder andere gefährlich wird. Die Zwangs­behandlung ist eindeutig Folter. Das sieht auch das UN-Hochkommissariat für Menschenrechte so.

Was für praktische Schwierigkeiten gibt es für eine stärkere ­juristische Kontrolle?
Die Hauptschwierigkeit liegt erstmal darin, dass sich die meisten Richter als Schreibgehilfen des Arztes verstehen. Es war in den Anhörungen beim Bundesverfassungsgericht deutlich zu sehen, dass viele der Juristen den Ärzten durch einen Richtervorbehalt mehr Sicherheit geben wollen. Aber darum geht es ja nicht. Es geht darum, dass weitreichende Grundrechts­eingriffe nur passieren sollen, wenn wirklich nichts anderes möglich ist. Natürlich muss ­dieser Richtervorbehalt ins Gesetz. Solche Eingriffe kann man nicht den Ärzten überlassen. Ob das dann in der Praxis zu einem Umdenken führt, das weiß ich nicht. Eine Schwierigkeit ist, dass viele Richter in der Nacht nicht zu erreichen sind. Und wie in der Anhörung deutlich wurde, lassen die sich auch tagsüber manchmal ganz schön Zeit. Wenn der Richter erst dazukommt, wenn die Person schon ans Bett gefesselt ist, dann ist das ja eine veränderte Situation, falls jemand dann mit Gegengewalt reagiert – die ursprüngliche Situation ist für den Richter ja nicht mehr sichtbar.

Wie lässt sich die Selbstbestimmung der Patienten stärken?
Es gibt jetzt schon ein Mittel, das wirkt: die Patientenverfügung. Das kann ich nur allen dringend empfehlen, die keine psychiatrische oder andere ärztliche Gewalt erleben wollen. Eine Verfügung mit der Aussage: Das will ich nicht! Ich will nicht für verrückt erklärt werden.