Platte Buch - Nils Frahm: All Melody

Experimentelle Disziplin

Kolumne Von Simon Duncker

<p>Nils Frahm kombiniert Klaviermusik mit Elementen elekronischer Tanzmusik.</p>

Nils Frahm kombiniert Klaviermusik mit Elementen elekronischer Tanzmusik. Der Einsatz zahlreicher akustischer Tasteninstrumente trifft auf digitale Sounds von Synthesizern, Samples treffen auf Loops und disziplinierte und zurückhaltende Detailverliebtheit auf offene Klangexperimente. Diese avantgardistische Herangehensweise wird durch Wiederholung eingängiger Melodien leichter verdaulich. Dazu haftet der oft kontemplativen Musik etwas Intimes an, das in Verbindung mit dem charmanten Auftreten des Künstlers wie für die Vermarktung gemacht ist.

Frahms Veröffentlichungen hört man ihren Entstehungskontext an. Das neue Album »All Melody« ist von dem selbstentworfenen Studio geprägt, das Frahm sich im Berliner Funkhaus hat einrichten lassen. Für sein siebtes Studioalbum konnte er hier seine Instrumente so anordnen, dass die Aufnahmebedingungen denen einer Liveshow ähneln. Die aus Holz gefertigte Pfeifenorgel, mit der Frahm 2015 tourte, hat jetzt im Studio ihren festen Platz gefunden.

Ihr hölzerner Klang scheint auch da, wo sie schweigt, das warme Klangbild von »My Melody« zu bestimmen. Dabei wird sie kaum wie eine Orgel gespielt. Im ersten Track stolpert sie durch die Gegend, bei »Human Range« gemahnt sie durch ein zurückhaltendes Staccato an ­einen feierlichen Trauermarsch. Später bewegt sie sich meditativ in Schleifen, die sich bei »Kaleidoscope« in ein gehetztes Loop auswachsen. Chöre klingen wie Instrumente, es geht von Akustik zu Elektronik und vice versa. Mehrstimmige Melodien laufen immer wieder mit- und gegeneinander. Im Song, dessen Titel auch der des Albums ist und eine Art Herzstück der Platte bildet, flirrt der Sound eines Synthesizers wirr umher, um sich schließlich auf einen trockenen und nervösen Technobeat zu legen. Zwei Klavierstücke boten zuvor friedliche Ruhe.

»All Melody« ist ein stimmiges Konzeptalbum, das Frahms Stärken in einen neuen Kontext setzt. Er wird nicht müde zu experimentieren.

Nils Frahm: All Melody (Erased Tapes Records)