Zollbarrieren gefährden die kapitalistische Wertschöpfung

Die große Bereinigung

Die Aufkündigung des westlichen Multilateralismus bedeutet nicht anderes als den Zerfall der Weltwirtschaft in nationale Konkurrenz. Es droht ein Rückfall ins 19. Jahrhundert, dessen politische Folgen bereits erkennbar sind.

Der Handelskrieg hat begonnen, und zwar nicht wegen der Launen eines narzisstischen Präsidenten. Er hat mit der ausklingenden Weltherrschaft des Westens und der Auflösung seiner Bündnissysteme zu tun, seit ihm mit dem »bolschewistischen« Feind auch die verbindliche Klammer abhanden kam. Er hat zu tun mit dem Abstieg der USA und dem Versuch, ihre industrielle Basis zu reanimieren, mit dem Aufstieg ­Chinas zur Weltmacht und mit dem Kampf der Giganten um die Vorherrschaft. China platzt aus den Nähten wie die USA und Deutschland vor 1914 und nie ging die Ablösung einer Weltmacht lautlos über die Bühne.

Dass die Erhebung von Zöllen auf Stahl und Aluminium aus EU-Staaten »vorübergehend« ausgesetzt wurde, hat zwei Gründe. Zum einen wollen die USA sich zuerst auf China konzentrieren. »Wenn wir China erlauben, alle Schlüsselindustrien der Zukunft zu ­erbeuten, haben wir keine Zukunft«, sagt Peter Navarro, der Handelsbe­rater von Donald Trump und Autor des Buches »Tod durch China«.

Zum anderen soll der EU »bis Ende April« Zeit gegeben werden, um sich Klarheit über die Erfüllung der Auflagen zu verschaffen. Trumps Berater haben durchblicken lassen, dass eine freiwillige Limitierung europäischer Exporte in die USA, die Errichtung von Handelsbarrieren gegen China, die Anhebung der Militärausgaben, die Bereitschaft, in Handelsfragen mit den USA zu ­kooperieren, und die Erfüllung anderer Wünsche, die dazu beitrügen, Europa in ein amerikanisches Protektorat zu verwandeln, den Präsidenten gnädig stimmen könnten.

Um prowestlichen Idealisten zu demonstrieren, dass er es ernst meint mit dem Zerfall der Welt in nationale Konkurrenzen (»bilaterale Deals«), ­belegte Trump – während er der EU Aufschub gewährte – Draht aus Stahl­legierungen und Kohlenstoffstahl aus Großbritannien, Spanien und Italien mit Strafzöllen. Die Washington Post findet das »widerlich«, denn wer in ­Afghanistan gemeinsam mit den USA sein Blut vergieße, dürfe nicht mit ­China in einen Topf geworfen werden.

 

Transatlantische Romantiker, die an die westliche Wertegemeinschaft appellieren, begreifen nicht, dass der Raub fremden Mehrwerts und die Selektion der Welt in Sieger und Verlierer elementare westliche Werte sind. Die US-Regierung ist geradezu verpflichtet, Konkurrenten, deren Exportüberschüsse anzeigen, wie viel Wert sie aus den USA abziehen, das Handwerk zu legen.

 

Das regressive Establishment, das sich in den USA der Politik bemächtigt hat, demontiert sich selbst als Patron des Westens und des Freihandels, um ohne Rücksicht auf Werte und Bündnisse in die Schlachten gehen zu können.

Wenn an die Stelle multilateraler Abwicklungen, in denen die USA sich mit anderen abzustimmen hätten, bilaterale »Deals« treten, impliziert das, dass ­alles Multilaterale kaputtgehen gehen darf: die Welthandelsorganisation (WTO), die Nato, Handelsabkommen wie TPP in Asien, auch die »deutsche EU«, sagt Trump, weil »Menschen und Länder ihre eigene Identität« haben wollten. Darin stimmt er mit Identitären überein. Die »Methode Trump« besteht darin, einen Staat zu verdächtigen, den USA schaden zu wollen (was leicht fällt, weil im Kapitalismus jede Krähe der anderen die Augen aushackt), und ihm gleichzeitig das Strafmaß und die Bedingungen für eine Strafbefreiung mitzuteilen. Der fragliche Staat hat dann die Wahl zwischen Pest und Cholera. Um das Verfahren zu legitimieren, rückt Trump – wie Putin und Erdoğan – die Verschwörung und den Verfolgungswahn ins Zentrum der Politik. »Alle ­betrügen uns, das ist nicht fair!«

Transatlantische Romantiker, die an die westliche Wertegemeinschaft appellieren, begreifen nicht, dass der Raub fremden Mehrwerts und die Selektion der Welt in Sieger und Verlierer elementare westliche Werte sind. Die US-Regierung ist geradezu verpflichtet, Konkurrenten, deren Exportüberschüsse anzeigen, wie viel Wert sie aus den USA abziehen, das Handwerk zu legen. Die Schieflage ist dramatisch. Die USA importierten 2017 Waren für 2 251 Milliarden Dollar und exportieren welche für 1 455 Milliarden. Das Ausland zog also für knapp 800 Milliarden Dollar Produktion, Beschäftigung, Einkommen, Profit und Steuern aus den USA ab. Fast die Hälfte dieser Summe entfiel auf China.

 

Der Bumerang

Mit der Senkung der Unternehmenssteuern und den Importzöllen wollen die USA Industriekapital ins Land holen und mit letzterem zugleich das Loch, das erstere in den Staatshaushalt reißt, stopfen. Importzölle sind im Endeffekt Steuern, die über die Preise auf die Verbraucher abgewälzt werden – wie die Mehrwertsteuer. Auch ausländische Lieferanten werden belastet, sofern sie auf einen Teil ihres Profits verzichten, um den Preisauftrieb zu begrenzen. Die ganze Welt soll nach dem Reproduktionsbedarf der USA ausgerichtet (»America first«) und vor allem China soll geschwächt werden. Gemäß der US-Militärdoktrin ist China der »strategische Konkurrent, der seine räuberische Wirtschaft benutzt, um Nachbarländer einzuschüchtern«. Nun soll China mit Strafzöllen, die sich auf bis zu 60 Milliarden Dollar ­belaufen, angegriffen werden, mehr noch, in einer Größenordnung von »Zahlen, über die Sie noch nicht einmal nachgedacht ­haben«. Dafür hat Trump die Zustimmung im Kongress und der Republi­kaner.

Ganz so simpel, wie Trump die Welt sieht, ist sie nicht. Die USA können Google und Facebook sehr gut, Fracking geht so, aber ihre Stahlprodukte sind schlecht und teuer und viele US-Amerikaner können sich ihre Konsum­waren nur leisten, weil sie in China produziert werden. ­Importe durch die ­Inlandsproduktion zu ersetzen, wird schon an fehlenden Industrien scheitern. Die USA ­kaufen zwei Drittel der hochwertigen Werkzeugmaschinen und Präzi­sionsteile in Japan, Deutschland und Mexiko und lassen digitale Ge­räte in China herstellen. 77 Prozent aller Auto­teile gehen zur Weiterverarbeitung nach Mexiko und Kanada. Hohe Importzölle und auch die Rück­holung der Massenfertigung verteuern zunächst die Produktion und den Konsum. Der Kapitalismus zahlt nur für die Veredelung eines Produkts im Zentrum 2 500 Dollar Lohn. Für Rohstoffgewinnung, Transport und vorgelagerte Fertigungsstufen zahlt er 100 bis 500 Dollar im Monat. Trumps Zollbarrieren gefährden die Produktions- und Lieferketten, den Zugriff auf preiswerte Arbeitskräfte, Böden und Sonderbedingungen aller Art und damit die kapi­talistische Wertschöpfung.

45 US-amerikanische Konzerne (darunter Apple, Nike und Walmart) und Wirtschaftsverbände warnen vor Strafzöllen gegen China, weil sie »die Kosten der Wirtschaft und die Konsumgüterpreise hochtreiben, Arbeitsplätze vernichten und die Finanzmärkte belasten«. Die US-Handelskammer befürchtet einen »zerstörerischen Handelskrieg mit ernsten Konsequenzen für die USA«. Selbst der rechte Sender Fox News warnt: »Der Präsident hat den ersten Schuss in einem Handelskrieg abgefeuert, der alle Amerikaner trifft. Er schadet den Beziehungen zu verbündeten Nationen und unserer ­nationalen Sicherheit, schwächt unsere Wirtschaft und macht die Konsumenten ärmer.«

Wie lange halten die US-Amerikaner Trump aus? Was der Sonderermittler Robert Mueller gesammelt hat, soll die Watergate-Affäre um Längen über­treffen. Von Geldwäsche, Verbindungen zum organisierten Verbrechen und zu russischen Geheimdiensten ist die Rede. Der ehemalige CIA-Direktor John Brennan spricht Trump an: »Wenn das ganze Ausmaß Ihrer Bestechlichkeit, moralischen Verdorbenheit und politischen Korruption bekannt wird, werden Sie ihren rechtmäßigen Platz einnehmen, als in Ungnade gefallener ­Demagoge auf dem Müllhaufen der Geschichte.« Andererseits haben solche Männer Geschichte gemacht.

 

 

Bereit zum »blutigen Kampf«

Der chinesische Präsident Xi Jinping formulierte auf dem Volkskongress in markigen Worten den neuen imperialen Machtanspruch Chinas. Die Welt brauche die chinesische Weisheit »zur Verbesserung der globalen Ordnung«. China werde »den blutigen Kampf ­gegen unsere Feinde« aufnehmen, um seinen »rechtmäßigen Platz in der Welt einzunehmen«, und strebe die »Wiedervereinigung des Vaterlandes« mit Taiwan an, dem die USA Autonomie garantieren. Das chinesische Parteiblatt Global Times rief die Landsleute auf, sich auf einen Handelskrieg vorzubereiten, »strategisch und mental«, denn »Appeasement ist keine Option«. China droht den USA mit Vergeltung und erinnert beiläufig daran, dass es Hauptabnehmer vieler US-amerikanischer Produkte ist: Sojabohnen, Baumwolle, Flugzeuge, Autos.

China hat hohe Wachstumsraten und expandiert planvoll. Das Projekt »Neue Seidenstraße« bindet inzwischen 68 Staaten bis Nordafrika und Osteuropa über Infrastruktur-, Kredit- und Militärprogramme an China. China bringt Kapital zu den Menschen, errichtet überall Konfuzius-Institute, vergibt Stipendien, holt junge Menschen aus aller Welt zum Studium nach Peking, während die EU sich einmauert. Das Projekt »Made in China 2025« regelt den Einstieg in moderne Industrien (von der Informationstechnik bis zum Hochgeschwindigkeitszug, von der Elektromobilität bis zur Agrartechnik). China plant den Sprung von der »Billigproduktion« zur »Qualitätsproduktion« und strebt den Status der führenden »Industriesupermacht« an.

Der Plan des russischen Präsidenten Wladimir Putin, gemeinsam mit China eine eurasische Großmacht gegen den Westen hochzuziehen, scheint China nicht mehr zu interessieren. China hat zwar – wie Deutschland – ein Interesse an russischen Rohstoffen, aber für eine innovative Partnerschaft taugt Russlands Ökonomie, die Putins Oligarchen- und Bandenkapitalismus in die Pleite reitet, nicht. Chinas Bruttoinlandsprodukt ist inzwischen achtmal so groß wie das russische. Der Einfluss Russlands basiert allein darauf, dass seine Führung sich zur Lösung internationaler Konflikte einladen lässt, die sie pausenlos selbst auslöst. Warum sollte China seine Expansion durch nutzlose Abenteuer gefährden?

 

 

Während der Kapitalismus die Fesseln der Nationalstaaten sprengt, fällt das Bewusstsein in die Kleinstaaterei, in ethnische, rassistische und faschistische Bindungen und Wahnvorstellungen zurück.

 

 

Heuchelei und Besonnenheit

Das Problem für Deutschland sei, dass seine Säulen, »die amerikanische ­Sicherheitsgarantie und der freie Welthandel durch Trump in Frage gestellt werden« (Josef Fischer). Die innere Zersetzung kommt hinzu. Die EU ist keine Nation, sondern ein Konglomerat konkurrierender Staaten, das durch Austritte, Staaten- und Regionalbünde sowie Stimmengewinne der Rechts­populisten und Faschisten in seiner Existenz bedroht ist. Die Wahl von Marine Le Pen hätte die EU bereits im Zentrum erschüttert. Polen fürchtet sich vor Russland, aber in Italien begrüßen ­beide Wahlsieger, der Lega-Vorsitzende Matteo Salvini (»Lang lebe Trump, lang lebe Putin, lang lebe Le Pen«) und Luigi Di Maio (Fünf-Sterne-Bewegung), Putins Angriffe auf die EU. Die EU ist nicht satisfaktionsfähig. Als sie mit Zöllen auf Whiskey und Harleys drohte, erwähnte Trump, er werde dann Autos mit 25 Prozent belasten – und schon beschwor die EU ihre eigene Besonnenheit.

 

China, Rad

Bätschi. China plant im Gegenzug Zölle auf US-Produkte wie Früchte und Wein im Wert von drei Milliarden Dollar.

Bild:
picture alliance / Stephen Shaver

 

Jeder Handelskrieg bedroht die deutsche Wirtschaft, die zu 40 Prozent am Export hängt – die der USA nur zu acht Prozent. Auch Zölle gegen China wären wegen der drohenden Umlenkung der chinesischen Exporte nach Europa eine Belastung. Zölle auf ­Autos würden ganz Europa erschüttern, weil jedes Land an grenzübergreifenden Fertigungsketten hängt. Die USA sind für deutsche Autokonzerne nicht so wichtig wie Europa und Asien (VW verkauft im Jahr in Asien 4,5 Millionen Fahrzeuge, in Europa 4,3 und in den USA 0,6). Autozölle würden am meisten die Slowakei, Zölle auf Stahl, Eisen und Aluminium besonders Rumänien, ­Slowenien und Tschechien treffen. Dieter Kemp, der Präsident des Bundesverbandes der Deutschen Industrie (BDI), empfiehlt deshalb Besonnenheit und Verhandlungen mit den Gouverneuren der US-Bundesstaaten. Sie seien ­»bessere Adressaten.« Ein kleiner Versuch, die USA zu zersetzen!

Der EU fehlen Macht und Einigkeit. Noch weniger ist die Moral auf ihrer Seite. Ihre Zollpolitik ist aggressiver als die US-amerikanische. Die EU erhebt 56 Strafzölle auf Importe aus China, ihre Zölle auf PKW-Importe sind viermal so hoch wie die der USA. Sie erhebt für Stahlerzeugnisse aus China, Russland und Indien bis zu 48 Prozent Strafzoll. Solarpanels aus China verteuert sie um 65 Prozent, Fahrräder aus Asien und Nordafrika um 48 Prozent. Um Afrika am Aufbau einer eigenen Produktion zu hindern, bezieht die EU nur ungeröstete Kaffeebohnen zollfrei, geröstete werden durch Zölle verteuert, damit die Veredelung in der EU stattfindet. Dasselbe gilt für Kakao, Baumwolle, Erze und Metallprodukte.

 

Vorboten der großen Bereinigung?

Jede aufstrebende Industrienation braucht Zölle zum Schutz der heimischen Produktion und für die Entstehung eines Binnenmarktes. Auch reiche Nationen sehen zu, dass sie inländisches Kapital durch Zölle, Normen, Qualitätsstandards und Investitionsblockaden bevorzugen. Aber Trumps Zollbarrieren, seine Freund-Feind-Definition, die Demontage multilateraler ­Regeln und die sprunghaften Bestrafungen setzen eine Protektionswettlauf in Gang, gefährden die Wertschöpfungsketten und fördern die Renationalisierung der Welt. Paul Welfens vom Europäischen Institut für internationale Wirtschaftsbeziehungen befürchtet einen Rückfall in die Zeit des »späten 19. Jahrhunderts, als aggressive Rivalität der Großmächte die internationalen Wirtschaftsbeziehungen prägte«.
 Vielleicht ist der Handelskrieg der Vorbote einer größeren Bereinigung – wie damals zwischen den Weltkriegen –, die im Kapitalismus dann passiert, wenn als folge der steigenden organischen Zusammensetzung des Kapitals der über alle Maßen hinausgewachsene Kapitalberg durch Entwertung und Vernichtungabgetragen wird. Nach der Beseitigung der überschüssigen Geld- und Kreditmenge und der Zerschlagung der unproduktiven Kapitalmasse könnte ein neues »Wirtschaftswunder« beginnen, wie nach 1945.

Ein Ausweg aus dem wiederkehrenden Dilemma deutet sich nicht an. Im Gegenteil. Während der Kapitalismus die Fesseln der ­Nationalstaaten sprengt, fällt das Bewusstsein in die Kleinstaaterei, in ethnische, rassistische und faschistische Bindungen und Wahnvorstellungen zurück.

In Italien gewinnt die Lega, die zur Rassentrennung in Bus und Bahn ­zurückwill. Apartheid im aufgeklärten Europa. Das durch das Sein beschädigte Bewusstsein schlägt zurück. Diesmal gehört der Kapitalismus selbst zu den Opfern des miserablen Bewusstseins, das seine Entfremdung und Verdinglichung anrichtet. Die Weltpolitik erinnert heute eher an das Attentat von Sarajewo als an Digitalisierung und Glo­balisierung.