Durch Influencer entsteht eine neue Form der Authentizität

Irgendwas mit Werbung

Schon länger bewerben junge Menschen auf sozialen Medien Produkte: Die sogenannten Influencer sind die neuen Freiberufler des Marketing. Die Grenze zwischen einem freundschaftlichen Tipp und Werbung für ein Produkt wird durch sie immer fließender.

»Man hatte plötzlich die Möglichkeit, allen alles zu sagen, aber man hatte, wenn man es sich überlegte, nichts zu sagen«, lautete Bertolt Brechts er­nüch­tertes Fazit über das damals neue Medium Radio. Trotzdem blieb er optimistisch: Wenn ein Medium es nur schaffen würde, statt einseitigem Rundfunk eine Kommunikation mit den Empfängern zu ermöglichen, sie »nicht nur hören, sondern auch sprechen zu lassen«, hätte es geradezu revolutionäres Potential.

Diese Kanäle, die nicht nur senden, sondern sogar um Antwort bitten, existieren nun. Täglich sprechen Men­schen in die Frontkamera ihres Smartphones zu einem Millionenpublikum. Sie reden sie mit »Ihr Lieben« an und könnten über alles mögliche sprechen, entscheiden sich aber doch für solcherlei Szenarien: Die Medizinstudentin Donna Adrienne zum Beispiel veröffentlichte im Februar ein Bild von sich im Schaumbad, umgeben von den eingeschweißten Produkten eines bekannten Salamiherstellers mitsamt der Aufforderung, zu kommentieren, welche »Vorteile« eine solche Wurstkur haben könne. Alles nur Spaß, versicherte sie kurz darauf.

Sie nehme ihren Beruf als ­Influencerin »sehr ernst«, wolle mit dem Bild aber gleichzeitig zeigen, dass sie das Ganze dann doch »nicht so ernst« sehe.

Ob Ironie oder nicht: Ihr Wurstbild provozierte einen kleinen Social-­Media-Hit. Der Witz funktioniert, weil ihr absurdes Salamibad nicht weit entfernt ist von ähnlichen Marketingkapriolen, die im vollen Ernst publiziert werden. Donna Adrienne folgen knapp 40 000 Menschen. Damit ist sie in der Welt der Influencer – zumindest bei Instagram – höchstens unterer Durchschnitt. Stars wie die 21jährige Pamela Reif kommen auf über drei Millionen Abonnenten. Der Übergang zur »echten« Prominenz ist fließend. Adrienne und Reif treten in Fernsehshows auf, schreiben Bücher und gehen auf Tour. Bei ihrer Zielgruppe im Teenageralter sind sie oftmals bekannter als so mancher ­B-Promi.

Nicht alle Internetstars machen Marketing, aber einige. An Klicks allein lässt sich nur verdienen, wenn es wirklich viele sind und Plattformen wie Youtube ihre Werbung vor dem Clip schalten. Profi-Influencer verkau­fen: Die zwei größten Sparten im Business – Beauty und Fitness – bieten sich da hervorragend an. Ein Urteil des Oberlandesgerichts Celle aus dem vergangenen Jahr stellte klar, dass offensichtliche Werbung deutlich gekennzeichnet werden muss. Im Urteil hieß es: Der Hashtag »#ad« für »advertisement« reicht unter Umständen nicht aus, um unlauteren Wettbewerb auszuschließen. Wann Werbung wirklich Werbung ist, lässt sich auf den Kanälen aber nicht so leicht ausmachen. Viele Youtuber und Instagrammer erzählen ein­­fach über ihren Alltag und binden ganz selbstverständlich Produkte darin ein. Nicht selten werden sie sogar explizit gefragt: Wie kriegst du dieses Make-up hin? Wo gibt es dieses Shirt?

Wann Werbung wirklich Werbung ist, lässt sich auf den Kanälen nicht so leicht ausmachen. Viele Youtuber und Instagrammer  erzählen ein­fach über ihren Alltag und bindenganz selbst­verständlich Produkte darin ein.

In den siebziger Jahren gruselte es den französischen Philosophen Jean Baudrillard vor der aufdringlich-intimen Art des Spätkapitalismus. »Mystik der Fürsorge« nannte er das Phänomen, dass einem jedes noch so profane Produkt als persönliche Zuwendung verkauft wird, vom »Lächeln der Hostessen und der Danksagung des Zigarettenautomaten bis hin zur tiefen Fürsorge der Politiker für das Wohl ihrer Mitbürger«. Einen Fürsorgekapitalismus wie jenem in der Welt der Influencer hätte sich Baudrillard vermutlich nicht vorstellen können. Nicht selten ist die Sprache der Protagonisten geronnener neoliberaler Duktus. Caroline Einhoff – Mitte 20, über eine Million Abonnenten – wiederholt ein Mantra, das bei vielen ihrer Kolleginnen ähnlich lautet: »Das Leben ist schön und ich versuche, es jeden Tag ma­ximal zu leben, weil wir nur ein Leben haben.« Wie das auszusehen hat, sein Leben maximal zu leben, wird dem Betrachter gleich mitgeliefert: Luxusurlaube, Designermode, Accessoires. Einhoff kooperiert mit einer Uhrenmarke.

Die Unternehmen selbst verzichten nach Außen manchmal auf den Ausdruck Influencer, sie stellen ihre Werbeträger aus Fleisch und Blut im Unternehmensprofil als »Ambassador«, zu deutsch »Botschafter«, vor.

Wer es zu solchem Rang gebracht hat, für den ist »Influencen« ein Vollzeitjob. So wird das Intimmarketing mittlerweile auch behandelt: Auf der Influencer-Akademie in Berlin können ambitionierte Selbstvermarkter lernen, wie sie ihre Reichweite vergrößern, sich besser verkaufen und Werbekunden gewinnen. Die Aka­demie wird von der Coachingfirma Ecomex betrieben. Für 1399 Euro bietet sie einen einwöchigen Kurs an, der mit dem Zertifikat »Influencer Pro« abgeschlossen werden kann. Wem das zu teuer ist oder wer nicht nach Berlin-Charlottenburg anreisen will, kann für 299 Euro aus der Ferne an einer ­Videokonferenz teilnehmen. Dafür gibt es dann aber auch nur ein Teilnahmezertifikat.

Innerhalb des Geschäftsfeldes sind diese Preise allerdings alles andere als hoch. Gemäß einer internationalen Befragung der Werbeagentur Jung von Matt verdienen Influencer mit einem Werbeposting durchschnittlich etwa 500 Dollar. Eine Mar­ketingplattform hat ermittelt, dass die Youtuberin Bianca »Bibi« Heinicke als eine der erfolgreichsten deutschen Influencerinnen über 20 000 Euro pro Post bekommt. Die 23jährige Caro Daur soll Gerüchten zufolge längst Millionärin sein. Die großen Fische im Geschäft schweigen sich über ihre Verdienste meist aus.

 

Das ist nicht verwunderlich, schließ­lich ist ihr Marktwert ihre Authen­tizität. Seit Beginn des Konsumkapi­talismus wurde Werbung immer authentischer gestaltet. Zunächst empfahlen Schauspielerinnen verkleidet als Hausfrau Putzmittel. Später wurden die Charaktere eindrücklicher: Prominente gaben ihren Namen und ihr Gesicht für ein Produkt her. Der Effekt verstärkte sich: Wenn der es kauft, kann es dann schlecht sein? Werber jagten nach dem ultimativen authentischen Moment, der bestenfalls so glaubhaft transportiert wird, als hätte tatsächlich ein guter Freund das Produkt empfohlen. Nach den Straßeninterviews der Marke Fielmann, die im Marketing-Sprech »Referenzkunden-Kampagne« heißen, ist Influencer-Marketing der vorläufige Höhepunkt dieser Entwicklung.

Der Schein von Authentizität bleibt nur so lange erhalten, wie die Betrachter nicht damit konfrontiert werden, dass sie eben doch nur schnöde Werbung sehen. Hinsichtlich der Kennzeichnungspflicht bewegen sich Influencer in einer Grauzone. Viele versehen ihre Postings mit einem Hin­weis darauf, dass es sich um eine Anzeige handelt – etwa dann, wenn ein Unternehmen sie explizit für ­einen Produkttest oder ein Shooting bezahlt hat. Kontrollieren kann das aber niemand. Aus einer weiteren Befragung der Marketing-Konferenz Inreach ging hervor, dass zehn Prozent der Influencer die Kennzeichnung für Werbung umgehen.

Die Dunkelziffer könnte deutlich höher liegen. Wer weiß schon, wann eine Influencerin etwas persönlich empfiehlt und wann sie dafür bezahlt wurde – und warum sollte sie nicht mögen lernen, was ihr Unternehmen zuschicken? Viele Spieletester auf Youtube werden beispielsweise für die Besprechung eines Game bezahlt. Darauf weisen sie dann in der Regel hin, rezensieren das Produkt aber dennoch in ihrem Stil – und schon ist der Werbehinweis vergessen und der freundschaftliche Ton hergestellt.

Die jungen Fans der Online-Protagonisten wünschen sich dieses Zuhause-Gefühl: Ein echter Mensch, der regelmäßig Dinge aus seinem täglichen Leben erzählt und mit dem man sogar interagieren kann, denn am Ende eines jeden Videos wird man aufgefordert: »Schreibt’s mir in die Kommentare!«

Wie die erfolgreiche Kundenbindung qua verkauftem Freundschaftsgefühl am besten gelingt, lernen die Akteure entweder über den Seismographen des Kontostands oder an der Influencer-Akademie. Den Unternehmen gefällt das und es sieht so aus, als sei Influencer-Marketing keine vorübergehende Erscheinung. Eine Studie der US-amerikanischen »Association of National Advertisers« gibt an, dass bereits drei Viertel der 158 befragten Marketer in US-Unternehmen Influencer in ihre Strategie miteinbeziehen, knapp die Hälfte möchte ihre Investitionen in diesem Feld zukünftig steigern.

Die Facebook-Seite »Perlen des Influencer-Marketings« sammelt die kuriosesten Blüten der Onlinevermarktung. Lächerlich wird ein Posting dann, wenn das Spannungsverhältnis zwischen warmherziger Intimität und instrumentellem Werbesprech allzu offensichtlich wird. Seiten wie diese zeigen, dass ein Bewusstsein für die Scheinwelt der Influencer exis­tiert. Donna Adrienne, die vorgeblich ironisch in Wurst badete, demaskierte ihre eigene Aufmerksamkeitsökonomie in einem anderen freizügigen Bild: »Nacktbilder sind immer der beste Weg für mehr Aufmerksamkeit«, schrieb sie und warb anschließend für die Anschaffung eines Organspendeausweises.

Es gibt durchaus einflussreiche ­Social-Media-Protagonisten, die nicht als Influencer tätig sind: zum Beispiel Netzfeministinnen, die sich gegen Sexismus aussprechen, oder solche, die ihre Follower über psy­chische Krankheiten, Süchte oder Verlust aufklären. Die wirklich großen Reichweiten schaffen aber meist nur die, die sich innerhalb der Markttauglichkeit bewegen. The revolution will not be influenced.