Auch in Deutschland werden Familien durch Abschiebungen auseinandergerissen

Familientrennung nach zweierlei Maß

Kommentar Von Daniel Steinmaier

Die Empörung in deutschen Medien über die Familientrennungen durch die US-amerikanische Grenzpolizei ist groß. Sie dient auch einer Verschiebung: Nicht Europa ist unmenschlich – die Amerikaner sind es.

Schafft es Angela Merkel nochmals, sich gegen Horst Seehofer durchzusetzen? Während die Auslandsberichtserstattung aus den USA herzzerreißende Bilder von in Käfigen sitzenden, von ihren Eltern getrennten Kindern zeigt, stellt die Inlandsberichterstattung die hiesige asylpolitische Debatte dar, als ginge es dabei vor allem um Seehofer und Merkel – und nicht um Flüchtlinge.

Bilder leidender Kinder aus dem EU-Lager Moria, das wie andere Elendslager an den EU-Außengrenzen dafür sorgen soll, dass es Flüchtlinge nicht nach Zentraleuropa schaffen, werden in deutschen Medien schon länger nicht mehr gezeigt. Es ist zwar bekannt, dass den Menschen, die die libysche Küstenwache auf Geheiß der EU aus dem Mittelmeer zurückholt, Folter, Vergewaltigung und Versklavung droht und dass türkische Grenzer auf syrische Flüchtlinge schießen, weil die Türkei aufgrund des EU-Türkei-Deals niemanden mehr reinlassen will. Aber im Unterschied zum Vorgehen der US-Grenz­polizei lässt sich die politische Verantwortung für diese Unmenschlichkeit delegieren, sie spielt sich nicht an deutschen Grenzen ab. Sind nicht auch viele Linke froh, dass es nicht mehr so viele Flüchtlinge nach Deutschland schaffen, und sei es nur aus der Hoffnung, sinkende Flüchtlingszahlen könnten den um sich greifenden rassistischen Furor noch besänftigen?

Also lieber mit Geschundenen mitfühlen, die anderer Leute Opfer sind. Nicht etwa mit den subsidiär Geschützten, denen der Deutsche Bundestag vergangene Woche endgültig den Rechtsanspruch auf Familiennachzug entzog. Sie stehen jetzt vor der Wahl, ent­weder zu ihren Kindern, Partnern oder Eltern in oft elende und manchmal lebensgefährliche Bedingungen zurückzukehren und ­damit der ganzen Familie die letzte Chance auf ein Leben in Sicherheit zu nehmen oder ihre Familien auf hochriskanten Flucht­routen illegal nachzuholen. Oder auf die seltene Gnade zu hoffen, als Härtefall anerkannt zu werden, noch bevor die Familie an der oft jahrelangen Trennung zerbricht. Auch wenn hier keine Grenzpolizisten Eltern von ihren Kinder separieren, das Ergebnis ist ­ähnlich und der Zweck identisch: Abschreckung.

Wenn hierzulande Familien durch Abschiebungen auseinandergerissen werden, hält sich die Aufregung in Grenzen. Vor kurzem versuchte eine bayerische Ausländerbehörde, eine schwangere Frau zwei Tage vor Beginn des Mutterschutzes nach Italien abzuschieben, nahm sie in Abschiebehaft, trennte sie dabei von ihrem Partner ­sowie von ihrem fünfjährigem Sohn, der vom Jugendamt in Obhut genommen wurde. Das ist nicht die übliche Praxis, sondern ein ­besonders krasser Fall, aber allein schon aufgrund des rassistischen Klimas mehren sich solche Geschichten.

Wenn sich Bundesinnenminister Seehofer mit seiner rechtlich zweifelhaften wie schwer umsetzbaren Vorstellung durchsetzt, dass die Bundespolizei Schutzsuchende systematisch an der Grenze zurückweist, dürften weitere Unmenschlichkeiten die Folge sein. Wie solche Zurückweisungen praktisch funktionieren sollen, ohne Geflüchtete einzusperren, ist offen. Und damit auch, ob Eltern dann von ihren Kindern getrennt oder mit ihnen eingesperrt würden.

Dass es dann auch in Deutschland zu einem vergleichbar ­großen Aufschrei wie im Falle der Debatte um die Familientrennungen in den USA käme, darf man kaum hoffen. Gründe für solche Empörung gäbe es in Deutschland und Europa längst genug.