Homöopathie lag lange Zeit im Trend, doch die Umsätze gehen zurück

Globuli und getrocknetes Maulwurfsfell

Kündigt sich ein Ende des Homöopathie-Trends an? Die Umsätze der wirkungslosen Pseudoarzneimittel gehen zurück. Doch noch immer schreiben viele Menschen ihnen große Heilkraft zu.

Haarausfall ist ein unangenehmes Problem. Die meisten Menschen sehen mit ein paar Haaren mehr auf dem Kopf besser aus und die Pharmaindustrie forscht seit Jahrzehnten, um ein Medikament gegen den Kahlkopf zu finden. Aber zum Glück gibt es unseren alten Freund, den Maulwurf. Im tschechischen Zeichentrickfilm haben ihn alle geliebt, nun soll er dafür sorgen, dass die Haare wieder sprießen.

Bei der »Deutschen Homöopathie-Union« ist er beispielsweise als »Wirkstoff Pel talpae« aufgelistet, »deutsche Bezeichnung: Maulwurf«. Er bestehe aus dem Material »getrocknetes Fell«. Die Herstellung dürfte recht einfach sein, funktionieren müsste sie ungefähr so: Man nimmt einen Maulwurf und bringt ihn um. Dann entnimmt man dem toten Tier etwas Haut und mischt sie mit der zehnfachen Menge einer Lösung aus Magnesiumstearat und Weizenstärke. Die Flasche, in der die Mischung drin ist, haut man auf einen Tisch. Dann entnimmt man etwas von der Flüssigkeit, fügt wieder die zehn­fache Menge Wasser, Magnesiumstearat und Weizenstärke hinzu, haut sie wieder auf den Tisch und wiederholt diese Prozedur weitere vier Male. Was dann herauskommt, ist ein Medikament mit der Potenz D-6, und weil sich noch Spuren von dem kleinen Maulwurf darin befinden, ist es ein schwaches Medikament. Harter Stoff würde es erst, wenn man es 50 000 Mal verdünnen würde. Dann sind keine Reste vom Nager mehr enthalten. Klingt nach Unsinn? Ist es auch, und dieser Unsinn hat einen Namen: Homöopathie.

Die Homöopathie wurde um den Beginn des 19. Jahrhunderts von dem sächsischen Arzt Samuel Hahnemann erdacht. Die Medizin war damals weit davon entfernt, eine Wissenschaft nach modernen Maßstäben zu sein. Ärzte der damaligen Zeit glaubten an die heilende Kraft von Gebeten und die Theorie der vier Säfte, deren Gleichgewicht für die Gesundheit der Menschen entscheidend sei.

Bakterien und Viren waren noch nicht entdeckt – entscheidendes Grundwissen fehlte. Entsprechend sahen auch die Thera­pien aus, die den jungen Arzt Hahnemann abstießen und die die Patienten oft nicht überlebten: Aderlässe waren auch bei Verletzungen mit starken ­Blutungen beliebt, den Patienten wurde Quecksilber eingeflößt und Wunden wurden ausgebrannt – zum Teil mit siedendem Öl.

Hahnemann erdachte neue medizinische Methoden und probierte sie an sich selbst aus. Dass er dabei genau aufzeichnete, wie seine Therapie auf ihn wirkte, war neu und ein erster Schritt in Richtung Wissenschaft. Seine wichtigste Idee war allerdings so hanebüchen wie fast alles, was sich Mediziner ­seinerzeit ausdachten: Hahnemann glaubte an das Ähnlichkeitsprinzip. Er wollte Fieber mit Medikamenten ­bekämpfen, die Fieber auslösten, verdünnte sie dann aber so stark, dass der ursprüngliche Stoff kaum oder gar nicht mehr nachweisbar war. Hahnemann vertraute weniger auf den Wirkstoff als auf eine »spezifische Arzneikraft«, die stärker sei, je höher die Verdünnung ist. In den Globuli genannten Zuckerkügelchen, einer beliebten Darreichungsform homöopathische ­Mittel, ist also kein nachweisbarer Wirkstoff mehr, sie bestehen sozusagen aus reinem Glauben der Patienten. Die Homöopathie steht im Widerspruch zu allen naturwissenschaftlichen Erkenntnissen.

Trotzdem war Hahnemann zu Anfang erfolgreicher als andere Ärzte. Er verzichtete auf die sinnlose Quälerei seiner Patienten, ließ sich Zeit für Gespräche, legte Wert auf frische Luft und sauberes Wasser und gab ihnen Medikamente, die zwar nicht wirkten, aber immerhin auch nicht schadeten.

In einer Zeit, in der Medizin mehr Schamanentum als Wissenschaft war, war das nicht das Schlechteste. Aber Hahnemanns Nachfolger hielten an dem Gedankengebäude noch fest, als der medizinische Fortschritt sich ab Mitte des 19. Jahrhunderts beschleunigte und Antibiotika, verbesserte Operationsmethoden und Schmerzmittel den Ärzten immer bessere Behandlungsmöglichkeiten eröffneten. Mit jeder wissenschaftlichen Entdeckung, mit jedem Fortschritt wurde der obskure Charakter der Homöopathie deutlicher. Was blieb, war allein der Placeboeffekt.

Medizinisch gesehen gab und gibt es keine Notwendigkeit für homöopa­thische Mittel. Nicht umsonst steht auf ihnen »Registriertes homöopathisches Arzneimittel, daher ohne Angabe einer therapeutischen Indikation«. Es ist untersagt, diese Kügelchen und Tinkturen als Medikamente gegen Kopfschmerzen, Entzündungen oder gar ­Tumore zu bewerben, denn ihre Wirksamkeit wurde nicht, wie bei konven­tionellen Medikamenten, in Versuchen und Testreihen belegt. Sie benötigen keinen Wirksamkeitsnachweis, und da sie keinen oder nur sehr wenig Wirkstoff enthalten, ist es auch egal, was auf der Packung steht. Die Namen der wirkungslosen Medikamente sind reines Marketing.

In Hunderten Studien konnte nie eine Wirkung homöopathischer Mittel belegt werden, die über den Placebo­effekt hinausging. Trotzdem bekommt man sie nur in Apotheken. Auch das ist reines Marketing: Es gibt keinen Grund, etwas ohne Wirkstoff nur in Apotheken zu verkaufen. Homöopathische Mittel könnte es an jedem Kiosk geben neben Lakritzen und Kaugummis. Die Apothekenpflicht, die der Homöopathielobby so wichtig ist, verleiht den Zuckerkügelchen die Aura von Medikamenten. Auch dass fast alle Krankenkassen mittlerweile den Besuch beim Kügelchendoktor finanzieren, erhebt die Wirrlehre nur scheinbar auf eine Stufe mit der medizinischen Wissenschaft.

 

Für die Krankenkasse ist Homöopathie schlicht ein Mittel, um Kunden zu werben: Die Kosten sind überschaubar, die Anhänger der Homöopathie überdurchschnittlich gesundheitsbewusst und daher auch weniger teuer als ­andere Versicherte. Dann ist da noch das Tonnendenken: Viele Kunden ­suchen sich ihre Krankenkasse nach der Größe des Angebots aus und ­achten nicht auf dessen Sinnhaftigkeit.

Homöopathie macht sich da gut, um ­Kunden zu ködern. Es ist wie bei den SUVs. Niemand braucht einen Geländewagen, um zum Supermarkt zu fahren, aber zu wissen, man könnte, wenn man wollte, mit ihm auch die Sahara durchqueren, gibt ein gutes Gefühl.

Robert Jütte ist Leiter des Instituts für Geschichte der Medizin der Robert-Bosch-Stiftung. Er sieht weitere Gründe, warum Homöopathie nach wie vor in Mode ist. »Nicht nur in Deutschland, sondern auch weltweit zeigen Umfragen, dass Patienten mit der Homöopathie zufrieden sind und mehr Wert auf positive Erfahrungsberichte legen als auf wissenschaftliche Forschung, die zum großen Teil von der Pharmaindustrie gesponsert wird«, sagte er der Jungle World. »Außerdem lassen die Fortschritte der Medizin, insbesondere im Bereich der chronischen Erkrankungen, noch zu wünschen übrig ist, was die Offenheit der Patienten für Alternativen erklärt.« Dabei ist klar: Indivi­duelle Erfahrungen für sich genommen besitzen keine wissenschaftliche Aussagekraft.

Natalie Grams hat jahrelang als Ärztin und Homöopathin gearbeitet. Dann brach sie mit der Glaubensmedizin und schockierte die Zuckerkügelchenszene mit ihrem 2015 erschienenen Buch »Homöopathie – neu gedacht«, in dem sie die Homöopathie als Irrlehre entlarvte. Sie betreibt das »Informationsnetzwerk Homöopathie« und gehört zu den schärfsten Kritikern der Lehren Hahne­manns. Selbst die enge Bindung zwischen homöopathischem Arzt und Patient – Homöopathen bekommen von den Krankenkassen längere Gesprächszeiten finanziert als Ärzte – betrachtet sie mittlerweile kritisch.

Der Jungle World sagte sie: »Früher sah ich die Zeit und die intensive Zuwendung von ­Homöopathie zu ihren Patienten durchweg positiv. Heute sehe ich ein, dass hier auch Manipulation und patriarchalische Entscheidungen passieren. Was der Homöopath sagt, muss getan werden, sonst ist der Patienten nachher noch selbst schuld, wenn es nicht besser wird. Da ist viel Druck da. Und auch viel Küchenpsychologie.« Wenn sie als Ärztin bei einer bakteriellen Blasen­entzündung viel Zeit für ihren Patienten aufwende, nachher aber kein Anti­biotikum verschreibe, das die Bakterien abtötet, habe sie ihre Zeit nicht gut ­genutzt. Mehr Zeit zum Reden allein helfe nicht: »Normale Ärzte müssten erst besser in Gesprächskompetenz ausgebildet werden, um mehr Zeit auch besser nutzen zu können. Allerdings bräuchte es dann auch andere Praxisstrukturen, denn wer versorgt die anderen Patienten, während sich der Arzt für einen Zeit nimmt? Letztlich sind Empathie und Menschlichkeit wohl auch keine Frage der Zeit.«

Nicht nur Ärzte wie Grams sind skeptisch geworden, auch bei Patienten wächst das Misstrauen: Die Umsätze homöopathischer Mittel sind 2017 in den Apotheken um zehn Prozent zurückgegangen. Der Münsteraner Kreis, ein Zusammenschluss von Medizinern und Medizinerinnen, bezeichnete im vergangenen Jahr die Homöopathie als eine unwissenschaftliche Heilslehre und forderte die Streichung des Begriffes Homöopathie im Zusammenhang mit der Berufsbezeichnung Arzt.

Grams warnt jedoch vor zu großen Hoffnungen auf ein Ende des Homöopathietrends: »Wir dürfen hier nicht den beliebten Denkfehler der Homöopathie machen und Korrelation mit Kausalität verwechseln.

Vielleicht sinken die Umsätze mit Homöopathie ­einfach nur zufällig oder weil nach dem langen Aufwärtstrend natürlicher­weise ein Absinken kommen muss. Tatsache ist aber auch, dass die Homöopathie in den letzten drei Jahren zunehmend kritisch besprochen wurde – und das kommt bestimmt bei den Menschen an. Wir müssen beobachten, ob wirklich eine Trendwende beginnt.«