Riot-Grrrl Kathleen Hanna wird 50

Die radikalen Möglichkeiten der Lust

Bikini Kill, Le Tigre, The Julie Ruin und vieles mehr: Zum 50. Geburtstag von Kathleen Hanna.

Kathleen Hanna hat es stets abgelehnt, als Sprecherin der Riot-Grrrl-Bewegung tituliert zu werden. Diese revolutionierte zu Beginn der neunziger Jahre zunächst den Punk, um später solch einen Einfluss auf die nachfolgende Generation von Mädchen, Frauen und auch Männern auszuüben, dass sie zu Recht als entscheidenden Wegmarke der jüngeren Geschichte des Feminismus gilt. Gleichwohl wird kein Porträt der ehemaligen Sängerin der Band Bikini Kill eine personalisierende Bestandsaufnahme ebenjener Bewegung aussparen können, weil es Hannas persönlicher Einsatz, ihre beharrlichen Anstrengungen und ihre künstlerischen Leistungen waren, die mit zum kollektiven Erfolg beitrugen, der den Namen »Riot Grrrl« trägt.

Was 1991 unter dieser Bezeichnung seinen Anfang nahm, begann zunächst als Aufstand gegen die unverhohlene Misogynie und den handfesten Sexismus, der in Punk- und Hardcore-Kreisen üblich war. Frauen, die sich in den Moshpit wagten, wurden oftmals begrapscht. Die verrohten Fraktionen besangen schamlos die Entwertung des weiblichen Geschlechts, womit vordergründig Eltern, Gesellschaft oder Staat provoziert werden sollten. Obwohl diese taktische Brüskierung regelmäßig frauenverachtend wurde, konnte sie jahrelang weitgehend unwidersprochen als trotzige Geste durchgehen. Die zugehörigen Szenen waren bei allem rebellischen Selbstverständnis von Männern beherrscht, und der Anspruch auf Dominanz reichte von penetrant-derbem, oft übergriffigem Verhalten bei Konzerten bis ins Alltägliche: Musiknerds, die das notwen­dige Wissen besaßen, waren über das Bespielen von Mixtapes (die in der Prä-Internet-Ära ein wichtiger Informationskanal waren) beispielsweise in der Lage, Auskunft über lange vergessene Vorgängerinnen in der ­eigenen Musiktradition zu geben – was sie aber an joviale Machtspiele zu binden vermochten.

Der Widerstand dagegen, aufgrund des Geschlechts von denjenigen als minderwertig behandelt zu werden, die doch für sich reklamierten, für eine bessere Welt zu sein, räumte gründlich mit dem Mythos auf, dass eine auf radikale Opposition zu den gesellschaftlichen Zwängen bedachte Subkultur automatisch das Zwischenmenschliche revolutioniere. Riot Grrrl war im Umfeld des Evergreen State College in Olympia, Washington, entstanden, einer in antiautoritärer Tradition stehenden Liberal-Arts-Hochschule; die Stadt hatte mit K Records, dem in den frühen achtziger Jahren gegründeten Indie-Label von Calvin Johnson (Beat Happening), zudem eine musikalische Institution mit gefestigter Underground-Ethik vorzuweisen. Beides sollte sich prägend auf das auswirken, was nun als musikalischer wie politischer Einspruch sich Bahn brach. Just als Grunge zum unangefochtenen Gitarrengenre Nummer eins mit Millionenpublikum rund um den Globus avancierte und der Legende von der Unentwirrbarkeit von Rock ’n’ Roll und Maskulinität ein weiteres Kapitel zufügte, probte – ebenfalls im Nordwesten der USA – eine Handvoll ­autodidaktischer Musikerinnen, die zumeist soeben das College absolviert hatten, den Aufstand, indem sie Feminismus durch Punk vermittelten: zunächst sich selbst, dann ihren Freundinnen wie Bekannten und schließlich all jenen, die es ebenfalls zu Veränderung drängte. Sie praktizierten damit das, was ihnen bislang nur in Büchern untergekommen war, und gaben ihren Ideen eine Sprache, die ihnen zur direkten Verbesserung ihrer Lebenssituation verhalf. Die im unmittelbaren Umfeld der strikt antikommerziellen Bewegung entstandenen Bands, allesamt vom in Olympia ansässigen Label Kill Rock Stars verlegt, waren Bikini Kill, Bratmobile und Heavens to Betsy.

Hannas Stimme war mal quietschig, mal konfrontativ, arbeitete aber stets mit dem Femininen als Herausforderung, was durch die prägnanten und vor den Kopf stoßenden Lyrics verstärkt wurde.

Das Riot-Grrrl-Manifest, das der Entwertung durch die Familie, die Gesellschaft sowie durch das eigene kulturelle Milieu ein Plädoyer für Selbstachtung entgegensetzte, zirkulierte bald in den gesamten Ver­einigten Staaten. Im ganzen Land gründeten sich Riot-Grrrl-Ableger, in denen sich junge Frauen – oft zum ersten Mal in ihrem Leben – mit anderen über erfahrene Gewalt austauschen und sich mit Musikinstrumenten oder der Geschichte der Frauenemanzipation vertraut machen konnten. Dass Mädchen eine »revolutionary soul force« bildeten, welche die Welt zu verändern im Stande sei, wie es im Manifest heißt, war bald keine bloße Verheißung mehr. Es entstand die Möglichkeit, auf bislang unbekannte Weise individuell und kollektiv politisch zu handeln. Zu ­einer ähnlichen kulturellen Dynamik kam es auch in Großbritannien, wo in zahlreichen Städten Riot-Grrrl-­Dependancen entstanden und mit Huggy Bear, Pussycat Trash und Skinned Teen einige der bekanntesten Bands jener Ära gegründet wurden. Dass sich die Bewegung auf diese beiden Länder konzentrierte, lag an der geteilten Punk-Tradition und der bereits bestehenden Infrastruktur, ist aber auch auf einen gewissen US-amerikanischen und britischen ­Esprit zurückzuführen, der dem Neuen und dem Wagnis mit weniger ­Vorbehalten begegnet, als es andernorts der Fall ist.

Den Impetus, eine Band zu gründen, hatte die am Evergreen-College Photographie studierende Kathleen Hanna von Kathy Acker erhalten. Nach einem Spoken-Word-Workshop habe die Schriftstellerin die Nachwuchsautorin gefragt, weshalb sie schreibe, worauf Hanna antwortete, dass sie viel zu sagen habe und gehört werden wolle. Acker habe sie daraufhin aufgefordert, besser in einer Band zu sein, als sich ans Papier zu halten. Nach zwei kurzlebigen anderen Versuchen gründete sie mit Tobi Vail und Kathi Wilcox im Herbst 1990 Bikini Kill und veröffentlichte ein gleichnamiges Fanzine. Das Trio wurde bald um Billy Karren erweitert; die vier spielten bis 1997 zusammen. Hanna war für den Gesang, bisweilen auch für den Bass zuständig. Ihre Stimme war mal quietschig, mal konfron­tativ, arbeitete aber stets mit dem Femininen als Herausforderung, was durch die prägnanten und teils – für Punks wie für Nicht-Punks – vor den Kopf stoßenden Lyrics verstärkt wurde. Neben der Verarbeitung von sexuellem Missbrauch fand sich dort wiederholt die radikale Affirmation der eigenen Lust. Wiederkehrende Motive waren die umkämpfte Begehrlichkeit des eigenen Körpers und die Freude am Sex. »Let’s wipe our cum on my parent’s bed«, lautet die letzte Zeile aus dem Song »New Radio«, und ein anderes Lied war mit »I Like Fucking« betitelt. So rechnete die Band auf heitere Weise mit bewegungsimmanenter Prüderie ab und vermied es, die falschen politischen Schlüsse zu ziehen, wie es bei manchen aus einer Beschäftigung mit den grausamen Aspekten der Realität resultierte. »Sometimes being happy, baby, is what l am most ­afraid of«, heißt es in dem Song, und weiter: »Just cuz my world, sweet ­sister, is so fucking goddamn full of rape – does that mean my body must always be a source of pain? No. No. No.«

Neben Bikini Kill war Hanna mit einigen anderen Projekten befasst. Mit Tim Green, dem Gitarristen der damals gerade aufgelösten Band The Nation of Ulysses, gründete sie 1993 The Fakes, eine Band, die ein mit anderen Musikerinnen und Musikern eingespieltes – und angeblich an »Tommy« von The Who angelehntes – Konzeptalbum mit dem Titel »Real Fiction« vorlegte, das auf Donna Dreschs (Team Dresch) Label Chainsaw Records erschien und neben einigen Punk-Krachern auch einen ­Spoken-Word-Schocker über Missbrauch beinhaltete.

 

Zwar fällt Riot Grrrl chronologisch in die sogenannte Dritte Welle des Feminismus, gleichwohl unterschied sich diese Bewegung in ihrer festen Affirmation des DIY-Gedankens, dem strikten Antikommerzialismus und dem ungeduldigen Verwerfen hochtrabenden Hoffens auf Veränderung im Symbolischen grundlegend von der zeitgenössischen Anhängerschaft der Performativitätstheorie Judith Butlers, die Geschlecht als ­reines Resultat von Sprechakten verstehen. Diese Strömung sollte an den Hochschulen Einfluss gewinnen, im Verlauf der Neunziger dann ­absolute Dominanz in der feministischen Debatte erlangen und bis in die Gegenwart wesentlich bestimmen, was als Geschlecht gilt. An Kathleen Hannas Referenzen lässt sich diese Differenz in Anspruch und Vor­gehen gut aufzeigen. Ihre erste bewegungsinterne Bezugsgröße war, wie sie oftmals anekdotisch berichtet hat, die Demokratin, Juristin und Zionistin Bella Abzug, die sie einst als Neunjährige auf einer Demonstration hatte vortragen hören, zu der ihre sie Mutter mitgenommen hatte. In der Jugend kam sie über »Le Deuxième Sexe« von Simone de Beauvoir zum Feminismus. Zu Zeiten von ­Bikini Kill nannte sie Julia Kristeva als theoretische Inspiration, während Le Tigre den Songtitel »Fifty Years of Ridicule« Shulamith Fire­stones »Dialectic of Sex« entlehnten. Politischer Pragmatismus, das ­Wissen um die Schubkraft des Libidinösen und Kunst gingen bei Hanna stets blendend zusammen.

Emma Goldmans ­berühmtes Diktum, dass sich eine Revolution daran bemessen lasse, ob sie tanzbar sei, war hier Programm. Die ostentative Freude daran, zu ­unterhalten, war dem Anspruch nicht abträglich. Was zuvor schon bei Riot Grrrl Arbeitsprinzip gewesen war – Frauen die Angst vor vermeintlich »männlichen« Instrumenten zu nehmen, Wissen weiterzugeben, Freundschaften zu pflegen und im Experimentellen eine Chance zu ­sehen –, wurde von Le Tigre erfolgreich erneut angewandt

Sie und ihre Mitstreiterinnen hatten jahrelang gegen eine Wand aus Vorurteilen und Häme anzukämpfen. Zu den dümmsten Klischees, die schon früh über Riot Grrrl zirkulierten, zählt jenes einen antifeminis­tischen Klassiker wiederholende Ressentiment, dass es sich um eine männerfeindliche Bewegung handle. Unter umgekehrten Vorzeichen ­findet sich das heutzutage in der stereotypisierten Verachtung des »weißen, heterosexuellen Cis-Manns« wieder, jedoch fällt die Anhängerschaft dieser Formel weit hinter das von Riot Grrrl Geleistete zurück. Mit dem ­einen wie dem anderen Vorbehalt wird unter anderem die Rolle von Musikern und Sängern in den entsprechenden Bands (Bikini Kill, Huggy Bear, Pussycat Trash) unterschlagen. Dass die Revolte von ­Anfang an von Männern unterstützt worden ist, bleibt, was das historische Gesamtbild anbelangt, zwar ein Randaspekt, ist aber nicht nur ­gegenüber den Verleumdern von Riot Grrrl hervorzuheben. Ob als befreundete Band, wie im Falle der mit Bikini Kill tourenden Nation of Ulysses, ob als Labelbetreiber (wie Slim Moon, Kill Rock Stars; Gary Walker, Wiiija; Ian MacKaye, Dischord) oder als Produzenten (wie Tim Green und John Goodmanson): Auch Männer lernten aus der Sache und unterstützten das feministische Anliegen, wo sie konnten. Zahlreiche Songs aus der Riot-Grrrl-Ära würden heutzutage zudem wohl mit Triggerwarnungen versehen – weil sie erlittene Gewalt offen thematisierten oder sich zu ironisch gaben und vor allem zu kritisch über andere herzogen. Die von Riot Grrrl geäußerte scharfe Ablehnung des Indie-Business nahm Frauen nicht aus, und besonders herb wird für viele der Umstand gewesen sein, dass die Einwände auch gegen andere Musikerinnen gerichtet wurden. Tanya Donelly durfte sich im Song »Li’l Mommy« von The Fakes anhören, dass ihre Band Belly »fucking boring« sei, und einer ganzen Reihe weiterer Protagonistinnen erging es nicht besser. Courtney Love, damals Sängerin von Hole und bereits selbst für Seitenhiebe ­bekannt, antwortete dafür 1993 mit »20 Years in the Dakota«, einem Song über die auch von Kathleen Hanna verehrte Yoko Ono: »Riot grrrls, think you can stop me? / You’re forever in her debt / I know you haven’t saved me / And you haven’t saved her yet.«

Spätestens 1994 war die Aufbruchphase vorüber. Die Bezeichnung »Riot Grrrl« war längst zum Stigma verkommen. Als in diesem Jahr die ersten beiden EPs von Bikini Kill auf CD wiederveröffentlicht wurden, betonte die Drummerin Tobi Vail in den Liner Notes, dass sich die Gruppe nie als »Riot-Grrrl-Band« bezeichnet habe, als welche sie medial längst ­firmierte. Innere Widersprüche, aufkommende Leidensolympiaden – etwa hinsichtlich der Frage, wessen Missbrauch schlimmer war –, aber auch äußerer Druck durch sensationslüsterne Medien, die sich bisweilen nicht scheuten, für ein kleines Leserinnenpublikum verfasste Aufarbeitungen sexueller Gewalterfahrungen aus Fanzines voyeuristisch aufzu­bereiten, sowie die nicht enden wollende Gewalt auf Konzerten, die sich vom feministischen Einspruch gar noch weiter provoziert gab, trugen zum Zerfall bei.

Als Riot Grrrl Mitte der neunziger Jahre als Be­wegung tot war, schlug sich dies auch musikalisch in einer überaus düsteren Wendung nieder. »Real Fiction« von The Fakes, »Weaponry Listens to Love« von Huggy Bear oder auch das erste, selbstbetitelte Album von ­Sleater-Kinney, das zu Unrecht im Schatten seiner Nachfolger steht, ­legen davon Zeugnis ab. Diejenigen, die diese Phase überstanden, legten dafür alsbald erheblich an Professionalität zu. Im Frühjahr 1996 waren es gleich drei Bands, die ihr jeweils zweites Album präsentierten: Bikini Kill mit »Reject All American«, Team Dresch mit »Captain, my Captain« und Sleater-Kinney mit »Call the Doctor«. Von diesen konnten sich einzig letztere als musikalische Instanz ­etablieren, um zu einer von Kritikern wertgeschätzten Größe heranzuwachsen.

Bikini Kill lösten sich derweil auf, Kathleen Hanna veröffentlichte 1998 unter dem Namen Julie Ruin ein ­Soloalbum und verließ den Pacific Northwest, um nach New York zu ­ziehen. Dort gründete sie gemeinsam mit Sadie Benning (die später durch JD Samson ersetzt wurde) und Johanna Fateman Le Tigre, jenes Elektro-Trio, das zum Ende des 20. Jahrhunderts Feminismus auf den Dance­floor beförderte, ohne ihn einer Popularisierung zu unterziehen, die ­inhaltlicher Verflachung gleichkäme. Im Gegenteil: Emma Goldmans ­berühmtes Diktum, dass sich eine Revolution daran bemessen lasse, ob sie tanzbar sei, war hier Programm. Die ostentative Freude daran, zu ­unterhalten, war dem Anspruch nicht abträglich. Was zuvor schon bei Riot Grrrl Arbeitsprinzip gewesen war – Frauen die Angst vor vermeintlich »männlichen« Instrumenten zu nehmen, Wissen weiterzugeben, Freundschaften zu pflegen und im Experimentellen eine Chance zu ­sehen –, wurde von Le Tigre erfolgreich erneut angewandt und in einer genresprengenden Kombination von Digitalem und Gitarrenriffs zusammengefügt. Die Band veröffentlichte bis 2004 drei Alben und nahm sich dann eine andauernde Auszeit. In dieser wurde bei Kathleen Hanna Lyme-Borreliose diagnostiziert, eine Krankheit, wegen der sie musikalische Projekte für einige Jahre unterlassen musste und sich aus der ­Öffentlichkeit zurückzog. Als es ihr besser ging und sie erneut zu Auftritten fähig war, transformierte sie das ursprüngliche Julie-Ruin-Konzept und machte daraus 2010 eine neue Band, in der sie seither unter anderem mit ihrer früheren Bikini-Kill-Kollegin Kathi Wilcox spielt; bislang sind zwei Alben erschienen. ­Zuletzt war Hanna gemeinsam mit ihrer frühen Weggefährtin Allison Wolfe (Bratmobile) im Video zum Song »77« der Punklegende Alice Bag zu sehen.

Die Lektion, die Riot Grrrl in den frühen neunziger Jahren vermittelte, hat nicht an Gültigkeit verloren: Um eine Revolte von erheblicher Reichweite loszutreten, braucht es manchmal nur wenige couragierte Individuen, die einzig auf sich selbst vertrauen. Ein solches war und ist Kathleen Hanna. Sie feiert dieser Tage ihren 50. Geburtstag. An die Devise, die sie bereits vor fast einem Vierteljahrhundert ausgegeben hat – »I ­believe in the radical possibilities of pleasure, babe« –, lohnt es sich schon deshalb zu erinnern, weil etwa dem von drögen Gesten geprägten, längst selbst normierend wirkenden akademischen Jargon, der die Begriffe »gender« und »queer« sinnentleert und zugleich Provokation und Herausforderung zu rhetorischen Akten erklärt hat, gegenwärtig so wenig Substantielles entgegengehalten wird. Für ihr Lebenswerk, das schon jetzt weit mehr umfasst als den Gesang in Bikini Kill, Le Tigre und The Julie Ruin, kann man Kathleen Hanna nur dankbar sein.