Der Finnentag in Hohenlockstedt geht unkritisch mit der Geschichte der deutsch-finnischen Waffenbrüderschaft um

Ein Kraftakt für die Jäger

Am Finnentag gedenkt man im schleswig-holsteinischen Hohenlock­stedt alljährlich der »Jäger«, seit 1915 in Deutschland ausgebildeter finnischer Soldaten, und der »Waffenbrüderschaft« zwischen beiden Ländern. Eine kritische Auseinandersetzung mit der Rolle der Jäger bei der Nieder­schlagung des revolutionären Aufstands in Finnland und der deutsch-finnischen Zusammenarbeit im Zweiten Weltkrieg ist nicht gefragt.

In der schleswig-holsteinischen Gemeinde Hohenlockstedt, nahe Itzehoe, findet im Ehrenhain an der Finnischen Allee alljährlich im Februar der »Finnentag« statt. Neben Denkmälern für die Gefallenen des Ersten und Zweiten Weltkriegs und dem Gedenkstein für die Toten von Flucht und Vertreibung steht im Ehrenhain ein weiterer Gedenkstein. Er erinnert an eine Episode der Geschichte, die für Deutschland beziehungsweise das Deutsche Reich zunächst eher nebensächlich war, in Finnland jedoch als entscheidend für den Kampf um die staatliche Unabhängigkeit gilt. Denn in Hohenlockstedt nahm die finnische »Jägerbewegung« ihren Ausgang. Jedes Jahr versammeln sich ehemalige und aktive Soldaten aus Finnland und Deutschland, führende Lokalpolitiker und hohe Gäste wie die finnische Botschafterin und leitende Generäle der Bundeswehr, um am Denkmal für die finnischen Jäger einer mittlerweile 104jährigen Geschichte zu gedenken.

Die Geschichte der »Finnischen Jäger«, die bis heute in Finnland für ihren Einsatz für die Unabhängigkeit des Landes gefeiert werden, beginnt während des Ersten Weltkriegs. Finnland war damals, im Jahre 1915, bereits seit über 100 Jahren von Russland okkupiert und als Großfürstentum Finnland dem Russischen Reich einverleibt worden. In der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts entstand eine Unabhängigkeitsbewegung. Der Erste Weltkrieg bot die Chance, die staatliche Unabhängigkeit durchzusetzen. Dazu aber bedurfte es eigener Streitkräfte.

Brigadegeneral Andreas Hanne­mann spricht von einem »Lehrstück, welche Bedeutung militärische Traditionspflege« habe.

Finnische Studenten suchten eine Möglichkeit, sich als Soldaten ausbilden zu lassen. Während die skandinavischen Länder wegen ihrer Neutralität im Krieg sofort abwinkten, zeigte sich das Deutsche Reich interessiert, denn man brauchte Verbündete im Kampf gegen Russland. Im Februar 1915 trafen die ersten finnischen Freiwilligen ein, um sich vom kaiserlichen Militär zu Soldaten ausbilden zu lassen.

Damals war die Landgemeinde Lockstedter Lager eine einzige große Kaserne der deutschen Reichswehr. Gegründet 1872 als Übungsplatz der preußischen Armee, erreichte es im Ersten Weltkrieg mit 18 000 stationierten Soldaten seine größte Ausdehnung. In der Weimarer Zeit war das Lockstedter Lager Sammelpunkt vieler Rechtsextremer, unter anderem der schleswig-holsteinischen SA. Die Umbenennung des Ortes in Hohenlockstedt erfolgte erst in den fünfziger Jahren, zuvor war er bis 1945 ein wichtiger Ausbildungsort – zunächst für die Reichswehr, später für die Wehrmacht.

Insgesamt wurden im Lockstedter Lager etwa 2 000 Finnen in verschiedenen militärischen Bereichen ausgebildet, um zunächst 1916/1917 als Königlich Preußisches Jägerbataillon 27 zusammen mit der Reichswehr an der Ostfront eingesetzt zu werden. Deutsche Berichte erwähnen die Tapferkeit der finnischen Soldaten im Kampf gegen russische Truppen. Zu Beginn des Jahres 1918 wurden sie von der deutschen Armee freigestellt, kehrten nach Finnland zurück und griffen aktiv in den Bürgerkrieg zwischen »Roten« und »Weißen« ein, der nach der Erklärung der Unabhängigkeit 1917 in Finnland ausgebrochen war. Das Gros kämpfte auf der Seite der »Weißen«, aber einige wenige schlossen sich auch den revo­lutionären roten Arbeiterarmeen an, die sich am Vorbild der Russischen Revo­lution orientierten.

Der Bürgerkrieg endete Anfang Mai 1918 mit dem Sieg der »Weißen«, die die »Roten« internierten. Viele gefangene Angehörige der revo­lutionären Arbeiterschaft starben in den Lagern an Krankheiten. Der Sieg war auch mit Unterstützung deutscher Truppen gewonnen worden, die von Süden gegen die Aufständischen vorrückten. Kurzzeitig wurde Finnland von einem deutschen ­Adligen regiert, Friedrich Karl von Hessen, dessen Position jedoch nach der Novemberrevolution in Deutschland und der Abdankung Kaiser Wilhelms II. unhaltbar wurde, so dass er im Dezember 1918 auf den Thron verzichtete.

Die Jäger bildeten nach dem Bürgerkrieg für den jungen finnischen Staat eine Art Keimzelle der Armee. Stolz verweisen die Veteranen darauf, dass über 50 Generäle aus den ersten Jägern hervorgingen und diese die Geschicke der finnischen Armee bis in die fünfziger Jahre maßgeblich bestimmten. Sie spielten auch eine wichtige Rolle im russisch-finnischen Winterkrieg 1939/1940, in dem in Finnland »Fortsetzungskrieg« genannten Kampf gegen die Sowjetunion in den Jahren 1941 bis 1944 und 1944 bis 1945 in Lappland – und kämpften teilweise an der Seite der deutschen Wehrmacht.

Am Finnentag gedenkt man der Jäger durchweg positiv. Sie werden für ihren Beitrag zur finnischen Unabhängigkeit von Russland geehrt. »Das Gedenken an die Jäger ist ein fester Bestandteil des Geschichtsunterrichts an finnischen Schulen«, erzählt Jokka Peura, der als Reservist der finnischen Armee am Finnentag teilnimmt. Sein Großvater war einer der Jäger und Peura berichtet voller Stolz von der Bedeutung der Jägerbewegung. Die finnische Botschafterin, Ritva Koukku-Ronde, die für den Finnentag eigens aus Berlin angereist ist, stellt ebenfalls die Verdienste der in Hohenlockstedt ausgebildeten Soldaten heraus. »Das Gedenken an die Jägerbewegung ist in Finnland durchweg positiv und ein wichtiger Bestandteil unserer Unabhängigkeit«, sagt die Diplomatin.

Der Gedenkstein, an dem am Finnentag zahlreiche Kränze niedergelegt werden, passt allerdings so gar nicht ins Bild der fröhlichen Feier eines geeinten Europa und der engen Koope­ration. Er versinnbildlicht die Widersprüche in der Erinnerung. Denn den 1939 kurz vor dem Beginn des Zweiten Weltkriegs in einer feierlichen Zeremonie eingeweihten Gedenkstein zieren viele Inschriften, die aus heutiger Sicht befremdlich wirken – vom Kampf »Schulter an Schulter mit deutschen Truppen« in den Jahren 1916/1917 ist da die Rede. Noch markiger wirkt ein weiterer Spruch: »Das mächtige Deutschland nahm Finnlands junge Männer auf und erzog sie in seinem ruhmreichen Heere zu Soldaten.« Mächtig? Ruhmreich? Sollte eine solche Inschrift nicht einen Schatten auf die an diesem Tag viel gelobte deutsch-finnische Tradition werfen?

»Es war der finnische Künstler Lauri Leppänen, der den Stein entwarf«, antwortet Koukku-Ronde kurz und knapp auf kritische Nachfragen. Ein Finne. Kein Deutscher. Sind die Inschriften also unproblematisch? Es gibt zumindest keinen erläuternden Text oder Ähnliches am Fuß des Gedenksteins, um den historischen Kontext der pathetischen Inschriften zu erklären. Er würde aber auch nicht so recht ins Bild des Finnentags passen. Denn der betont die guten Beziehungen der beiden Länder und hebt die europäische Zusammenarbeit hervor. Bürgermeister Wolfgang Wein erwähnt den »Stolz« der Hohenlockstedter auf die Ausbildung der Finnen. Der langjährige Leiter des Museums in Hohenlockstedt, Achim Jabusch, betont, dass »der Anteil der Jäger an der Unabhängigkeit im Vordergrund steht«. Und Brigadegeneral Andreas Hannemann spricht bei der Feier im Ehrenhain von einem »Lehrstück, welche Bedeutung militärische Traditionspflege« habe.

Die angetretenen Reservisten aus Deutschland und Finnland salutieren. Der Rahmen ist feierlich. Viele Finnen sind angereist, um am Finnentag teilzunehmen. Das Museum am Wasserturm öffnet an Extraterminen seine Pforten. In einem eigens abgetrennten Bereich wird die Geschichte der Jäger erzählt – finanziert und organisiert von den Finnen selbst, wie Jabusch betont. »Wir öffnen an 365 Tagen, wenn Gäste aus Finnland vor dem Museum stehen und anrufen«, sagt er. Im Ausstellungsteil bleiben die Ursprünge der finnischen Unabhängigkeitsbewegung genauso unkommentiert wie die »Deutschland-Fahrt finnischer Jäger und Frontkämpfer« im Juni 1939.

 

Rund zehn Prozent der Gäste kommen aus Finnland. Der Finnentag ist für die Gemeinde ein Mammutprogramm, vom Empfang am Vormittag über die Ehrung am Gedenkstein bis hin zum gemeinsamen Kaffeetrinken in der Aula. »Für unsere kleine Gemeinde ist das echt ein Kraftakt«, sagt Jürgen Klein, zweiter Bürgermeister des Dorfs. In der Aula werden Auszeichnungen und Wimpel überreicht, Schüler der ortsansässigen Wilhelm-Käber-Schule bekommen ein Stipendium, um sich weiterhin mit den finnischen Jägern beschäftigen zu können. Finnische Soldaten erhalten das Ehrenabzeichen von Hohenlockstedt in Gold und einige Soldaten die Waffenbrüderfahne, die wie eine Mischung aus dem finnischen Freiheitskreuz und dem deutschen ­Eisernen Kreuz aussieht. Die Atmosphäre ist freundschaftlich.

Hanna Rieck-Takala, die das Jägermuseum im finnischen Kauhava leitet, lässt neben dem Stolz auf die Jägerbewegung immerhin auch etwas Kritik anklingen: »Ganz uneigennützig war die Ausbildung von Seiten des Deutschen Reiches nicht. Und auf finnischer Seite bestand die vage Hoffnung auf eine Niederlage Russlands, die die Unabhängigkeit beschleunigt hätte.« Ob die Tradition der Jäger auch bis zum finnischen Freiwilligen-Bataillon der Waffen-SS reicht? Darauf weiß sie – noch – keine Antwort, betont aber, dass dieses Kapitel mit Sicherheit weiter untersucht werden müsse.

Von den Schattenseiten der »Waffenbrüderschaft« will man offenbar nichts wissen. Auf deutscher Seite herrscht weitgehend Konsens, dass es keine positive Bezugnahme auf die »Leistungen« deutscher Soldaten im Zweiten Weltkrieg geben darf. Aber auch dem Ersten Weltkrieg und der Niederschlagung des revolutionären Aufstands in Finnland kann man nicht neutral gedenken. Mark Aretz, Oberstleutnant der Reserve und Verbindungsoffizier zu den Finnen, schreibt im Magazin Der Infanterist, die deutsche Reichswehr sei in Finnland »selbstloser Helfer« und nicht »gieriger Imperialist« gewesen. Ob die Beteiligung der Deutschen kriegsverkürzend oder kriegsentscheidend in Finnland war, sei reine Speku­lation, an der nur »Schreibern unterschiedlicher Couleur« gelegen sei. »Der ausgesprochene Sonderweg, zu glauben, dass Außenpolitik nur bei lupenreiner Einhaltung höchster moralischer und ethischer Grundsätze legitim sei«, beschränke »sich hingegen vorwiegend auf den bundesdeutschen Kosmos«. Aretz resümiert: »Dass trotz ­gegenteiliger Faktenlage vielfach ein holzschnitzartig negatives Bild des deutschen Engagements in Finnland gezeichnet wird, dürfte wohl eher ideologisch motiviert sein.«

Die Atmosphäre ist freund­schaftlich. Von den Schatten­seiten der »Waffen­brüderschaft« will man offenbar nichts wissen.

Über den Zweiten Weltkrieg spricht man möglichst wenig. Das traditionelle Geschichtsbild Finnlands sieht das Land als Opfer der übermächtigen Sowjetunion, gegen die man sich verteidigt habe, ohne sich am deutschen Vernichtungskrieg zu beteiligen. Tatsächlich gab es kein formelles Bündnis und Finnland hat etwa die Belagerung Leningrads nicht militärisch unterstützt. Neuere Forschungsergebnisse zeigen jedoch, dass Finnland durchaus enger mit den Nazis zusammenarbeitete, als viele wahrhaben wollen. So wurden Tausende sowjetische Kriegsgefangene und mehr als 100 Zivilisten, unter ihnen 70 Juden, nach Deutschland ­deportiert. Zudem waren Finnen an den Morden der Einsatzkommandos beteiligt und dienten in der SS-Einheit Wiking.

Wenn der stellvertretende Vorsitzende der Jägerstiftung, Peter Fagernäs, in seiner Rede betont, dass die Enthüllung des Denkmals für die Jäger im Jahr 1939 »eine bemerkenswerte Feier der finnisch-deutschen Waffenbrüderschaft« gewesen sei, zeigt dies, dass eine kritische Aufarbeitung der Jägerbewegung noch aussteht. Die Feier an diesem sonnigen Tag in Hohenlockstedt mit den vielen angereisten Finnen und der Betonung der deutsch-finnischen Freundschaft ist offenbar nicht der passende Rahmen. Kritik wurde in den vergangenen Jahren nur sehr verhalten geäußert.

Der dem Finnentag sehr kritisch gegenüberstehende Hobbyhistoriker ­Georg Blum hatte immer wieder angeprangert, dass auf dem Finnentag einer »Traditionspflege für Bürgerkrieg und Massenmord« gehuldigt werde. Am Abend des 23. Februar waren immerhin auf Twitter die ersten kritischen Kommentare zu lesen.