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Die von der Bundesregierung initiierte sogenannte Nachunternehmerhaftung soll ausbeuterische Bedingungen in der Paketbranche beenden. Ob das gelingt, ist jedoch fraglich.
Die Post- und Paketbranche in Deutschland boomt. Die etwa 200 000 Paketzusteller in Deutschland liefern pro Jahr über drei Milliarden Pakete aus. Mehr als 26 Milliarden Euro Umsatz und damit ein Wachstum von 4,1 Prozent im Vergleich zum Vorjahr verzeichneten die Postdienstleister 2017. Davon entfielen 16,6 Milliarden Euro allein auf den Paketbereich.
Grundlage des Booms sind die niedrigen Löhne und katastrophalen Arbeitsbedingungen, die es den Zustelldiensten ermöglichen, ihre Dienstleistung so günstig anzubieten, und unter denen die Beschäftigten zu leiden haben. Die Umgehung von Arbeitsgesetzen, Verstöße gegen das Mindestlohngesetz und Sozialversicherungsbetrug gehören in der Branche zum Alltag – für die Gewerkschaften Machenschaften am Rande der organisierten Kriminalität. »In der Paketzustellbranche haben sich zum Teil mafiöse Strukturen etabliert«, so Frank Bsirske, der Vorsitzende der für die Post-, Paket- und Logistikbranche zuständigen Gewerkschaft Verdi.
Ein wichtiges Instrument beim Lohndumping und der Umgehung gesetzlicher Vorschriften ist der Einsatz von Sub- und Subsubunternehmen. Während UPS und die Deutsche Post mit ihrer Tochter DHL den Großteil ihrer Paketboten selbst beschäftigen, haben die anderen drei großen Unternehmen der Branche – Hermes, DPD und GLS – die Zustellung ihrer Pakete fast vollständig ausgelagert. Die Subunternehmen rekrutieren ihre Beschäftigten unter häufig fragwürdigen Umständen in Osteuropa. »Unternehmen wie Hermes engagieren Firmen, die wiederum andere Firmen beauftragen, die dann Menschen aus der Ukraine, aus Moldawien oder aus Weißrussland in die Lieferfahrzeuge setzen«, sagte Bsirske den Zeitungen der Funke-Mediengruppe. Die Schwächsten in der Kette sind am Ende die Zusteller. Nicht selten ist ihr Aufenthaltsstatus an den Arbeitsplatz geknüpft und die migrantischen Beschäftigten wurden zuvor unter Vorspiegelung falscher Tatsachen in ihren Herkunftsländern angeworben. Statt der versprochenen guten Löhne, festen Arbeitszeiten und sozial abgesicherten Beschäftigungsverhältnisse erwarten sie hierzulande prekäre Arbeitsbedingungen zu niedrigen Löhnen.
Die Auftraggeber der Zusteller erkennen häufig die Standzeiten zum Be- und Entladen nicht an und bezahlen sie deshalb auch nicht.
Weil die ausbeuterischen Bedingungen bei den Zustelldiensten immer stärker öffentlich angeprangert wurden, sah sich die Bundesregierung nun zum Handeln gezwungen und initiierte nach Beratungen im Koalitionsausschuss ein Gesetz zur sogenannten Nachunternehmerhaftung in der Paketbranche. Die großen Paketdienste sollen damit bei Vergehen ihrer Vertragspartner haftbar gemacht werden können. Angeblich sollen Mindestlohn- und Arbeitszeitverstöße in der Branche durch die geplante Neuregelung schon bald der Vergangenheit angehören. So sagte Kerstin Tack, die arbeitsmarktpolitische Sprecherin der SPD-Bundestagsfraktion: »Endlich ist Schluss mit der Ausbeutung von Paketboten. So schieben wir nun auch in der Paketbranche Lohndumping und Tricksereien mit dem Mindestlohn einen Riegel vor.« Ob das mit großem Getöse angekündigte Gesetz tatsächlich dazu beiträgt, die Lohn- und Arbeitsbedingungen der Betroffenen zu verbessern, ist jedoch fraglich.
Um wie angekündigt Betrügereien bei der Einhaltung des Mindestlohns zu ahnden, bräuchte es das neue Gesetz zum Beispiel nicht. So gilt für den Mindestlohn bereits die Generalunternehmerhaftung. Das bedeutet, Hermes und seine Konkurrenten müssten bereits jetzt den Paketzustellern die Differenz zur gesetzlichen Lohnuntergrenze erstatten, wenn einer ihrer Sub- und Subsubunternehmer hier betrügt. Das Problem ist vielmehr, dass der vielgerühmten unternehmerischen Kreativität kaum Grenzen gesetzt sind, wenn es um die Umgehung der gesetzlichen Mindestlohnregelungen geht, und das Gesetz zudem viele Lücken lässt, die die Unternehmen zu ihren Gunsten nutzen.
So müssen Paketzustelldienste oder Transportunternehmen nicht den Beginn und das Ende der Arbeitszeit ihrer Beschäftigten, sondern nur die Dauer des Arbeitseinsatzes dokumentieren. Die Umgehung der Lohnuntergrenze wird ihnen auf diese Weise leicht gemacht. Zudem werden Standzeiten zum Be- und Entladen häufig nicht anerkannt und daher auch nicht bezahlt. Manche Paketdienstleister zahlen auch nur für einen Teil der Arbeitszeit den Mindestlohn, während Überstunden unentgeltlich erbracht werden müssen. Andere zahlen zwar den Mindestlohn, behalten aber Teile davon für Arbeitsmittel ein.
Tatsächlich sieht das geplante Gesetz keinen besseren Schutz der Beschäftigten vor solchen und anderen Betrügereien beim Mindestlohn vor. Die Nachunternehmerhaftung bezieht sich vielmehr auf die Sozialversicherungsbeiträge. Die großen Zustellunternehmen sollen künftig Sozialabgaben für Paketboten nachzahlen müssen, wenn ihre Auftragnehmer das versäumen. Das Problem des flächendeckenden Mindestlohnbetrugs wird mit dem Gesetz, allen Ankündigungen zum Trotz, also nicht gelöst.
Dass es Unternehmen so leicht fällt, den Mindestlohn zu umgehen, liegt auch am fehlenden Personal der Finanzkontrolle Schwarzarbeit – so heißt die zuständige Einheit beim deutschen Zoll – und den damit einhergehenden unzureichenden Kontrollen. Ändern wird sich das voraussichtlich auch nach Einführung der Nachunternehmerhaftung in der Paketbranche nicht – wie unter anderem das Beispiel der Fleischindustrie zeigt. Angesichts der verheerenden Lohn- und Arbeitsbedingungen in deutschen Schlachthöfen hatte der Bundestag für diese Branche bereits 2017 ein Gesetz zur Nachunternehmerhaftung verabschiedet. Matthias Brümmer von der Gewerkschaft Nahrung-Genuss-Gaststätten (NGG) in Niedersachsen – einem der Zentren der deutschen Fleischindustrie – zieht jedenfalls eine ernüchternde Bilanz des Versuchs des Gesetzgebers, mit der Nachunternehmerhaftung gegen Lohndumping vorzugehen. »Auf dem Papier hört die sich gut an, in der Praxis kenne ich aber nicht einen einzigen Fall, in dem ein Generalunternehmer haftbar gemacht wurde«, sagte Brümmer der Taz.
Das ist wenig überraschend, denn mit Verabschiedung des Gesetzes waren die Unternehmen der Fleischindustrie keineswegs mit einem höheren Kontrolldruck konfrontiert. Im Gegenteil, die Zahl der Kontrollen des Zolls habt sich von 445 im Jahr 2015 auf 233 im Jahr 2017 beinahe halbiert.
Grundlegend verändern dürfte das Gesetzesvorhaben die katastrophalen Zustände in der Paketbranche also nicht. Trotzdem begrüßen die Gewerkschaften die Pläne der Bundesregierung als Schritt in die richtige Richtung. »Es ist ein wichtiges Element, um die sozialen Verwerfungen einzudämmen. Darüber hinaus ist es notwendig, ausreichend Kontrollen durchzuführen seitens der Finanzkontrolle Schwarzarbeit«, sagt Sigrun Rauch, Bereichsleiterin Postdienste, Spedition und Logistik bei der Verdi-Bundesverwaltung. »Für uns als Gewerkschaft ist der zentrale Punkt, dass die Unternehmen sich der Tarifbindung unterwerfen und ihre Beschäftigten nach Tarif bezahlt werden«, so Rauch jedoch weiter. Ihr lukratives Geschäftsmodell des Lohndumpings werden die Unternehmen allerdings kaum freiwillig aufgeben. Hierzu bräuchte es die Organisierung der Beschäftigten und den gemeinsamen Kampf für bessere Löhne.