Rassistische Hetzjagd in der DDR

Eine Stadt deckt ihre Täter

Ein rassistischer Mob hat in Merseburg zu DDR-Zeiten zwei Kubaner in den Tod getrieben. Die mutmaßlichen Täter prahlen heute damit. Juristisch zu befürchten haben sie nichts.

Mitten im Gedenkjahr für die sogenannte friedliche Revolution von 1989 erinnert eine Initiative an ein trauriges Jubiläum. Sein Anlass wird seit vier Jahrzehnten von der Öffentlichkeit verdrängt und spielt in den offiziellen Gedenkritualen keine Rolle. Mit 150 Teilnehmenden rief die Initiative am ­Montag vergangener Woche auf einer Gedenkkundgebung der Bevölkerung Merseburgs in Erinnerung, dass in der Stadt in Sachsen-Anhalt 40 Jahre zuvor die kubanischen Vertragsarbeiter Raúl Garcia Paret und Delfin Guerra bei ­einer rassistischen Hetzjagd ums Leben gekommen waren.

Der 21jährige Paret und der 18jährige Guerra gehörten zu einer Gruppe von Kubanern, die sich am 12. August 1979 in der Merseburger Diskothek »Saaletal«, auch »Strandkorb« genannt, gegen rassistische Übergriffe wehrte; anschließend wurden Paret und Guerra von 30 bis 40 Deutschen durch die Stadt verfolgt. Nachdem die beiden auf ihrer Flucht in die Saale gesprungen oder sogar, anderen Zeugenaussagen zufolge, gewaltsam von einer Brücke in den Fluss gestoßen worden waren, seien sie von den umstehenden Deutschen mit Flaschen und Ziegelsteinen beworfen worden, weshalb sie vermutlich das Bewusstsein verloren und ertranken.

Um das wegen vorausgegangener rassistischer Vorfälle bereits belastete Verhältnis der DDR zum sozialistischen Bruderstaat Kuba nicht weiter zu gefährden, stellten die Polizei und Staatssicherheit mit Billigung von Staats- und Parteichef Erich Honecker die ­Ermittlungen gegen »Unbekannt« ein, obwohl vier Dutzend Zeugen vernommen und eine Handvoll Tatverdächtiger ermittelt worden waren.

Vertuschung des Doppelmords

Der Historiker Harry Waibel bezeichnete die Ereignisse als Pogrom. Seinen Forschungen zum Antisemitismus und Rassismus in der DDR ist es zu verdanken, dass das antifaschistische Selbst­verständnis des Staats und seiner Bevölkerung hinterfragt wurde und dass ein Dokument gefunden wurde, das die politische Vertuschung des Doppelmords belegt. Unter »Berücksichtigung der brüderlichen ­Beziehungen zwischen der DDR und der Sozialistischen Republik Kuba« sei entschieden worden, die Ermittlungen einzustellen, hieß es in dem ­Schreiben des Ministeriums für Staatssicherheit.

Umso erstaunlicher ist, dass selbst nach Ausstrahlung von drei Dokumentationen der MDR-Journalisten Christian Bergmann und Tom Fugmann in den vergangenen Jahren die Staatsanwaltschaft Halle nach einer Prüfung entschieden hat, die Ermittlungen nicht wiederaufzunehmen. Nach Sichtung der überlieferten Unterlagen findet sie »keine Anhaltspunkte für Manipula­tionen des Akteninhalts oder eine Verfälschung des Ermittlungsergebnisses«, wie aus einer Antwort der Landesregierung auf eine Kleine Anfrage der Landtagsfraktion der Linkspartei hervorgeht.

Erneut vernommen wurde ­lediglich jene Gerichtsmedizinerin, die bereits 1979 keine Indizien für eine Fremdeinwirkung hatte entdecken können und die ihr damaliges Ergebnis nur ein weiteres Mal bestätigte. Angesichts der Tatsache, dass die Leichen erst nach drei beziehungsweise vier sommerlich heißen Tagen geborgen wurden, sie also einem beschleunigten Fäulnisprozess ausgesetzt waren, ist das freilich nicht verwunderlich.

Täter prahlen im Netz

Trotz des durch die Stasi-Akten belegten politischen Motivs für die da­malige Verfahrenseinstellung und des Umstands, dass für eine Mord­ermittlung nicht erst die vollendete Tat, sondern bereits der Versuch ausreicht, vertraut die Staatsanwaltschaft in Halle de facto auf die moralische ­Integrität der DDR-Behörden, indem sie schlussfolgert, »dass zu keiner Zeit von einem Tötungsvorgang oder einer sonstigen Gewalteinwirkung« aus­gegangen werden könne.

Obwohl der Staatsanwaltschaft und der Landes­regierung die Namen der Tatverdächtigen aus den DDR-Unterlagen bekannt sind, haben diese nichts zu befürchten. Nach Recherchen des MDR rühmen sich damalige mutmaßliche Täter heutzutage im Internet mit ihren damaligen Taten. Die »Initiative 12. August« hat einige dieser Äußerungen auf ihrer Website gesammelt: »Die sahen etwas zerbeult aus«, heißt es da über die ­Opfer der Hetzjagd, oder: »Wer sich nicht benehmen kann, muss sich nicht wundern wenn er aufs Maul kriegt.«

Angesichts dieser Ungereimtheiten hat die sachsen-anhaltinische Landtagsabgeordnete Henriette Quade (Linkspartei) vergangene Woche Strafanzeige gegen Unbekannt erstattet.

»Ungezügelter Rassismus«

Auf der Demonstration der »Initiative 12. August« hielt unter anderem Paulino Miguel eine Rede, der als ehemaliger Vertragsarbeiter über den »sehr ausgeprägten« Rassismus in der DDR sprach. Er machte deutlich, dass die sogenannte friedliche Revolution für Vertragsarbeiter alles andere als friedlich war. Es sei notwendig, heutzutage der in der DDR gestorbenen ausländischen Arbeiterinnen und Arbeiter zu gedenken, so Miguel.

Zwei Redner der örtlichen Geflüchteteninitiative »Café Internationale« ­geißelten den »ungezügelten Rassismus« auch im heutigen Merseburg. Der Landtagsabgeordnete Sebastian Striegel (Bündnis 90/Die Grünen) ­begrüßte am Rande der Kundgebung im Gespräch mit der Jungle World, dass »an diesem Tag einmal nicht die ­Mehrheitsgesellschaft zu Wort kommt«. Er bedauerte die durch die Entscheidung der Staatsanwaltschaft vertane »Chance zur Aufklärung«.

Merseburgs Oberbürgermeister Jens Bühligen (CDU) blieb der Veranstaltung hingegen fern. Andreas Bulmeyer, der Pressesprecher der »Initiative 12. August«, sagte, Bühligen habe sich in einer Antwort auf den offenen Brief der Initiative der Sicht der Staatsanwaltschaft angeschlossen – und ein rassistisches Motiv ausgeschlossen. Die Aufstellung einer offiziellen Gedenk­tafel habe der Politiker abgelehnt.

Deswegen improvisierte die Initiative schließlich eine Gedenktafel. Ein stilles Gedenken auf der Neumarktbrücke in Sichtweite der 1983 abgebrannten Diskothek und des Tatorts beendeten die Anwesenden mit dem Niederlegen von Blumen am Flussufer.