Richard Schuberth über die erstaunliche Karriere eines politischen Androiden

Android mit Mission

Ein technologisches Experiment, das derzeit in Österreich stattfindet, erfreut das Kapital und die Wählerschaft gleichermaßen.

Vor einigen Jahren gab der von der Hongkonger Firma Hanson Robotics konstruierte Roboter Sophia seine ­erste Pressekonferenz. Sophia verfügte über künstliche Intelligenz, war fähig zur Gesichtserkennung, Imitation menschlicher Gestik und Mimik, beantwortete Fragen und konnte im vorde­finierten Setting sogar den Anschein geistreicher Konversation erwecken.

Besonders den anwesenden Saudis gefiel sie, und so wurde Sophia die erste saudi-arabische Staatsbürgerin, die keinen Schleier tragen muss: als latexgewordener Wunschtraum saudischer Männer, der Last des Patriarchats zu entkommen, ohne die Unterdrückung der echten Frauen aufgeben zu müssen. Sophia war apart, hatte weiche Haut und schöne Ohren.

So was wollen wir auch, schmollten Wirtschaftskammer und Österreichischer Industriellenverband. Und wurden fündig: Ein junger aufstrebender Android namens Sebastian Kurz hatte mit einer spektakulären Werbekampagne für die ÖVP, dem sogenannten Geil-o-Mobil, der flotten konservativen Jugend voll auf den Milchzahn gefühlt – und als Staatssekretär für Ausländerangelegenheiten alsbald humiliation qualities bewiesen, indem er migrantischen Schwerarbeitern damit drohte, dass sie sich ohne Leistung die Integration in die rußgeschwärzten Haare schmieren könnten.

Das Modell Kurz erwies sich als wahres Prachtmodell, kam er doch mit den circa 20 Stehsätzen, die er landein, landaus von sich gab, schon recht nah an Sophias internationales Niveau ­heran. Nur für Idealisten, welche noch immer der Illusion anhingen, Wähler seien mündige, nach inhaltlichen Kriterien entscheidende Citoyens und unsere Demokratie ein fairer Ausgleich der Interessen, blieb der Erfolg dieser aalglatten Projektionsfläche ein Rätsel.
Wähler wählen nun einmal das, was man ihnen – über Klassen und Schichten hinweg – seit Generationen als Ideal des Menschlichen suggeriert hat: den Triumph der Ikone über die Sache, der Ware über das Unverkäufliche, der Machtinteressen über die eigenen, der emotionalen Wahrnehmung über die skeptische Prüfung, des Reibungsfreien über das Sperrige, der gut geölten Funktionalität über die Freiheit, kurzum: der Barbie-Puppe über jenen Ausschuss, als welcher der Kosten-, Risiko-, Konsum- und Lohnarbeitsfaktor Mensch per Selbstkonformierung seinen sozialen Ausschluss abzuwenden trachtet. Sie wählen nichts anderes als das, worauf sie von klein auf mittels emotionaler Bindungen an Gadgets, Must-haves und Popstars in verwalteter Dauerinfantilität gehalten werden. Wie Phrasen klingen diese Ladenhüter der Kulturkritik des 20. Jahrhunderts, doch sie klingen nur so, weil die Herrschaft der Phrase sie als solche markiert hat.

 

Kurz ist die ideale Antiindividualität. Seine geschlechtslose Aura entspricht der des Geil-o-Mobils, der aerodynamischen Maschine, die es stellvertretend für die noch fehlbaren Cyborgs an die Spitze geschafft hat, und um dieser nachzueifern, es die letzten störenden menschlichen Eigenschaften zu opfern gilt. Kurz gibt mit seinen nichtssagenden Äußerungen allen Menschen Hoffnung, die auch nichts zu sagen haben, denn er hat es zum jüngsten Vollzugsorgan ihrer eigenen sozialen Deklassierung zugunsten der Reichen und Mächtigen geschafft. Er ist sozusagen der erste vom Volk gewählte Diener im Staat, allerdings nicht des Volkes, sondern der angeblich alternativlosen Kapitalmacht.

Kurz gibt mit seinen nichtssagenden Äußerungen allen Menschen Hoffnung, die auch nichts zu sagen haben.

Man sage jetzt bloß nicht, es sei arrogant und menschenfeindlich, Türkis- und andere Wähler mit Androiden zu vergleichen. Im Gegenteil ist es ihre Ehren­rettung. Denn das freiwillige Votum für die Beschneidung des Sozialsystems, für Grauslichkeiten gegen Migranten, fürs schamlose Paktieren mit Faschisten und die unverhohlene Lobbyarbeit für Unternehmer, Banken und Immobilienbesitzer kann Androiden als mildernder Umstand angerechnet werden, Menschen hingegen nur als Leerlauf der Irrationalität und Bösartigkeit.
Android Kurz kam im letzten Augenblick, mit der bedrohlichen Losung »Schwarz macht geil«, denn das Kapital war schon bereit, eine veraltete ÖVP ohne Sexappeal und Popfaktor fallenzulassen.

Die SPÖ als neoliberaler Streber und nachholender Rechtspopulist witterte ihre letzte Chance. Aus diesem Grund erweisen sich auch die automatisierten Klagen, dass diese ihre sozialistischen Wurzeln verraten hätte, selbst als Robotergarn. Die Sozialdemokratie hat nun einmal ihre historische Mission, für welche die freien Marktkräfte sie auserkoren hatten, mit dem Untergang der Sowjetunion eingebüßt: als marktverträglicher Puffer gegen den Horror einer staatlich gemanagten Umverteilung von oben nach unten (also Kommunismus oder bloß Franklin D. Roose­velts Spitzensteuersatz von 79 Prozent).

Tony Blair legte mit New Labour, Gerhard Schröder mit Hartz IV dem Kapital Besänftigungsgeschenke vor die Chefetagen, damit dieses es sich vielleicht doch noch anders überlege. Alpinsozialdemokraten wie Franz Vranitzky und Viktor Klima konnten gar nicht warten, die Rolle von Managern jenes fallengelassenen Engels namens Sozialdemokratie gegen lukrativere Jobs in Banken und Konzernen zu tauschen.

 

Drapiert mit anstandshalber linker Folk­lore und Erste-Mai-Wimpeln bot sich der wirtschaftsliberale Flügel der SPÖ als die linksliberale Alternative zum Rechtsruck feil, während sich ihr stärkerer rechter Flügel mit der FPÖ wie hungrige Straßenhunde um den fettesten Happen aus der Volksküche der Ressentiments balgte: die Fremdenfeindlichkeit. Wenn Pamela Rendi-Wagner im »TV-Duell« dem ehemaligen Innenminister Herbert Kickl (FPÖ) vorwirft, die EU-Grenzen nicht brutal genug zu schützen, und die Salzburger SP die Vergabe von Gemeindewohnungen wieder an Deutschkenntnisse knüpft, ist das bloß die übliche Fortsetzung eines jahrzehntelangen Kampfes um die Mördergruben, zu denen sich die Wählerherzen verkrustet hatten.

Dabei wäre die Kamikazetour im Geil-o-Mobil gar nicht nötig gewiesen, mit dem die SPÖ weit aus der Rechtskurve segeln wird. Sie hätte sich auch mit der Forderung bescheiden können, das übliche Zehntel der seit den achziger Jahren erfolgten Sozialkürzungen einzufordern, um den ihr zugewiesenen Platz als zahme Opposition im Demokratiespiel zu behalten.

Da war der junge Android kreditwürdiger, und dass Sebastian Kurz ein Android ist, kann nur ein Narr bezweifeln. Er ist nicht rechts, er ist gar nichts. Er ist die Summe seiner Funktionen. Als konzeptueller Schwiegersohn, neokonservatives Pin-up, sichtbares Händchen des freien Marktes und Bonnie Prince Burli der Reichen und Mächtigen. Irgendwo in seiner linken Flanke stecken auch ein paar USB-Buchsen für linksliberale und grüne Anschlüsse. Das steht nicht im Widerspruch dazu, bei Bedarf weiter einen Orbánismus mit europäischem Antlitz, einen autokratischen Neoliberalismus zu erproben, der sich von Ursula von der Leyen anerkennend ins Rotbäckchen kneifen lässt – als gemütlich-alpines missing link zwischen den Entdemokratisierungsmodellen Brüssel, Visegrád und Salvini.

Viele finden aber Kurz nicht wegen dieser Politik super, sondern diese Politik erst super, weil sie von so einer alerten Photoshopmaske wie Kurz exekutiert wird. Das hält zumindest die utopische Hoffnung am Leben, dass ein angemessen publikumswirksamer Android theoretisch auch eine Politik für Menschen, für Androide und für solche, die wieder Menschen werden wollen, machen könnte, eine radikale soziale, ökologische und humanitäre Politik. Anstatt sich weiter unverstanden zu fühlen und wegen ein, zwei Sesseln im Parlament mit den Rechten um Patriotismus zu rittern, sollten vielleicht auch die Linken lieber ein paar Bestellungen bei Hanson Robotics aufgeben.