Die Soziologin Cornelia Koppetsch wird für schlechtes Handwerk kritisiert, nicht aber für ihr Verständnis für die AfD

Deutschland steht Koppetsch

Von Tom Uhlig

Cornelia Koppetschs Buch »Die Gesellschaft des Zorns« enthält allem Anschein nach Plagiate. Vielen Kulturredaktionen erscheint das wichtiger als die Kooperation der Autorin mit der AfD.

Die Soziologie hat sich ihren Weg zurück ins Frühstücksfernsehen erobert. Nachdem ihr einige Zeit die Philosophie den Platz in Talkshows und im Feuilleton streitig gemacht hat, feiert die Disziplin im Genre der Zeitdiagnosen derzeit ein Comeback. Die neuen soziologischen Werke tragen marktschreierisch ihren umfassenden Erklärungsanspruch im Titel: »Gesellschaft der Singularitäten« (Andreas Reckwitz), »Gesellschaft der Angst« (Heinz Bude), »Abstiegsgesellschaft« (Oliver Nachtwey), »digitale Gesellschaft« (Armin Nassehi) und so weiter. Soziale Phänomene wie Digitalisierung oder Abstiegsangst werden aufgebläht zur Gesellschaftsanalyse, was diesen Büchern, ungeachtet ihrer Qualität, den Beigeschmack von Vermessenheit gibt. 

Am Schluss ihres Buches bedankt sich Koppetsch bei ihren »Bekannten aus der AfD, die mir in vielen Diskussionen ihre gesellschaftlichen Sichtweisen dargelegt haben. 

Doch die Strategie geht auf. Eben diese Zeitdiagnosen mit welterklärendem Impetus sind regelmäßig in den Sachbuchbestsellerlisten vertreten. Ihre Machart schwankt zwischen Populärwissenschaft und akademisch-soziologischer Forschung. Thesen, die zwar hübsch formuliert, aber nicht plausibel begründet werden, spekulieren auf die Gutgläubigkeit der Lesenden. 

In »Gesellschaft der Singularitäten« untermauert beispielsweise der Sozio­loge Andreas Reckwitz seine These einer fortschreitenden Individualisierung der Gesellschaft mit Verweis auf das Phänomen des data tracking, »in dem die anonymen Algorithmen den einzigartigen Bewegungspfad des Users registrieren, um ihn in seinen ganz spezifischen Konsumpräferenzen oder politischen Haltungen zu adressieren«. Dabei muss man diesen Umstand nicht als Ausdruck einer fortgesetzten Singularisierung verstehen, sondern könnte genau umgekehrt beschreiben: Ein spezifisches, womöglich besonderes Begehren soll identisch gemacht werden mit dem verfügbaren Warenangebot. Solche Ambivalenz gehört dazu, wenn man eine Gesellschaft beschreiben will, die von Widersprüchen durchzogen ist.

Die großen Zeitdiagnosen, von denen gefühlt jeden Monat eine neue auf den Buchmarkt kommt, wollen soziologische Überlegungen einer breiten ­Öffentlichkeit zugänglich machen. Das kann man ihnen nicht vorwerfen, wohl aber, dass sie aus ihren Untersuchungen Folgerungen ableiten, die ­weder der Gegenstand noch die angewandten Methoden hergeben. 

 

Ein besonders aufgeplustertes Werk soziologischer Welterklärung, das sich gar nicht mehr um empirische oder auch darstellerischer Genauigkeit kümmert, ist Cornelia Koppetschs »Die Gesellschaft des Zorns. Rechtspopulismus im globalen Zeitalter«, dessen fahrige Machart der Soziologin nun zum Problem wird. Das Buch war in fast allen Medien euphorisch gelobt worden; in zahlreichen Interviews konnte die Autorin ihre wilden Behauptungen von linken Redeverboten und ihr Verständnis für die Neue Rechte äußern. Für ­ihren Einsatz war sie zunächst für den Bayerischen Buchpreis nominiert worden, bis die Jury kurz vor der Preisverleihung erfuhr, dass das Buch vermutlich Plagiate enthält, mindestens aber eine Vielzahl von Quellenangaben vermissen lässt. Die Autorin verteidigte ihr Werk, weshalb die Jury es letztlich selbst von der Liste nehmen musste. In den Redaktionen, die das Buch eben noch feierten, ist die Empörung groß: Die FAZ will in einer gründlichen ­Recherche die fraglichen Stellen identifizieren. Die Universität Darmstadt, an der Koppetsch Professorin ist, leitet ein Prüfverfahren ein. Die Peinlichkeit, nicht selbst gemerkt zu haben, dass Passagen etwa von Reckwitz übernommen wurden, der beinahe ebenso ­emphatisch besprochen wurde, ruft heftige Reaktionen hervor.

Dabei ist der nachlässige Umgang mit den verwendeten Quellen auf den ersten Blick erkennbar: Es werden so ziemlich alle soziologischen und sozialphilosophischen Größen aufgerufen, die derzeit in Mode sind, aber kaum ein Text wird genauer besprochen. Ihre »Methode« nennt Koppetsch »theoriegeleitete Empathie« – wohlgemerkt nicht Empirie. Damit charakterisiert sie treffend die Gemengelage aus Deduktion und Verständnis. Die Begriffe und Analysen sind der Untersuchung eindeutig vorgängig, sie werden nicht aus der Untersuchung des Rechtspopulismus abgeleitet, sondern aus angesagten Kritiken des Neoliberalismus, die sich mit der rechten Ideologie nicht ­dezidiert beschäftigen. Untersuchungen zur gegenwärtigen Rechten oder gar Recherche- und Dokumentationsarbeiten werden von ihr vollkommen vernachlässigt. Koppetsch klaubt zusammen, was ihre Thesen stützen könnte – und das Feuilleton frohlockt. Dabei sind ihre Thesen brandgefährlich. Sie finden ihre Entsprechung im Weltbild der völkischen Rechten, das im Buch allerdings nicht – wie es Aufgabe kritischer Sozialforschung ist – auf seine verborgenen Motive befragt, sondern beinahe umstandslos übernommen wird. So erkennt die Autorin beispielsweise eine »Neuordnung« des Parteiensystems, in der die Links-rechts-Opposition abgelöst sei zugunsten einer Polarisierung zwischen den »bürgerlich-liberalen« Parteien CDU/CSU, SPD, FDP und den Grünen auf der ­einen und der AfD auf der anderen Seite. Da die Linkspartei in dieses Schema offenbar nicht hineinpasst, kommt der Partei bei Koppetsch eine »Sonderstellung« zu.

Nachdem sie en passant die Differenz zwischen linker und rechter Politik er­ledigt hat, bemüht Koppetsch das auch von der extrem rechten Partei gern verbreitete Bild einer Einheitsfront aus Altparteien gegen den einsamen underdog AfD. »Nicht ganz von der Hand zu weisen« sei, so Koppetsch, »dass ›linke Werte‹ kultureller Mainstream geworden sind, was erklärt, dass auf viele Menschen, die sich heute in ihren Teilhabechancen beschnitten und um ihre Aufstiegsmöglichkeiten betrogen sehen, gerade das Gebot der Toleranz seitens linker Kosmopoliten oftmals provozierend wirkt.« Zur Rede von der linken Meinungsdiktatur, welche vorrangig die Allerschwächsten benachteilige, ist es da nur noch ein kleiner Schritt. 

 

Koppetsch nimmt die Sorgen und Ängste der AfD und ihrer Fans ernst, jedenfalls ernster als die der Menschen, die von Rassisten und Antisemiten verfolgt werden: »Seitens der Kosmopoliten wird dieser Aspekt (der vermeintlich drohenden Gefahr einer »Überfremdung«; Anm. d. Red.) zumeist als Fremdenfeindlichkeit gedeutet. Doch geht es dabei gar nicht primär um die Frage, wo fremde Menschen leben dürfen, sondern vor allem um die Befürchtung einer kulturellen Enteignung, einer gesellschaftlichen Usurpation des eigenen Lebensraums.« Es geht also nicht um Rassismus, sondern um die Angst, den eigenen »Lebensraum« zu verlieren. 

Am Schluss des Buches gibt Koppetsch freimütig Auskunft über einige ihrer Quellen: Sie bedankt sich bei ihren »Bekannten aus der AfD, die mir in vielen Diskussionen ihre gesellschaftlichen Sichtweisen dargelegt haben«. Ob zu diesen Bekannten auch Kai Borrmann gehört, der Sprecher der AfD Berlin-Mitte, und ob es sich bei ihm um einen ehemaligen Mitarbeiter Koppetschs an der Universität Darmstadt handelt, verriet die Autorin auf Nachfrage der Zeitschrift Konkret nicht.

Der Fall Koppetsch verdeutlicht, wann das deutsche Feuilleton eine Grenze überschritten sieht. So gerechtfertigt die Empörung über das Plagiieren auch sein mag, zeigt sich darin auch eine pedantisch-naive Wissenschaftsgläubigkeit eben jenes Feuilletons, die zudem ignoriert, wie sehr die unsorgfältig-populärwissenschaftliche Arbeitsweise dem Trend zur plakativen Zeit­diagnostik entspricht. 

Der eigentliche Skandal, dass Koppetsch mit diesem hastig zusammen­gewürfelten Aufsatz den rechten Terror verharmlost, seinen vermeintlich bürgerlichen Ausdrucksformen sogar das Wort redet, verschwindet hinter dem naserümpfend erhobenen Vorwurf, abgeschrieben zu haben.